Esther Kinsky: Rombo

Rombo ist die Bezeichnung für das Geräusch, das einem Erdbeben vorangeht – ein dumpfes Grollen tief unter der Erde. Es steht für den Gegenstand dieses Romans – die Erdbeben von 1976 in Norditalien, die zahlreiche Städte im Friaul schwer zerstört und knapp tausend Menschen das Leben gekostet haben. Sieben Bewohner*innen eines abgelegenen Bergdorfes berichten von den Spuren, die dieses Ereignis in ihrem Leben hinterlassen hat.

Ich kann mich nicht erinnern, dass mich ein Roman schon mal auf so ungewöhnliche Art berührt hat. Denn hier geht es nicht um individuelle Lebensschicksale oder um einen dramatischen Handlungsverlauf, der einen emotional mitnimmt.
Dieses Buch kommt ohne großes Getöse aus und im Gegenteil, sehr leise daher. Das mag auf den einen oder anderen vielleicht etwas handlungsarm wirken. Ebenso wie die Zeichnung der Charaktere, über die man vergleichsweise wenig erfährt.
Das könnte darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Buch wahrhafte Schätze verborgen sind.

Für mich war diese Geschichte wie ein ruhiger Spaziergang, an dem es hinter jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gibt. Beim Lesen habe ich mich sehr entschleunigt gefühlt, das hatte schon etwas Meditatives. In jedem Kapitel lenkt die Autorin den Blick der Leser*innen in eine bestimmte Richtung und lässt einen dort verweilen. Und je genauer man dann hinschaut, desto mehr tut sich einem auf.
Dieses Buch ist ein Zusammenspiel von Naturbeschreibungen, wissenschaftlichen und historischen Abhandlungen, Märchen und Mythen, gepaart mit den Berichten der Überlebenden. Dabei wechselt nicht nur der Focus, sondern auch die Erzählebenen, was auf mich aber dennoch sehr harmonisch gewirkt hat.
Dass dies trotz der bruchstückhaften Erzählweise gelingt, liegt im Wesentlichen an der sprachlichen Leistung der Autorin und der besonderen Komposition dieses Romans. Schriftstellerisch auf ganz hohem Niveau und zu Recht für den Buchpreis nominiert.

Dieses Buch war für mich ein absoluter Gewinn, da es einen förmlich erdet. Es lässt einen auf eine Art demütig werden angesichts den Gewalten der Natur und verweist den Menschen auf seinen Platz. Und das ist angesichts der aktuellen klimatischen Entwicklung vielleicht wichtiger denn je.

Bewertung: 4.5 von 5.

Esther Kinsky: Rombo. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2022

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