Colson Whitehead: Underground Railroad

Cora ist bereits auf der Baumwollplantage geboren – als Tochter einer Sklavin, der die Flucht gelungen ist. Immer wieder plagen sie die Gedanken, warum ihre Mutter sie zurückgelassen hat. Da hört sie von ihrem Freund Caesar von der Underground Railroad – einer geheimen Schleuserorganisation, die Sklaven auf der Flucht aus der Gefangenschaft hilft. Es bedeutet maximales Risiko, denn wer erwischt wird, hat Schlimmstes zu befürchten…

Und das ist keine Floskel, denn was hier als abschreckendes Beispiel mit den geflohenen Sklaven gemacht wird, ist nur schwer zu ertragen. Da der Autor diverse historische Quellen herangezogen hat, muss man davon ausgehen, dass all die geschilderten Grausamkeiten, die an den Sklaven verübt wurden, den Tatsachen entsprechen und das hat mich sehr erschüttert und aufgewühlt. Szenen, in denen der Plantagenbesitzer mit seinen Gästen „kultiviert“ beim Abendessen sitzt, während direkt neben ihnen ein Sklave ausgepeitscht und bestialisch umgebracht wird, sind an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten.
>>> Achtung: Ab hier nicht spoilerfrei!

Sehr gelungen finde ich, dass Whitehead in der Schilderung von Coras Flucht durch die verschiedenen Bundesstaaten nicht nur diese offensichtlichste und grausamste Variante des Rassismus zeigt, sondern auch seine verschiedenen Spielarten. Wie die vermeintliche Freiheit, die sich als freundliche Maske entpuppt und man sich bereits Gedanken macht, wie man die Vermehrung dieser „minderwertigen Rasse“ verhindern kann.
In diesem Sinne konsequent fand ich das offene Ende, das für den einen oder anderen vielleicht etwas unbefriedigend wirkt. Aber in übertragenen Sinne ist Coras Reise noch nicht zu Ende. Solange es Rassismus gibt, ist es nur eine weitere Variante des gleichen Missstands – Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe nicht als gleichwertig und gleichberechtigt zu behandeln.

Große Hochachtung hatte ich beim Lesen auch vor den Menschen, die sich unter Lebensgefahr für die Befreiung der Sklaven eingesetzt haben. Whitehead hat hier der Underground Railroad nochmal ein literarisches Denkmal gesetzt und dafür gebührt ihm große Anerkennung. Er ist zwar kritisiert worden, dass er das Schleusernetzwerk allzu wörtlich genommen und daraus eine Eisenbahnlinie gemacht hat, aber für meinen Geschmack kommt es auf die Message dahinter an und die ist definitiv angekommen. Ein wichtiges Buch, dass mich sehr berührt hat und mich noch weiter beschäftigen wird.

Bewertung: 4.5 von 5.

Colson Whitehead: Underground Railroad. Frankfurt/M.: Fischer Verlag, 2019 (Originalausgabe 2016, deutsch bei Hanser 2017)

Seishi Yokomizo: Die rätselhaften Honjin-Morde



Auch wenn man ihn hierzulande wahrscheinlich kaum bis gar nicht kennt, gehört Seishi Yakomizo in Japan zu den beliebtesten Autoren klassischer Kriminalromane. Dieses Buch ist der Auftakt einer Serie um den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi, die bereits 1946 in Japan erschienen ist.
Bei Blumenbar / Aufbau Verlage ist dieser Klassiker nun auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Darin geht es um ein grausames Verbrechen im Hause der angesehen Familie Ichiyanagi im Winter 1937. Der älteste Sohn und seiner frischvermählte Ehefrau werden noch in der Hochzeitsnacht ermordet. Das mysteriöse an dem Fall: das Verbrechen fand in einem von innen verschlossenen Raum statt…

Gleich zu Beginn war ich schon mal von der Erzählweise sehr angetan, denn hier berichtet eine Art Chronist von den schrecklichen Ereignissen in dem nicht näher benannten Dorf O. Auf diese Weise wird das Verbrechen schrittweise vor den Leser:innen ausgebreitet und man kommt nicht umhin, selbst mitzurätseln, wie sich diese seltsamen Morde zugetragen haben und wer dafür verantwortlich ist.
Nun kennt ja jede:r diese Rätsel, in denen sich irgendwer tot in einem verschlossenen Raum befindet und man herausfinden soll, wie dieser Mensch zu Tode gekommen ist und so ähnlich ist es auch hier.
Um ehrlich zu sein bin ich normalerweise kein Fan von diesen Rätseln, aber hier ist es etwas anderes. Denn das Rätsel ist eine wirklich gut erzählte Geschichte eingebettet.
Nun liegt es in der Natur dieser ‚Locked-Room-Murder-Mysterys‘, dass sie nicht ganz einfach zu durchschauen sind und schon mal um die Ecke gedacht werden muss. Von daher liegt die Auflösung auch hier nicht auf der Hand, ist aber sehr klug durchdacht und absolut glaubwürdig. Und das gilt noch viel mehr für die abschließend pråsentierte sentierte Motivlage des Täters. Selten war für mich ein Verbrechen in seiner Motivation so überzeugend erklärt wie hier. In seiner Art sehr speziell und gar nicht auf der Hand liegend, aber sensationell gut erklärt und aus dem Charakter des Täters hergeleitet.

Bewertung: 4.5 von 5.

Seishi Yokomizo: Die rätselhaften Honjin-Morde. Berlin: Blumenbar /Aufbau Verlage, 2022

Andreas Moster: Kleine Paläste

„Es ist nicht das erste Mal, dass der Hund versucht, mich umzubringen.“
Manchmal spürt man bereits beim ersten Satz: Das könnte ein Buch für mich werden…


Nach dem Tod seiner Mutter kehrt Hanno nach vielen Jahren in sein Elternhaus zurück, dass er nach einem Zerwürfnis verlassen hat, um seinen dementen Vater zu pflegen – den Mann, der ihn einst aus dem Haus getrieben hat.
An der Seite des hilflosen Altenpflegers: die Nachbarin Susanne, einst Hannos Jugendfreundin, die nach dem Tod ihrer Eltern dort wohnen geblieben ist. Nachdem sie jahrelang das Geschehen im Nachbarhaus durch das Fernglas beobachtet hat, hat sie nun freie Bahn, sich um die Person ihres gesteigerten Interesses zu „kümmern“: Hannos Vater Carl. Dass hier nicht pure Nächstenliebe im Spiel ist, merkt man spätestens bei den Rückblenden ins Jahr 1986, die regelmäßig in die Geschichte eingestreut werden. Ein Ereignis aus dieser Zeit lässt auch die Verstorbenen der beiden Familien nicht ruhen…

In meiner kleinen Leserunde haben wir uns schon gefragt, wie man die Vielschichtigkeit und feinen Nuancen in diesem Buch beschreiben soll. Tatsächlich eine Herausforderung. Vielleicht reicht es einfach zu sagen, dass der Autor ganz viele wichtige Themen in diesem Buch anschneidet und zwar nicht, indem er alles auf einen Haufen kippt und den Leser darunter erschlägt, sondern daraus ein Art Teppich webt, den man staunend beschreitet. Sprachlich geschickt hat er die Themen Generationenkonflikt, stereotype Geschlechterrollen, Pflege von Familienangehörigen, Demenz, Alkoholismus und dysfunktionale Familien miteinander verknüpft. Das große Thema des Romans ist jedoch ein anderes: das Wahren der gutbürgerlichen Fassade um jeden Preis. Für das große Schweigen hat Moster großartige Worte gefunden. Sehr eindringlich und absolut lesenswert.

Bewertung: 4.5 von 5.

Andreas Moster: Kleine Paläste. Hamburg: Arche Verlag, 2021

Nino Haratischwili: Das mangelnde Licht

Anlässlich eine Fotoretrospektive treffen die drei alten Freundinnen Keto, Nene und Ira wieder aufeinander. Gezeigt werden Bilder aus ihrer gemeinsamen Zeit in Georgien – aufgenommen von der Vierten im Bunde, die nicht mehr bei ihnen sein kann.
Beim Betrachten reflektiert Keto die Geschichte hinter den Bildern und entwirft so ein Bild von einem Staat im Umbruch, der ersten großen Liebe und einer tiefen Freundschaft.

Spätestens seit ‚Das achte Leben‘ kennt man Haratischwili als Autorin monumentaler Geschichten mit großem Seitenumfang. Tatsächlich erschlägt es einen aber nur vorab, als Respekt vor der Aufgabe sozusagen. Denn erstmal angefangen, spürt man eigentlich nur noch an der Schwere des Buchs, dass es so viele Seiten sind. Denn Haratischwilis Sprache ist so schön, dass es eine Freude ist und sich kein bisschen wie Arbeit anfühlt.

Auch in diesem Roman schafft sie es, einem die Figuren sehr nahe zu bringen. Und das nicht nur die Hauptpersonen, sondern auch die Nebenfiguren erwachen in diesem Roman quasi zum Leben und das ist für mich die ganz große Stärke der Autorin: die gute Ausarbeitung der Charaktere.
Gleiches gilt für die Darstellung der gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrem Heimatland Georgien, das eng mit der eigenen Geschichte verknüpft ist. Ich denke, dass hier auch sehr viele eigene Erlebnisse eingeflossen sind und das macht diesen Roman so authentisch.

Auch wenn mich ‚Das mangelnde Licht‘ nicht ganz so berührt hat, wie ‚Das achte Leben‘, hat dieses Buch wieder bestätigt, dass Harataschwili für mich zu den besten deutschsprachigen Autorinnen gehört.

Bewertung: 4.5 von 5.

Nino Haratischwili: Das mangelnde Licht. Frankfurt/Main: Frankfurter Verlagsanstalt, 2022

Simone Scharbert: Rosa in grau

Hier kommen die Stimmen zu Wort, die jahrelang weggesperrt und fast vergessen wurden. Mit der Betonung auf fast, denn die Sammlung Prinzhorn gibt ihnen einen Ort, gesehen und gehört zu werden. Den künstlerischen Werken von Psychiatriepatient:innen.
Simone Scharbert erzählt in ihrem Roman aus der Perspektive einer jungen Mutter, die Anfang der 50er Jahre in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert wird.

Die kurze Lesung auf der Frankfurter Buchmesse hat mich so gefesselt, dass ich mir sofort dieses Buch kaufen musste. Gerade der enge Zusammenhang mit den Exponaten der Sammlung Prinzhorn war für mich besonders eindrücklich – ich hatte zuvor noch nichts von dieser Ausstellung gehört. Die Autorin hat eine Reihe dieser Künstlerinnen und ihre Werke in ihrem Roman verarbeitet, auch wenn sie tatsächlich in unterschiedlichen Einrichtungen entstanden sind.

Sowohl die Thematik selbst als auch ihre Umsetzung hat mich sehr berührt, wozu die gewählte Ich-Perspektive wesentlich beigetragen hat. Ein tiefer Blick in die Gedankenwelt eines psychisch kranken Menschen und das so punktgenau und authentisch beschrieben, dass man schwören könnte, die Autorin hat das genau so erlebt.

Das Wunderbare an diesem Buch ist auch die fast schon poetische Sprache, bei der es einen gar nicht wundert, dass die Autorin auch Lyrikerin ist. Denn das spürt man immer wieder in den ausdrucksstarken, sehr bildhaften Beschreibungen.

Bewertung: 4.5 von 5.

Simone Scharbert: Rosa in grau. Dresden: Edition Azur, 2022

Benedict Wells: Hard Land

Grady ist eine kleine Stadt in Missouri, in der herzlich wenig passiert – vor allem in den Sommerferien. Um der Langeweile und den häuslichen Problemen zu entkommen, nimmt Sam einen Ferienjob in einem alten Kino an. Und trifft dort auf drei künftige Freunde, die sein Leben verändern werden. Alle drei werden zwar im Herbst die Stadt verlassen. Aber es bleibt ihnen dieser gemeinsame Sommer, in dem sich Sam so fühlt, wie er sich schon sein ganzes Leben lang fühlen wollte: „übermütig und wach und mittendrin und unsterblich.“

Als das Buch im letzten Jahr erschien, hat es hier einen derartigen Hype ausgelöst, dass ich erstmal Abstand genommen habe. Vor allem auch deshalb, weil ich nicht noch einen Coming-of-Age Roman lesen wollte. Ein Jahr später sah das schon etwas anders aus und ich muß sagen: da hätte ich richtig was verpasst. Denn hier ist mal wieder ein Beispiel, wo ein Hype auch absolut berechtigt ist. Was für ein wunderbares Buch.

Auch wenn das Grundmotiv nicht neu ist, hat es in der Wellschen Version eine ganz besondere Kraft. Die Magie dieses Sommers überträgt sich komplett – zumindest war das bei mir der Fall.

Was ich bei Wells so mag, ist die Art der Sprache. Ich empfinde sie als sehr echt und unverstellt und dadurch kommt sie einem auch sehr nah. Entsprechend dem meist jungen Alter der Protagonist:innen (wie auch in diesem Roman), ist die Sprache recht einfach gehalten, aber immer wieder von einer großen Tiefe durchzogen. Dadurch entstehen immer wieder sehr berührende Momente. Gerade die Liebesgeschichte fand ich hier ausgesprochen herzerwärmend.
Und auch wenn das Buch mit einigen Problemthemen daherkommt, hat es einen sehr positiven Grundton und ein ausgesprochen schönes Ende. Und vor allem, kein bisschen kitschig oder toterzählt.

Für mich ganz klar mein bester Wells.

Bewertung: 4.5 von 5.

Benedict Wells: Hard Land. Zürich: Diogenes Verlag, 2021

Thomas Ziebula: Der rote Judas

Im ersten Teil der Krimiserie ist Kommissar Stainer gerade erst aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Psychisch schwer angeschlagen, steht er nicht nur privat vor einem Scherbenhaufen. Auch politisch sind die Verhältnisse im Jahre 1920 alles andere als stabil. Und beruflich steht direkt die erste Herausforderung an: in der Villa eines Fabrikanten wurden mehrere Menschen erschossen. Was auf den ersten Blick wie ein Raubmord aussieht, entpuppt sich als Teil einer geheimen Aktion, der ‚Operation Judas’…

Ich habe ja schon an anderer Stelle über diese Krimiserie geschrieben, hatte allerdings den ersten Teil hier noch nicht vorgestellt. Und da die Reihe hier ihren Anfang nimmt, wollte ich euch das nicht vorenthalten. Denn dafür ist die Reihe einfach zu gut und von daher kann ein bisschen zusätzliche Aufmerksamkeit nicht schaden.

Ähnlich wie bei Kutscher begeistert mich neben dem eigentlichen Kriminalfall vor allem der zeitgeschichtliche Hintergrund. Während Kutscher überwiegend in den 30er Jahren unterwegs ist, widmet sich Ziebula der Zeit nach dem 1. Weltkrieg und die ist ähnlich
interessant und ereignisreich.

Auch der Fall selbst ist gut durchdacht, passt sehr gut in den zeitgeschichtlichen Kontext und ist spannend geschrieben. Die Figuren sind ebenfalls gut gezeichnet und authentisch. Auch wenn es nicht ganz mit Kutscher mithalten kann, kommt es dem zumindest recht nahe und das ist doch auch schon mal viel wert.

Auf jeden Fall eine Krimireihe, die man im Auge behalten sollte.

Bewertung: 4.5 von 5.

Thomas Ziebula: Der rote Judas. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2020

Margaret Atwood: Penelope und die zwölf Mägde

Die Geschichte des heldenhaften Odysseus ist allgemein bekannt. Am Rande taucht darin seine Ehefrau Penelope auf – treu liebende Ehefrau und Mutter, die ergeben in ihr Schicksal jahrzehntelang auf die Rückkehr ihres Mannes wartet.
Das die Ereignisse möglicherweise ein klein bisschen anders waren, berichtet Penelope hier selbst und das ziemlich unverblümt. Schließlich muss sie auf niemanden mehr Rücksicht nehmen, denn sie spricht direkt aus dem Hades zu uns. Und so redet sie Klartext über die Eskapaden ihrer schönen Cousine Helena, den Skandalen am Hof und dem nicht immer rühmlichen Verhalten ihres Ehegatten. Für seinen Mord an ihren zwölf Mägden fordert sie nun Gerechtigkeit…

Dieses Buch zu lesen macht einfach nur Spaß und wer denkt, klassische Sagenstoffe sind irgendwie dröge, der wird hier eines Besseren belehrt. Denn hier bekommt die Geschichte nicht nur einen komplett anderen Blickwinkel, sondern auch eine andere Sprache. Penelope redet hier, wie ihr der Schnabel gewachsen ist und das ist ausgesprochen unterhaltsam, teilweise sogar richtig lustig. Ihre schnoddrige Art steht in komplettem Gegensatz zur Anlage der Figur in der Literatur, was ich besonders gelungen finde. Auch dass die Mägde im Stil des antiken Chors immer wieder zu Wort kommen und ihr Recht fordern, finde ich ein gut eingesetztes Stilmittel.

Dieses Buch hat mich mal wieder daran erinnert, mehr Atwood zu lesen. Eine tolle Autorin und ein sehr empfehlenswertes Buch!

Bewertung: 4.5 von 5.

Margaret Atwood: Penelope und die zwölf Mägde. München: Wunderraum / Goldmann Verlag, 2022 (Original 2005)

Thomas Ziebula: Abels Auferstehung

Leipzig 1920: Neben den politischen Unruhen, denen das Land nach dem Krieg ausgesetzt ist, muss Kriminalinspektor Stainer auch noch den gewaltsamen Tod seiner Frau verkraften. Als wäre das nicht schon genug, fordert der mysteriöse Mord eines Soldaten seine ganze Aufmerksamkeit. Die Ermittlungen führen ihn in das Milieu schlagender Studentenverbindungen…

Ich hab ja nun mittlerweile alle drei Bände der Reihe gelesen und was mir unheimlich gut gefällt ist die Art, wie der Autor das Lebensgefühl dieser Zeit einfängt. Und zwar genau dieser Zeit. Sind die Kutscher-Krimis überwiegend in den 30er Jahren angesiedelt, dreht Ziebula die Uhr um 10 Jahre zurück. Und diese ebenso ereignisreiche Zeit ist so spannend wie der Kriminalfall selbst. Wie bei den anderen Bänden stellt der Autor die Probleme der Kriegsheimkehrer in den Vordergrund, die ja auch im Leben des Kommissars eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Dabei zeigt er ein gutes Gespür für die psychologische Ausgestaltung seiner Figuren und macht seine Romane dadurch sehr authentisch. Gut gewählt und historisch sehr passend finde ich auch das Milieu der Studentenverbindungen, in das man in diesem Roman eintaucht. Kriminalfall und zeitgeschichtliche Entwicklungen sind hier sehr geschickt miteinander verbunden.

Ein in jeder Beziehung lesenswerter Kriminalroman und eine wirklich empfehlenswerte Reihe.

Bewertung: 4.5 von 5.

Thomas Ziebula: Abels Auferstehung. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2021

Fernando Aramburu: Die Mauersegler

Toni lebt als Gymnasiallehrer in Madrid und ist mit seinem Leben maximal unzufrieden. Der Job ödet ihn an, ebenso, wie die Menschen, die ihn umgeben. Mittlerweile von seiner Frau getrennt und im Dauerzwist mit seinem Bruder, lebt er zurückgezogen mit seinem Hund Pepa in einer kleinen Wohnung. Kontakt hat er lediglich zu seinem Freund Humpel, wenn man von sporadischen Begegnungen mit seinem Sohn absieht, den er ziemlich missraten findet.
Dieses Lebens überdrüssig beschließt er, seinem Leben in genau 365 Tagen ein Ende zu setzen, beginnend mit dem 31. Juli. In 365 Kapiteln schreibt er über sein bisheriges Leben und die Tage, die ihm noch bleiben.

Klingt nach einem Buch, nachdem man sich am liebsten gleich selbst erschießen möchte und tatsächlich, besonders lebensbejahend ist es auf den ersten Blick nicht. Wäre da nicht dieser herrlich skurrile Ich-Erzähler, der seine eigenen Pläne ad absurdum führt.
Und so hat dieses Buch trotz der Thematik auch nicht den erwartbaren depressiven Unterton, sondern ist ganz im Gegenteil ausgesprochen komisch – zumindest für meinen Geschmack.

Es gibt ja immer wieder diese Bücher, bei denen man beim Lesen die Hälfte der Zeit blöde vor sich hingrinst und zwischendurch immer wieder laut lachen muss und das gehört für mich definitiv dazu.
Das liegt im Wesentlichen an der Figur des Erzählers selbst, der seine gesamte Umgebung und auch sich selbst mit seinen zynischen, schwarzhumorigen Betrachtungen überzieht.
Und das ist so voller Sprachwitz, dass es für mich eine absolute Freude war, dieses Buch zu lesen.

Obwohl Toni alles andere als ein pflegeleichter Zeitgenosse und Menschenfreund ist, habe ich ihn irgendwie ins Herz geschlossen – vielleicht gerade wegen seiner sperrigen Art. Und weil er mit Selbstkritik nicht spart – immerhin gehen seine spöttischen Bemerkungen auch häufig an die eigene Adresse und schaffen so auch eine Distanz zu manch gewöhnungsbedürftigen Sichtweisen. Gleiches gilt für seine ebenfalls nicht ganz einfachen Freunde Humpel und Agueda, die später zu dem Männerduo dazustößt.

In Gesprächen über das Buch wurde teilweise Kritik an der sprunghaften Erzählweise geäußert. Tatsächlich springen die einzelnen, kurz gehaltenen Kapitel zwischen Zeiten und Ereignissen hin und her, was in der Geschichte begründet ist. Toni schreibt am Abend die Gedanken nieder, die ihm in den Sinn kommen und die sind nicht chronologisch geordnet. Es gibt Bücher, bei denen mich so etwas auch wahnsinnig macht. Hier stört es mich gar nicht, ich finde es im Gegenteil sehr passend und macht das Ganze deutlich dynamischer als eine chronologischer Erzählung.

Allerdings muss man sagen, dass hier ein paar Seiten weniger nicht geschadet hätten. Das Wesentliche hätte man wahrscheinlich auch auf 500 Seiten gut untergebracht, ohne dass es der Geschichte oder dem Erzählfluss geschadet hätte.

Trotzdem eine ganz klare Leseempfehlung von meiner Seite!

Bewertung: 4.5 von 5.

Fernando Aramburu: Die Mauersegler. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2022