
„Zu viert müssen sie mich festhalten. Vielleicht auch zu fünft. Ob ein Paar der vielen Hände zu meinem Vater gehört, ist nicht sicher, meine Augen sind fest verschlossen.„
Wer nach diesen ersten Sätzen Schlimmstes befürchtet, ist fast schon ein bisschen erleichtert nur wenige Zeilen später zu erfahren, dass es hier „nur'“ darum geht, einem kleinen Mädchen Augentropfen zu verabreichen, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Nur in Anführungszeichen, denn sie verliert diesen Kampf.
Jahre später wundert sich der Vater, warum sie sich so problemlos Kontaktlinsen einsetzen kann. Sie erklärt, „dass der entscheidende Unterschied zwischen den Augentropfen und den Kontaktlinsen darin besteht, dass ich es bin, die in mein Gesicht fasst.„
Wobei wir direkt beim Thema wären, denn um weibliche Selbstfindung und die Selbstbestimmung über sich und den eigenen Körper geht es in diesem Buch.
Und das habe ich wirklich gerne gelesen, denn es hat eine sehr angenehm leichte Sprache ohne den analytisch-erklärenden oder auch anklagenden Tonfall, den Bücher aus diesem Themenspektrum gerne mal haben. Vielmehr waren die Schilderungen wie die Plauderei einer guten Freundin über die alltäglichen Dramen des Erwachsenwerdens und den mitunter steinigen Weg der Entwicklung vom kleinen Mädchen zur Frau.
Nur leider war dieser angenehme Monolog in Buchform nach gut 150 Seiten auch schon wieder zu Ende, was für mich auch der wesentliche Kritikpunkt an diesem Roman ist. Die Geschichte ist für mich schlichtweg nicht zu Ende erzählt, als wäre der Autorin auf halber Strecke die Puste bzw. der Erzählstoff ausgegangen. Gefühlt bricht die Story mitten in der Handlung ab.
Konsequenterweise endet das Buch auch sprachlich mit einem Cut, dem Ende einer Filmszene. „Schnitt, sage ich.„
So bleibt ein Kurzfilm, aber ein guter.
Esther Becker: Wie die Gorillas. Berlin: Verbrecher Verlag, 2021