Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume

Berlin 1939: Während sich auf der politischen Bühne der zweite Weltkrieg anbahnt, führt der Psychoanalytiker und Traumforscher Simon Krauss ein komfortables Leben. Während er seine reichen Klientinnen verführt, lässt er sich gleichzeitig für sein Stillschweigen gut bezahlen. Denn sie sind allesamt Frauen der Nazi-Elite und haben viel zu verlieren.
Als eine von ihnen grausam ermordet wird, sucht der SS-Offizier Beween Antworten bei dem Psychoanalytiker. Und tatsächlich hatten einige seiner Patientinnen, allesamt Mitglieder im elitären Club der Adlon-Damen, vor ihrem Tod verstörende Träume, in denen derselbe bedrohliche Mann erschien.
Als weitere Frauen aus dem Kreis der Adlon Damen ermordet aufgefunden werden, wird Krauss immer mehr in die Ermittlungen der Gestapo verstrickt. Gemeinsam mit Beween und der Psychiaterin Minna von Hassel begibt er sich auf die Spur des Mörders…

Ich liebe ja Kriminalfälle in einer historischen Kulisse und wenn sie in meiner Heimatstadt Berlin spielen, umso besser. Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist ebenso gut gewählt, denn hier passieren schon an sich so viele erschreckende Dinge, dass man eigentlich gar keinen Kriminalfall braucht. Nun gibt es hier einen und der ist außergewöhnlich gut.
Besonders gefallen hat mir dabei, dass er inhaltlich sehr gut mit den ideologischen und politischen Entwicklungen dieser Zeit verknüpft ist. Das historische Setting ist also nicht nur eine interessante Kulisse, sondern aufs engste mit dem Kriminalfall verknüpft. Das war ausgesprochen gut gemacht, eine intelligent Konstruktio, die in sich schlüssig und überzeugend ist. Lediglich zum Ende hin gab es einen Aspekt, der für meinen Geschmack ein bisschen drüber war, was aber der Geschichte als solcher nicht groß geschadet hat.

Also unterm Strich ein ausgesprochen niveauvoller und durchweg spannender Thriller, für den ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen kann!

Besonders gelungen finde ich auch das ‚Ermittlertrio wider Willen‘, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Jeder Charakter ist auf seine Art sehr speziell und grandios ausgearbeitet, ohne zu sehr von der eigentlichen Geschichte abzulenken. Eher durch Zufall zusammengewürfelt ergeben sie das perfekte Team. Das macht Lust, noch mehr von diesem Trio zu hören. Überhaupt ist es mir gerade ein Rätsel, warum ich nach den ‚Purpurenen Flüssen‘ nicht noch mehr von diesem Autor gelesen habe … muss ich dringend nachholen!

Bewertung: 4.5 von 5.

Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume. Stuttgart: Tropen Verlag, 2023

Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Ein namenloses Dorf im Mittelalter: Nach einem Massaker, begangen vom eigenen Vater, ist der elfjährige Martin der einzige Überlebende seiner Familie. Gemeinsam mit seinem schwarzen ist der Junge sich selbst überlassen, denn die abergläubischen Dorfbewohner sehen in dem Hahn den Teufel. Als ein wandernder Maler in das Dorf kommt, entschließt sich Martin mit ihm zu ziehen. Auf seinem Weg muss er mit ansehen, wie ein schwarzer Reiter ein Neugeborenes entführt – so wie schon viele Jahre zuvor. Martin begibt sich auf die Spur der verschwundenen Kinder und begegnet ungeahnten Abgründen…

Ich lese ja gerne Geschichten, die im Mittelalter spielen und auch hier ist die Stimmung und die Lebensumstände der damaligen Zeit sehr eindrücklich eingefangen. Erschreckend, wie verbreitete die schlimmsten Formen der Gewalt, Armut und Krankheit zu dieser Zeit waren. Erschreckend aber auch die Grausamkeit und Willkür der zum Teil völlig verrückten Adligen.
Die Geschichte um den unerschrockenen Martin, der sich trotz aller Widrigkeiten nicht unterkriegen lässt und mit seiner Intelligenz auch den Stärksten trotz, hat mir sehr gut gefallen. Die Geschichte ist durch ihren Erzählstil im Präsens sehr intensiv, wozu auch die kurzen Sätze und der vergleichsweise geringe Seitenumfang des Buches beiträgen. Das lässt die Geschichte noch stärker wirken.
Besonders gefallen hat mir auch das Erlkönig-Motiv, das hier aufgegriffen wird.
Ein sehr gelungenes Debüt!

Bewertung: 4.5 von 5.

Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn. Zürich: Diogenes, 2021

Peter Grandl: Turmgold

Nach einer dramatischen Geiselnahme vor zehn Jahren beherbergt der Turm, ein ehemaliger Hochbunker aus dem zweiten Weltkrieg, eine jüdische Kindertagesstätte. Karl Rieger, eine Schlüsselfigur des damaligen Überfalls, hat seiner nationalsozialisten Vergangenheit abgeschworen und lebt zurückgezogen im Zeugenschutzprogramm. Die Schrecken der Vergangenheit scheinen vergessen zu sein, bis erneut rechtsextreme Terroristen in den Turm eindringen und zehn Kinder und ihre beiden Betreuerinnen als Geiseln nehmen. Ihre Forderung: die Herausgabe ihres alten Kameraden Rieger, der zum Verräter geworden ist.
Doch auch andere haben den Turm ins Visier genommen, denn er beherbergt offenbar mehr als einen Kindergarten…

Der erste Band der Reihe schaffte es 2020 direkt unter die Top 3 meiner Jahreshighlights in der Kategorie Thriller/Krimi. Da war ich natürlich gespannt, ob der Nachfolger da mithalten kann. Und um es gleich vorweg zu sagen: er kann. Und wie.

Was ich an dieser Reihe so mag ist, dass einem hier nicht nur kein Thriller-Fastfood serviert wird, über dessen Inhalt man lieber nicht genauer nachdenken sollte, sondern im Gegenteil sogar mit der Intelligenz der Leser:innen gerechnet wird. Die Ausführungen zur rechtsradikalen Szene sind nicht nur ausgesprochen interessant, sondern ganz nah an der Realität bzw stimmen in Teilen auch mit ihr überein. Und das ist umso bedrückender, da die Anzahl der antisemitischen Straftaten in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Ein wichtiges und hochaktuelles Thema, dass mich schon für sich sehr gefesselt hat.
Nun ist das hier aber kein Sachbuch, sondern ein Thriller und wird diesem Anspruch auch zu 100 Prozent gerecht.
Er ist durchgängig extrem spannend und mit den unterschiedlichen Handlungssträngen gut konstruiert. Auch wenn die Thematik zum Teil recht spektakulär ist, wirkt alles in sich schlüssig und glaubwürdig. Auch das Ende war für mich so überraschend wie stimmig. Schön, dass sich die bekannten Charaktere und Themen durch die Reihe ziehen und man das eine oder andere wohl auch im dritten Teil wiederfinden wird. Beispielsweise das unsägliche Verhalten der Medien – ein weiteres wichtiges Thema, das sich durch die Reihe zieht. Also, Begeisterung für dieses Buch geht raus – mit dem kleinen Zusatz, dass es für mich den Handlungsstrang um Marie nicht gebraucht hätte. Das war mir persönlich zu viel. Aber das scheint wohl noch eine weitere Rolle zu spielen, von daher – beide Daumen hoch.

Bewertung: 4.5 von 5.

Peter Grandl: Turmgold. München: Piper, 2022

Anthony Marra: Die niedrigen Himmel

Mit diesem Buch verbindet mich eine längere Geschichte. Nachdem das Buch viele Jahre im Regal stand, schien mir im März, kurz nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine, der richtige Zeitpunkt dafür. Denn es ist ein Buch über den Krieg – den ersten und zweiten Tschetschenienkrieg.
Doch schon nach den ersten Kapiteln musste ich es erstmal zur Seite legen und danach auch immer wieder, so dass sich das Lesen über viele Monate hingezogen hat. Mich hat das Lesen unterschwellig so belastet, dass ich es mir innerlich vom Leib halten musste und so nicht wirklich in die Geschichte reingekommen bin. Dazu kommt, dass das Buch in den Zeiten hin- und herspringt, so dass man schon recht aufmerksam lesen muss. Und das möglichst auch ohne größere Pausen, damit man nicht den Faden verliert, denn die Geschichte ist in ihrem historischen Kontext schon komplex. Spätestens im letzten Drittel hab ich jedoch gemerkt, dass ich hier etwas ganz Besonderes in den Händen halte. Und so hab ich nach der letzten Seite an den Anfang zurückgeblättert und von neuem begonnen. Und diesmal erst wirklich erlebt, was dieses Buch für ein ungeheurer Schatz ist.

Es ist die Geschichte von Achmed, der die Tochter seines Freundes Dokka vor den russischen Besatzern in Sicherheit bringt. Dieser ist in die berüchtigte Deponie verschleppt worden – ein Folterlager der Föderalen, das kaum einer lebend verlässt.
Es ist die Geschichte der Ärztin Sonja, die in einem verfallenen Krankenhaus Minenopfer verarztet und verzweifelt nach ihrer verschollenen Schwester Natascha sucht.
Und es ist die Geschichte Nataschas, die als Sexsklavin nach Italien verschleppt wird.

Dieses Buch hat mich in jeder Beziehung an meine Grenzen gebracht. Ich habe sehr mitgelitten, gleichzeitig aber auch die Hoffnung und die Mitmenschlichkeit gespürt, die den Protagonist:innen auch unter den schlimmsten Bedingungen nicht verlorengeht. Es gehört zu den bewegensten Büchern, die ich jemals gelesen habe und hat mich mehrfach zu Tränen gerührt. Und das umso mehr, da ein wesentlicher Teil dieser fiktiven Geschichte auf Tatsachenberichten beruht.

Ein Buch, dass noch lange in mir nachhallen wird und dem ich viele Leser:innen wünsche.

Bewertung: 4.5 von 5.

Antony Marra: Die niedrigen Himmel. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2014

Alex Schulman: Verbrenn all meine Briefe

Letztes Jahr hat Alex Schulman mit ‚Die Überlebenden‘ in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht. Mit diesem Roman gelang ihm 2018 in Schweden der Durchbruch, der nun in der deutschen Übersetzung vorliegt.

Dies ist ein sehr persönliches Buch, denn der Autor schreibt hier über ein Gefühl, unter dem er zunehmend leidet und das die Beziehung zu seiner Familie vergiftet: das Gefühl der Wut.
Um der Ursache dieser Wut auf den Grund zu gehen, taucht der Autor tief in seine eigene Familiengeschichte ein und stößt auf eine tragische Liebesgeschichte, in deren Zentrum seine Großeltern und ein bekannter Schriftstellerkollege des Großvaters stehen.
Schulmans Großvater, ebenfalls eine bekannte literarische Größe, war nicht nur unter den Kollegen, sondern auch im Familienkreis wegen seiner Wutausbrüche und Scharfzüngigkeit gefürchtet.
Anhand von authentischen Tagebuchauszügen und Briefen rekonstruiert Schulman eine dramatische Liebesgeschichte, die die Stimmung in der Familie über Generationen nachhaltig beeinflussen wird.

Wow, was für ein Buch!
Mir hatte ja schon ‚Die Überlebenden‘ gut gefallen, von daher hatte ich auch hier mit einem guten Buch gerechnet, aber nicht damit. Zumindest nicht bei dieser Thematik.
Denn dieses Buch ist spannender als mancher Krimi und von einer ganz besonderen Intensität. Der Autor baut die Geschichte ganz langsam auf, ausgehend von seiner eigenen Verzweiflung an sich selbst. Die Passagen der Gegenwart wechseln sich mit den Erinnerungen des Autors an seine Großeltern und den Briefen und Tagebucheinträgen ab. Dabei dringt der Autor immer mehr zu den damaligen Ereignissen vor und das hat durchaus eine detektivische Komponente, die mich völlig in den Bann gezogen hat. Ich hab das Buch mehr oder weniger in einem Zug durchgelesen.

Sehr vieles ist mir dabei durch den Kopf gegangen. Ich war beeindruckt von der Grundmotivation des Autors, der eigenen Betroffenheit. Traurig über das Schicksal der Großmutter, empört über das Verhalten des Großvaters und sehr, sehr berührt von der Tragik dieser Liebesgeschichte.

Das Wissen, dass der Roman auf wahren Begebenheit beruht, macht diese Geschichte noch intensiver. Ein Buch, dass ich aus vollem Herzen empfehlen kann.

Bewertung: 4.5 von 5.

Alex Schulman: Verbrenn all meine Briefe. München: dtv, 2022 (Schwedische Originalausgabe 2018)

Fatma Aydemir: Dschinns



Als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, hat Hüseyin nur einen Traum: einmal mit der Familie zurückzukehren, in eine Eigentumswohnung in Istanbul. Und nach dreißig Jahren scheint sich dieser Traum zu erfüllen. Doch am Tag des Einzugs stirbt er völlig unerwartet.
Zur Beerdigung reisen seine mittlerweile erwachsenen Kinder an, sowie seine Frau Emine. Und jeder von ihnen hat seine ganz eigene Geschichte im Gepäck…

Bereits der Anfang dieser Geschichte hat mir die Tränen in die Augen getrieben, denn es ist so unfassbar tragisch. So viele Jahre arbeitet der Familienvater hart für seinen Traum und dann zerplatzt er in dem Moment, wo er endlich am Ziel angekommen ist.
Doch auch die ganz unterschiedlichen Lebenswege seiner vier Kinder und seiner Frau haben mich sehr berührt. Jedes Familienmitglied bekommt in einem Kapitel seine eigene Bühne und Raum für seine ganz persönliche Geschichte. Jede ist dabei sehr individuell und besonders.
Daran hat es teilweise Kritik gegeben. Es wurde in einigen Rezensionen bemängelt, dass hier zu viel Ungewöhnliches, zu viel Konfliktpotential in einer Familie zusammengefasst wurde. Wahrscheinlich ist es in der Form auch nicht die durchschnittliche türkische Familie. Aber für mich ist es genau richtig so, denn die Thematik bekommt dadurch einen ganz speziellen Fokus.
Der Roman beleuchtet in sehr eindrücklicher Weise, was passieren kann, wenn man bei der Verwirklichung seiner Träume nicht mit den ganz anderen Lebenswelten und Bedürfnissen seiner Kinder rechnet. Und mit denen seiner Frau.
Natürlich kennt man diese Geschichten über Gastarbeiterfamilien, die Konflikte der nächsten Generation. Aber durch dieses Buch beginnt man auch im Herzen zu verstehen, was das bedeutet. Mir ist diese Geschichte sehr nahe gegangen und hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Über das Ende kann man geteilter Meinung sein. Für einige ist es übers Ziel hinausgeschossen und dieser Gedanke kam mir auch. Aber letztlich schließt sich hier der Kreis und führt wieder an den Anfang zurück. Und unter dem Blickwinkel ist es sogar ausgesprochen stimmig. Ein großartiges Buch und mein persönlicher Siegertitel.

Bewertung: 4.5 von 5.

Fatma Aydemir: Dschinns. München: Hanser Verlag, 2022

Esther Kinsky: Rombo

Rombo ist die Bezeichnung für das Geräusch, das einem Erdbeben vorangeht – ein dumpfes Grollen tief unter der Erde. Es steht für den Gegenstand dieses Romans – die Erdbeben von 1976 in Norditalien, die zahlreiche Städte im Friaul schwer zerstört und knapp tausend Menschen das Leben gekostet haben. Sieben Bewohner*innen eines abgelegenen Bergdorfes berichten von den Spuren, die dieses Ereignis in ihrem Leben hinterlassen hat.

Ich kann mich nicht erinnern, dass mich ein Roman schon mal auf so ungewöhnliche Art berührt hat. Denn hier geht es nicht um individuelle Lebensschicksale oder um einen dramatischen Handlungsverlauf, der einen emotional mitnimmt.
Dieses Buch kommt ohne großes Getöse aus und im Gegenteil, sehr leise daher. Das mag auf den einen oder anderen vielleicht etwas handlungsarm wirken. Ebenso wie die Zeichnung der Charaktere, über die man vergleichsweise wenig erfährt.
Das könnte darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Buch wahrhafte Schätze verborgen sind.

Für mich war diese Geschichte wie ein ruhiger Spaziergang, an dem es hinter jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gibt. Beim Lesen habe ich mich sehr entschleunigt gefühlt, das hatte schon etwas Meditatives. In jedem Kapitel lenkt die Autorin den Blick der Leser*innen in eine bestimmte Richtung und lässt einen dort verweilen. Und je genauer man dann hinschaut, desto mehr tut sich einem auf.
Dieses Buch ist ein Zusammenspiel von Naturbeschreibungen, wissenschaftlichen und historischen Abhandlungen, Märchen und Mythen, gepaart mit den Berichten der Überlebenden. Dabei wechselt nicht nur der Focus, sondern auch die Erzählebenen, was auf mich aber dennoch sehr harmonisch gewirkt hat.
Dass dies trotz der bruchstückhaften Erzählweise gelingt, liegt im Wesentlichen an der sprachlichen Leistung der Autorin und der besonderen Komposition dieses Romans. Schriftstellerisch auf ganz hohem Niveau und zu Recht für den Buchpreis nominiert.

Dieses Buch war für mich ein absoluter Gewinn, da es einen förmlich erdet. Es lässt einen auf eine Art demütig werden angesichts den Gewalten der Natur und verweist den Menschen auf seinen Platz. Und das ist angesichts der aktuellen klimatischen Entwicklung vielleicht wichtiger denn je.

Bewertung: 4.5 von 5.

Esther Kinsky: Rombo. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2022

Chris Carter: Blutige Stufen

Detektiv Hunter und sein Kollege Garcia sind Extreme gewohnt. Immerhin arbeiten sie seit vielen Jahren in der Ultra Violent Crimes Unit des Los Angeles Police Departements. Aber der Tatort, an den sie gerufen werden, verschlägt selbst ihnen die Sprache. Dieser Täter hat eine Botschaft und ein Ziel. Er möchte eine Lektion erteilen.

Wow, auf einen Thriller wie diesen hab ich gewartet. Vor einigen Jahren hab ich den ersten Band der Reihe gelesen, sie dann aber nicht weiter verfolgt. Warum auch immer. Zum Glück habe ich beim aktuellen Band nochmal zugegriffen. Denn sonst hätte ich einen der besten Thriller verpasst, die ich jemals gelesen habe.

Unfassbar spannend von der ersten bis zur letzten Seite und mit einer Story, die es in sich hat. Dem Autor gelingt es auf geniale Art, mit den größtmöglichen Ängsten der Leser:innen zu spielen. Das hat absoluten Gänsehautfaktor und sensible Menschen sollten es vielleicht auch nicht lesen, wenn sie abends alleine zu Hause sind. Aber die müssen sich sowieso auf einiges gefasst machen, denn hier geht es ziemlich blutig zu, wie der Titel schon sagt.
Eigentlich mag ich extrem brutale Geschichten nicht. Zum einen finde ich Splatter und Co ziemlich abstoßend. Zum anderen wird in Thrillern oft darauf zurückgegriffen, um eine dünne Story auszugleichen. Das hat der Autor hier nicht nötig. Die Geschichte ist inhaltlich auf einem hohen Niveau und macht in dieser Konstruktion komplett Sinn. Auch wenn ich mich zwischendurch gefragt habe, ob das eine oder andere Detail in der Form so möglich ist. Aber im Großen und Ganzen ist es ist in sich stimmig und gerade das Ende ist wirklich gut gemacht. Und das Buch ist wirklich so spannend und mitreißend, dass ich da auch gerne ein Auge zudrücke.

Ich denke, dass dieser Geschichte sehr zu Gute kommt, dass der Autor als Kriminalpsychologe weiß, wovon er schreibt. Das macht seine Figuren glaubwürdig, auch wenn sie charakterlich nicht nicht bis ins Detail ausgearbeitet sind. Und wenn man dann noch gut schreiben kann, kommen Bücher wie dieses dabei heraus. Ganz großes Kino.

Bewertung: 4.5 von 5.

Chris Carter: Blutige Stufen. Berlin: Ullstein, 2022

Eva Menasse: Dunkelblum


Direkt an der ungarischen Grenze im österreichischen Burgenland liegt die kleine Gemeinde Dunkelblum, auf den ersten Blick eine ganz normale Kleinstadt. Doch hinter der gutbürgerlichen Fassaden verbirgt sich die Geschichte eines Verbrechens, in das eine Vielzahl der älteren Dorfbewohner verwickelt war. Das Wissen um die Ereignisse, die sich in den letzten Kriegsjahren ereigneten, verbindet die Dorfbewohner auf unheilvolle Weise.
Doch im Jahr 1989, einer Zeit des allgemeinen Umbruchs, statten verschiedene Fremde dem verschlafenen Dorf an der Grenze einen Besuch ab und beginnen, unangenehme Fragen zu stellen…

Ein wirklich gutes Buch offenbart sich oft schon auf der ersten Seite. Wenn es dem Autor gelingt, mit wenigen Sätzen eine Stimmung zu transportieren, die einen sofort ergreift und in die Geschichte zieht.
Genau das passiert hier. Schon nach der ersten Seite spürt man die unangenehme Atmosphäre dieses nach außen hin gutbürgerlichen Dorfes, hinter dessen Fassade es nur so brodelt. Die soziale Kontrolle und die Enge in diesem dörflichen Mikrokosmos war sehr gut herausarbeitet und zieht sich als düstere Stimmung durch das ganze Buch, ebenso wie das Grundthema: die kollektive Verdrängung einer großen Schuld.
Dass sich die Österreicher mit der Vergangenheitsbewälrigung mitunter schwer tun, ist nicht neu, aber selten wurde es literarisch so auf den Punkt gebracht wie in diesem Buch. Die Prozesse der Verdrängung und des Verschweigens, die so raumgreifend sind, weil so viele etwas zu verlieren haben.
Für mich war es erschreckend zu lesen, wie viele in diesem kleinen Dorf von der Vertreibung der Juden profitiert haben. Ich habe selten so eindrückliche Schilderungen der Judenvertreibung gelesen, die von einem Tag auf den anderen alles verlieren: Ihr Eigentum, ihr Dach über dem Kopf, ihre Familie, ihre Menschenwürde, ihr Leben.

Mich hat das Buch in jeglicher Hinsicht tief bewegt und erschüttert und wird sicher noch lange nachwirken. Ein wichtiges Buch, dass ich nur jedem wärmstens ans Herz legen kann.

Bewertung: 4.5 von 5.

Eva Menasse: Dunkelblum. Berlin: Kiepenheuer & Witsch, 2021

Isabel Allende: Das Geisterhaus

Ein höchst ungleiches Paar bildet den Eckpfeiler dieser umfangreichen Familiensaga. Da ist die sanftmütige, der Welt entrückte Clara, die mit Geistern spricht und über telepathische Fähigkeiten verfügt. Und als Gegenstück der Patriarch Esteban, ein ehrgeiziger Großgrundbesitzer, zutiefst konservativ, engstirnig und jähzornig.
Der Leser begleitet ihre Familie durch die Jahrzehnte vor dem Hintergrund der chilenischen Geschichte. Dem Aufstieg und Fall des Sozialismus und dem Militärputsch 1973, der Jahre des Terrors einläutet.

Ich hatte das Buch zum ersten Mal kurz vor dem Abitur gelesen und hatte neben vielen diffusen nur eine wesentliche Erinnerung: Dass es mir ausgesprochen gut gefallen hat.
Nun ist seitdem einige Zeit ins Land gegangen, mein abschließendes Fazit nach diesem reread ist aber nahezu identisch: ein großartiges Buch!
Ich mochte von Beginn an den bildhaften Erzählstil und die detaillierten Beschreibungen, die mich sofort in den Mikrokosmos dieser Familie versetzt haben. Wahrscheinlich hätte ich noch weitere 900 Seiten lesen können und nicht umsonst ging es allen aus unserer Leserunde so, dass sie gerne gewusst hätten, wie es mit Enkelin Alba weitergeht.
Ein Buch, dass mich nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich völlig in den Bann gezogen hat.
Das war eine literarisch eingebettete Geschichtsstunde aus erster Hand, handelt es sich doch bei Isabel Allende um eine regimekritische und politisch engagierte Journalistin und Verwandte Salvador Allendes. Auch wenn gerade die Gewaltszenen am Schluss nicht immer leicht zu verdauen waren, fand ich es wichtig, diese Einblicke in den berüchtigten Folterstaat zu bekommen.
Absolut gelungen war für mich auch die Herausarbeitung der Figuren. Jedes für sich ein Charakterporträt, das plastisch vor einem steht. Manche sind einem sehr nah, wie mir Clara; von manchen fühlt man sich zutiefst abgestoßen, wie beispielsweise vom jungen Esteban. Für mich waren die Charaktere in diesem Buch sehr greifbar und haben vieles an der Kraft erzeugt, die diese Geschichte ausmacht.

Bewertung: 5 von 5.

Isabel Allende: Das Geisterhaus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 1984 (span. Original 1982)