
Es handelt es sich um einen weiteren Kandidaten der Longlist des Deutschen Buchpreises, von denen ich im letzten Jahr einige gelesen habe und auch hier geht es um Spurensuche.
Osangs Alter Ego Konstantin ist Filmemacher und auf der Suche nach einem neuen Stoff. Die Geschichte seiner Familie zu erforschen und damit auch sich selbst besser zu verstehen, wird zum Motor seines Handels. Ausgangspunkt bildet das traumatische Erlebnis seiner Großmutter Jelena, die die grausame Ermordung ihres Vaters auf offener Straße miterleben muss. Dieser hat als stadtbekannter Revolutionär den Zorn der zarentreuen Kleinbürger auf sich gezogen. Aus Angst vor weiteren Anschlägen flieht Jelenas Mutter mit den beiden Kindern aus ihrem russischen Heimatdorf, der Auftakt für ein entwurzeltes Leben.
Unter neuen politischen Verhältnissen lernt sie den Fabrikanten Robert Silber kennen und bekommt mit ihm fünf Töchter, eine davon wird Konstantins Mutter sein. Sie folgt ihrem Mann nach Deutschland, fühlt sich aber nirgendwo wirklich zu Hause. Dies ist sehr treffend in der langsamen Auflösung Ihres Namens eingefangen, die auch ein Stück Identitätsvetlust widerspiegelt: aus Jelena wird Elena wird Lena, bis schließlich nur noch ‚Baba‘ übrigbleibt, die russische Bezeichnung für Großmutter.
Die autobiographische Spurensuche Osangs, die ihn bis nach Russland führt, hat mir in der Schilderung der historischen Ereignisse gut gefallen, auch die Charakterdarstellungen finde ich gelungen. Für mich krankt dieser Roman aber ganz erheblich an dem Erzählstrang der Gegenwart, der sich durch das gesamte Buch zieht. Dabei geht es um Konstantins Filmprojekt, seine Beziehung zu Mutter und Sohn, vor allem aber zu seinem dementen Vater, den er regelmäßig besucht. Genauso regelmäßig haben mich dieses Passagen aus dem Roman gekickt, ich fand sie ausgesprochen zäh und kraftlos. Das hat das Leseerlebnis doch merklich getrübt.
Alexander Osang: Die Leben der Elena Silber. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2019