Saša Stanišić : Herkunft

Herkunft ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: Irgendwo geboren werden. Und was danach kommt.

So führt uns der Klappentext zu dieser Geschichte hin und der Frage, was Herkunft und Heimat eigentlich bedeutet und bei Saša Stanišić ist die Antwort Stoff für ein ganzes Buch. Denn für den Flüchtling aus Bosnien ist es nicht der eine Ort, die eine Herkunft. Er spricht über Heimaten, Herkunft im Plural, zusammengesetzt aus dem Fortgehen und Ankommen, aus Bruchstücken von Erinnerung und Erfindung.  Ein Autor auf Spurensuche nach dem, was Herkunft für ihn bedeutet und gleichzeitig ein Abschied von der dementen Großmutter: „Während ich Erinnerungen sammle, verliert sie ihre.“

Sein Weg führt in dabei in seine alte Heimatstadt Višegrad, dem Schauplatz aus Ivo Andric’s bekanntem Roman Die Brücke über die Drina. In dieser Stadt unterschiedlicher Ethnien und Religionszugehörigkeiten verbrachte Stanišić  seine Kindheit. Eine glückliche Kindheit, die schon bald von den politischen und religiösen Spannungen des in Auflösung befindlichen Jugoslawien geprägt wird. Von einer Mutter, die aufgrund ihrer muslimischer Vorfahren fortan in Angst leben muss. Herkunft ist plötzlich „das Zusammenzucken, wenn jemand in ihrer Geburtsstadt ihren Namen ruft.“ (S.117) Jede Herkunft konnte die Falsche sein.

Herkunft ist Krieg, ist Flucht aus Bosnien und „die süß-bitteren Zufälle, die uns hierhin, dorthin getragen haben.“ (S.66) In ein neues Leben als Schüler und Student in Heidelberg, später als Schriftsteller in Hamburg. Ein Leben als Flüchtling, der mit der Sprache kämpft, mit dem Ankommen in einer fremden  Welt und in beidem ein Stück Heimat findet.

Ich habe diese Suche nach Heimat gerne begleitet, obwohl ich etwas Mühe hatte, in die Geschichte reinzukommen. Für mich waren die kurzen, teilweise stakkatohaften Sätze zuerst etwas gewöhnungsbedürftig, wahrscheinlich aber auch deshalb, weil ich vorher mit Miroloi ein Buch mit gänzlich anderem Schreibstil gelesen hatte. Im Verlauf fand ich den Stil und das Nebeneinander von lockerem Plauderton und tiefgreifenden Gedanken sehr stimmig zum Inhalt.

Für mich ist das Buch eine große Bereicherung, denn es liefert die Innenansicht  zum Thema Flüchtlinge in Deutschland. Wie geht es den Kindern und Jugendlichen, die aus ihrem Leben gerissen wurden? Hinein in eine fremde Kultur, eine fremde Sprache, wort- und orientierungslos. Etwas, das uns so oft im Alltag begegnet und das man von außen betrachtet. Stanišić hat mir einen genaueren Blick gelehrt und das ganz ohne Drama. In all den Brüchen steckt ein Stück Alltag, steckt Hoffnung und Neubeginn.

Aber in dem Buch steckt auch noch ein anderes Thema. Das Anschreiben gegen das Vergessen, wenn das Gehirn seinen Dienst versagt. Jeder, der schon mal mit dem Thema Demenz in Berührung gekommen ist, wird in Großmutter Kristina und den Angehörigen ein Stück eigene Geschichten wiederfinden.

Nur leider hat ein gutes Buch nicht immer einen ebensolchen Ausgang und so ist es auch in diesem Fall. Ich fand das Ende ausgesprochen enttäuschend, denn es ist nicht wirklich eins. Es sind mehrere.

Wie in einem Abenteuerbuch für Kinder, bei dem man den Fortgang der Geschichte selbst bestimmt, je nachdem auf welcher Seite man weiterliest, gibt es auch hier mehrere Enden. Ich konnte dieser Art von Büchern noch nie etwas abgewinnen und kann es auch nicht bei Stanišić , es wirkt auf mich vielmehr wie eine Verlegenheitslösung, um die Seiten zu füllen.

Bewertung: 3.5 von 5.

Saša Stanišić: Herkunft. München: Luchterhand, 2019

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