
Bei dem Untertitel könnte man auf den ersten Blick denken, es ginge hier um die Mordserie, der die fünf Frauen ihre vergleichsweise bescheidene Bekanntheit zu verdanken haben. Und tragischerweisen wären sie ohne dieses schreckliche Ende wohl tatsächlich vollkommen in Vergessenheit geraten.
Dass dies kein vollkommenes Vergessen ist, dafür sorgt dieses Buch. Und nicht nur das. Es richtet den Blick auf die Tatsache, dass sie noch etwas mehr waren als nur die Mordopfer eines grausamen Serienkillers. In der damaligen Presse und späteren Literatur als Prostituierte gekennzeichnet und als Nebenfiguren eines aufregenden Spektakels betrachtet, gilt hier der Blick den Frauen, die sie einst waren und ihrer Lebensumstände.
Und das ist so erstaunlich wie erschütternd. Beispielsweise gilt nur bei zwei der fünf Frauen als gesichert, dass sie zumindest gelegentlich der Prostitution nachgingen. Bei allen anderen ist das reine Mutmaßung, die allerdings die ärmeren unverheirateten Frauen schnell erteilte, sobald sie in Gesellschaft eines Mannes unterwegs waren. Trotzdem ist Jack the Ripper als Prostituiertenmörder in die Geschichte eingegangen.
Gesichert ist aber, dass sie alle in bitterster Armut gelebt haben und ihre letzten Jahre von Entbehrungen, Krankheit, Alkohol und Gewalt gezeichnet waren.
Wer mal Charles Dickens gelesen hat, der kann sich ungefähr vorstellen, wovon hier die Rede ist. London in der zweiten Hälfte des 19. Jh., als Industrialisierung und die gleichzeitige Verelendung der Bevölkerung auf einen Höhepunkt zusteuert. Während England zur führenden Industrienation aufsteigt, lebt ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung unter so katastrophalen Verhältnissen, wie man es sich heute kaum vorstellen kann. Und ganz unten in der Hierarchie des Elends stehen die Frauen. Fünf von ihnen lernen wir in diesem Buch kennen.
Große Leseempfehlung !
Hallie Rubenhold: The Five. Das Leben der Frauen, die von Jack the Ripper ermordet wurden. München: Nagel & Kimche, 2020