
Dass man als großer Bruder immer mal wieder zur Hilfe gerufen, wenn der jüngere in Schwierigkeiten steckt, ist nicht besonders ungewöhnlich. So geht es auch Rob mit seinem jüngeren Bruder Charley. Wenn die Hilfe jedoch darin besteht, ihm beim Kampf gegen Uriah Heep, dem Bösewicht aus Charles Dickens ‚David Copperfield‘ zur Seite zu stehen, wird es schon einigermaßen seltsam.
Wer nun denkt, der jüngste Spross hätte etwas zu tief ins Glas geschaut oder synthetische Drogen ausprobiert – weit gefehlt!
Charley verfügt über die seltene Gabe, Figuren aus Büchern herauszulesen und lebendig werden zu lassen. Das mag bei Micky Maus ganz niedlich sein, wenn es sich aber um Frankenstein handelt, sollte man schleunigst die Beine in die Hand nehmen. Und das umso mehr, wenn auch noch andere über diese ungewöhnliche Gabe verfügen…
Ich habe mich sehr auf dieses Buch gefreut, da ich die Idee ausgesprochen gut finde. Überraschenderweise hatte ich dann aber große Mühe, in das Buch reinzukommen und es hat bis zur Hälfte gedauert – bei einem Buch über 500 Seiten nicht gerade wenig -, bis sich ein Lesefluss eingestellt hat. Das lag zum einen an der Fülle der literarischen Figuren, die da auftauchen und auf deren Kontext und Charakter verwiesen wird. Zum Glück kannte ich die meisten davon, aber auch dann war es schwierig, alles aus dem Gedächtnis auszukramen und in einen Zusammenhang zu bringen. Die Autorin mag zwar Dozentin für englische Literatur sein, ich bin es nicht. Es ist also ein recht anspruchsvolles Unterfangen, dieses Buch zu lesen, wenn man die ganzen Beziehungen untereinander und die literarischen Querverweise verstehen will und auf gar keinen Fall eine leichte Lektüre für zwischendurch.
Dass es bis zur Hälfte gedauert hat, ins Buch reinzukommen, heißt aber, dass es mich dann irgendwann auch gepackt hat.
Wenn man sich auf diese magische Welt einlässt, ist das ein durchaus sehr spannender und actionreicher Roman, der in der zweiten Hälfte richtig Fahrt aufnimmt. Mit dem Ende war ich an einigen Stellen nicht so glücklich, aber es war auf jeden Fall eine runde Sache mit Potential zu Teil 2. Insgesamt habe ich das Buch gerne gelesen, obwohl es mir von allem ein bisschen zu viel war. Zu viele Figuren, zu viele Verweise, zu viel um die Ecke gedacht. Ein bisschen weniger von allem hätte ich angenehmer gefunden.
H.G. Parry: Die unglaubliche Flucht des Uriah Heep. München: Heyne Verlag, 2020 (Orig. 2019)