
Ein halbes Jahr später, Sommer 1948.
Der Wiederaufbau Deutschlands ist in vollem Gange, aber immernoch ähnelt Dresden einer Ruinenstadt. Dieses Nebeneinander von Baustellen und Ruinen bildet die Kulisse des neuen Kriminalfalls, bei dem ein vierzehnjährger Junge ums Leben gekommen ist. War es ein tragischer Unfall oder hat da ein Dritter seine Hände mit im Spiel?
Als Heller die Ermittlungen im Umfeld des Jungen aufnimmt, stößt er auf eine Reihe von Ungereimtheiten. Vor allem die Familie des Jungen gibt Anlass zu weiteren Nachforschungen. Offensichtlich waren das Opfer und seine Geschwister regelmäßigen Misshandlungen ausgesetzt. Auch die Mutter zeigt eine Reihe von Verletzungen, schweigt jedoch zur Ursache. Stark verdächtigt wird der ständig alkoholisierte Vater, der traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Aber hat er auch mit dem Tod des Jungen zu tun?
Auch in diesem Teil macht Heller ein Themenfeld auf, dass so tragisch wie erzählenswert ist. Das Schicksal der zerissenen Familien, die jahrelang ohne den Vater zurechtkommen mussten und nach seiner Rückkehr mit einem Familienoberhaupt konfrontiert waren, das der Krieg innerlich zerstört hat. Nicht selten war die Familie der Blitzableiter für unbearbeitete Trauer und Wut, häufig in Kombination mit exzessivem Alkoholkonsum.
Dass die Kinder hier in besonderem Maße Leidtragende waren, versteht sich ohne viele Worte. Nicht nur war das Schlagen von Kindern zu diesem Zeitpunkt noch ein gängiges Erziehungsmittel, es gab auch nur eingeschränkte Resourcen, um bei Fällen ausgeprägter häuslicher Gewalt einzugreifen. Auch war die Konsequenz, eine Unterbringung im Kinderheim, keine wirkliche Alternative. Oft waren die damaligen Kinderheime ebenfalls eine Stätte von Gewalt und Demütigung.
Aber auch das Problem der Frauen ist kein triviales. Zu vielen war im Krieg der Kontakt nur sporadisch bzw. jahrelang abgebrochen, sie galten als vermisst oder gefallen. Und plötzlich kehren sie zurück und sind nicht mehr die, die sie einst waren. Manche Frauen hatten sich aus Einsamkeit oder aus dem Wunsch nach einem Versorger bereits anderweitig orientiert. Gelegentlich gab es bereits neuen Nachwuchs, das als Kuckuckskind für weitere Konflikte sorgte. Nicht zu vergessen die Kinder, die das Resultat einer Vergewaltigung waren.
All das sind wichtige Themen, die in diesem Band angesprochen werden und ihn lesenswert machen, auch wenn hier zum Ende hin wieder die bereits bekannte Ereigniseskalation um sich greift. Ich musste einige Seiten direkt zweimal lesen, um die ganzen Verwicklungen zu verstehen. Für meinen Geschmack mal wieder zu viel des Guten.
Das zieht sich leider für mich durch diese Serie, dass es zum Ende hin schwächelt und sich die Geschichte in einem Zuviel an Konstruktion und Aktion verliert. Ich hoffe, das kriget er in den nächsten Bänden noch besser in den Griff.
Frank Goldammer: Vergessene Seelen.München: dtv, 2018