Hiromi Goto: Der Chor der Pilze

Drei Frauen, drei Generationen. Eine japanische Einwandererfamilie in Kanada. Während Keiko versucht, ihre Wurzeln abzuschütteln und sich in die neue Gesellschaft zu assimilieren, verweigert sich ihre Mutter Naoe konsequent der neuen Kultur. Tagaus, tagein sitzt sie im Flur auf einem Stuhl und murmelt japanisch vor sich hin. Die Enkelin Muriel versteht kein Wort, denn sie hat die Sprache ihrer Vorfahren nie gelernt, fühlt sich mit der Großmutter aber innerlich sehr verbunden. Oft sucht sie dort die Nähe, die ihr bei der gestressten Mutter fehlt.
Diese mentale Verbindung besteht auch noch weiter, als die Großmutter plötzlich aufsteht und beschließt, dieses fremde Leben hinter sich zu lassen. Sie verlässt wortlos das Haus und gilt seitdem als vermisst. Die Mutter stürzt dieser Verlust in eine tiefe Depression.

Für mich war es vor allem eine Freude, in diesem Buch die ewig vor sich hinmurmelnde Großmutter zu verfolgen, die in den Augen der Tochter eine nicht ernstzunehmende, demente Alte ist, es aber faustdick hinter den Ohren hat. Während sich Keiko für das Relikt aus einer alten Zeit schämt, übt die Großmutter einen stillen Widerstand aus. Sie verweigert die neue Sprache, obwohl sie diese durchaus beherrscht, lässt sich getrockneten Fisch aus der Heimat schmuggeln und züchtet Motten in den Falten ihrer Kleidung. Ein Albtraum für ihre auf Reinlichkeit bedachte Tochter, die von diesen stillen Attacken nichts ahnt. Also für mich war die aufsässige Oma der Sympathieträger schlechthin und hat mich des öfteren zum Schmunzeln gebracht.
Vergleichsweise wenig konnte ich mit den anderen beiden Frauenfiguren anfangen, der überangepassten Keiko und der Enkelin zwischen den Stühlen, die für mich farblos geblieben ist.
Neben den humorigen Passagen liefert dieser Roman aber auch sehr viel ernste Themen und vielleicht ist es ganz gut, dass die skurille Oma dem Ganzen ein bisschen die Schwere nimmt.

Themen wie kulturelle Entwurzelung, Heimatlosigkeit, Identitätssuche und der Mutter-Tochter-Konflikt, der sich durch die Generationen zieht, begegnen einem in diesem Buch. In dem sehr viel Tragik liegt, den erst der Verlust schafft hier eine Nähe, die vorher schmerzlich vermisst oder unterdrückt wurde. Für mich ein lesenswertes Buch, obwohl ich streckenweise Mühe hatte, den vielen Gedankensprűngen zu folgen. Des öfteren war man sich nicht sicher, aus wessen Perspektive gerade berichtet wird. Auch bleibt am Ende offen, ob die Erlebnisse der geflüchteten Oma tatsächlich so passieren oder nur in ihrem Kopf stattfinden. Wohl eher letzteres. Also ein nicht immer einfaches Unterfangen für den Leser, aber durchaus der Mühe wert.

Bewertung: 3.5 von 5.

Hiromi Goto: Der Chor der Pilze. Bad Berka: Cass Verlag, 2020 (Original 1994)

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