
„Es gibt keinen Ort, der universeller ist als das kleinste Dorf.“
Bereits der erste Satz des Klappentextes beschreibt, worum es in diesem Buch geht. Dem ganz besonderen Mikrokosmos in einem kleinen spanischen Dorf mit nur vier Straßen, einer Kirche und einem Einkaufsladen. Ein Ort, an dem jeder jeden kennt. Und an dem die Zeit stehenzubleiben scheint.
Welch eine willkommene Abwechslung, als ein Mann im Dorf erscheint, dem sein Hund entlaufen ist. Ausgerechnet im angrenzenden Wald will er den Hund suchen. Wo doch jede*r im Dorf weiß, dass keiner aus diesem Wald lebend wieder herauskommt.
Von dieser und anderen Universalitäten ihres Dorfes erzählte Lea dem ahnungslosen Fremden – bei einer Zigarette auf der Bank in der Nachmittagssonne. Oder auch zwei oder drei…
Tatsächlich besteht das gesamte Buch aus Leas Monolog mit dem Fremden, in dem sich das gesamte gesellschaftliche Leben des Dorfes ausbreitet. Das könnte auf den ersten Blick ziemlich handlungsarm wirken, die Konstruktion ist aber erstaunlich tragfähig. Das liegt vor allem an den interessanten Themen, die im Rahmen dieses Monologs angerissen werden. Den Abhängigkeiten, Wünschen und Sehnsüchten Leas und der anderen Dorfbewohner*innen, ihren Beziehungen untereinander, den überholten Traditionen, der geistigen Enge und dem Wunsch, alles hinter sich zu lassen. Und die Angst davor.
„Lieber das bekannte Übel, als das unbekannte Gute“ ist das Motto des Dorfes, mit dem sich Lea immer weniger abfinden kann.
Wäre da nicht ihre Schwester, die aufgrund schwerer geistiger und körperlicher Beeinträchtigungen auf Leas tägliche Hilfe angewiesen ist…
Was mir an dem Buch so gut gefallen hat, sieht man eigentlich schon am Cover – es strahlt ganz viel Wärme aus. Als würde man selbst in der Nachmittagssonne sitzen und einer (etwas längeren Erzählung lauschen). Trotz Leas Distanz zur dörflichen Enge und vieler negativer Gedanken spürt man immer wieder ihre Zuneigung und Verbundenheit gegenüber den Dorfbewohner*innen.
Und das in einer wunderbar klaren, bildhaften Sprache, die gerade in ihrer Einfachheit viele starke Sätze und Passagen produziert. Dazu passt auch ihre zum Teil derbe Art, bei der sie auch kein Blatt vor den Mund nimmt. Gerade ihre abwertenden Gedanken in Bezug auf ihre Schwester haben Kritik ausgelöst, vielleicht auch nicht zu Unrecht. Aber ich denke, dass es durchaus Gedanken sind, die in solchen Situationen aufkommen können. Nur sind sie gesellschaftlich extrem tabuisiert. Ich finde es im Kontext der Geschichte jedoch durchaus passend. Und sie spricht auch immer wieder ausgesprochen liebevoll über ihre Schwester, was man dabei nicht außer acht lassen sollte. Wahrscheinlich hat man in einer solchen Belastungssituation wirklich diese widersprüchlichen Gefühle in sich. Allerdings hat mich das Ende auch etwas irritiert, muss ich sagen. Das ist schon ziemlich harte Kost. Aber letztlich bleibt vieles auch offen und der Fantasie der Leser*innen überlassen.
Elisa Levi: Anderes kenne ich nicht. Berlin: Trabanten Verlag, 2022