Juli Zeh: Über Menschen

Frühjahr 2020: Der Lockdown hat Deutschland fest im Griff. Dora, zunehmend unzufrieden mit dem Leben in der Großstadt und ihrem Freund, der sich zum ausgeprägten Klimaaktivisten entwickelt. Kurzentschlossen kauft sie ein Haus im brandenburgischen Bracken. Doch die erhoffte Dorfidylle stellt sich nicht ein. Das Haus renovierungsbedürftig, der Garten verwildert und ein Nachbar, der sich als Nazi entpuppt…

Ich mochte Unterleuten, ebenfalls ein Roman mit dörflichem Mikrokosmos, ausgesprochen gerne. Ähnliches hatte ich mir auch hier versprochen.
Nur leider konnte ich mich mit dieser Neuauflage des Dorflebens gar nicht anfreunden.
Vielleicht war es kein guter Auftakt, neben den täglichen Corona-Nachrichten jetzt auch noch in Buchform darüber zu lesen. Da will man eigentlich direkt wieder zuklappen. Nun hätte einen der Rest der Geschichte über dieses leidige Thema hinwegtrösten können. Nur leider fand ich sie nur mäßig interessant und inhaltlich nicht ganz unproblematisch. Klar möchte die Autorin mit der Figur des Dorfnazis ein Statement gegen platte Schwarzweiß-Malerei setzen und dagegen ist ja erstmal nichts einzuwenden. Nur empfinde ich Dora in ihrer Haltung als zu blass und zaghaft, um hier ein überzeugendes Gegengewicht zu bilden. Leider wurde bei der Figur des Grote auch nicht mit Kitsch gespart, denn er leidet nicht nur unter einer schweren Krankheit, sondern ist auch noch Vater einer herzallerliebsten Tochter, die bei Dora direkt verschüttete Muttergefühle weckt. Puhhh, das war eindeutig zu viel des Guten.
Statt Verständnis und Mitgefühl hat dieses Figurenensemble bei mir eher genervtes Kopfschütteln ausgelöst, das war für mich einfach drüber. Sehr schade.

Bewertung: 2 von 5.

Juli Zeh: Über Menschen. München: Luchterhand Verlag, 2021

Aharon Appelfeld: Sommernächte



Als ich gelesen habe, worum es in diesem Roman geht, führte mich mein Weg direkt in den nächsten Buchladen. Und dann auch noch mit einem so schönen Cover…

Kurz vor seiner Deportation gibt der jüdische Kaufmann seinen Sohn Michael in die Obhut eines Familienfreundes. Der alte Sergej, inzwischen erblindet, zieht als Landstreicher durch die ukrainischen Wälder und nimmt sich des Kindes an, der fortan Janek genannt wird. Der Junge ersetzt ihm das Augenlicht, während der alte Soldat ihm alles lehrt, was man zum Überleben in der Wildnis braucht.

Eine sehr bewegende Geschichte, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Autor hier seine eigenen Kindheitserlebnisse verarbeitet hat. Das Zusammenspiel zwischen dem Kind und dem alten Mann hat etwas sehr anrührendes. Ebenso wie einem die Grundsituation ans Herz geht: wie ein Kind plötzlich aus seinem wohlbehüteten Zuhause gerissen wird und von einem Tag auf den anderen vogelfrei wird. Ich hätte diese Geschichte so gerne geliebt…

Nur leider hat mir die Umsetzung gar nicht gefallen. Rein schriftstellerisch finde ich es sehr schwach. Nach den ersten 50 Seiten gibt es inhaltlich so gut wie keine Entwicklung mehr. Man fühlt sich förmlich wie in einer Murmeltier-Zeitschleife gefangen. Zum Ende kommt zwar noch eine abschließende Variante dazu, die sich von der Dynamik aber leider der flachen Erzählkurve angleicht.
Obwohl die Geschichte viele emotionale Momente hat, wurden sie erzählerisch nicht aufgegriffen. Stattdessen verliert sich das Buch in einer Art Dauerpredigt. Auf fast jeder Seite begegnen einem religiöse Weisheiten, in stetem Wechsel mit wegweisenden Träumen, die Janek jede Nacht heimsuchen. Das hat mich schwer an meine alte Kinderbibel erinnert. Und für religiöse Leser*innen mag das auch eine positive Wirkung haben, aber auf mich wirkte es auf die Dauer regelrecht nervtötend. Nun mag der Glaube im Leben des Autors eine überlebenswichtige Rolle gespielt haben und das ist auch absolut in Ordnung so.

Aber das zum inhaltlichen Mittelpunkt eines Romans zu machen, finde ich problematisch. Für mich wirkte das eher wie eine religiöse Schrift und hat das eigentliche Thema überlagert. Auch wenn der Glaube in der damaligen Situation eine wichtige Rolle gespielt hat. Das hätte man deutlich dezenter einflechten können. Stattdessen hätte ich mir einen tieferen Einblick in die Personen gewünscht, da blieb vieles an der Oberfläche. Auch sprachlich hat mich das Buch nicht überzeugt. Viele Dialoge wirkten steif und ungelenk, die Sprache wenig ausgefeilt. Möglicherweise liegt das auch an der Übersetzung. Insgesamt sehr, sehr schade.

Bewertung: 2 von 5.

Aharon Appelfeld: Sommernächte. Berlin: Rowohlt Verlag, 2022

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen

Sie kennen sich seit ihrer Kindheit und haben eine wesentliche Gemeinsamkeit: die Erfahrung, fremd in einem Land zu sein und damit verbundene vielfältige Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung. Anlässlich einer Hochzeit treffen sich die Kameradinnen wieder und feiern die gemeinsame Zeit. Auf dem Hintergrund des Verwurfs, dass eine von ihnen für einen verheerenden Brandanschlag verantwortlich ist…

Dieses Buch ist ein harter Brocken und hat mich zwischendurch richtig wütend gemacht. Denn hier wendet die Autorin die Zuschreibungen der deutschen Dominanzgesellschaft, die sie als Migrantin immer wieder erfährt, gegen die LeserInnen selbst. Ein Wir wendet sich an und gegen ein Ihr und klagt an. Kann man als stilistisches Mittel machen, mediale Aufmerksamkeit und Diskussionsstoff liefert es in jedem Fall.
Ich verstehe den Gedanken dahinter, finde das Thema auch wichtig, aber mir gefällt diese Form der Umsetzung nicht.
Hier ist ein literarischer Sensibilisierungsprozess intendiert und das funktioniert vielleicht auch bei dem einen oder anderen. Aber bei vielen auch einfach nicht, weil sie sich von diesen undifferenzierten Zuschreibungen nicht angesprochen oder auch abgestoßen fühlen. Und das finde ich bei diesem Thema einfach sehr schade. Mich hat diese Variante der Publikumsbeschimpfung auch eher genervt als erhellt, aber hat zumindest viele Gedanken und Diskussionen in unserer Leserunde ausgelöst. Und vielleicht geht es auch einfach darum, über Ausgrenzungserfahrung ins Gespräch zu kommen. Und das ist auf jeden Fall gelungen.

Bewertung: 2 von 5.

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021

Lutz Seiler: Stern 111

Im Herbst 1989 machen sich Inge und Walter Bischoff im Zuge des Mauerfalls in den Westen auf. Ein lange gehegter Traum soll wahr werden, bevor sich das politische Blatt nicht doch wieder wendet. Ihr inzwischen erwachsener Sohn Carl hat wenig Lust, im heimatlichen Gera die Stellung zu halten und geht nach Berlin. Dort schließt er sich der Hausbesetzerszene an, arbeitet in der Kellerkneipe Assel und findet in der linksradikalen Guerillabewegung einen neuen Wirkungskreis…

Eigentlich bringt der Roman alles mit, um bei mir zu punkten. Als Berlinerin sind mir alle Orte bestens vertraut, in meiner Jugendzeit war ich ständig in linksalternativen Kneipen unterwegs und bin es auch heute noch ab und zu, sofern sie denn mal wieder offen haben. Also gedanklich und lebenspraktisch gab und gibt es da deutliche Schnittstellen. Aber auch schon damals sind mir einseitige linksradikale Weltverbeserungsparolen unsagbar auf die Nerven gegangen und dieser Geist weht mich in diesem Buch leider immer mal wieder an.
Ich habe hier die Lebendigkeit und jugendliche Aufbruchsstimmung vermisst, die mir bespielsweise bei Regeners Herrn Lehmann so viel Spaß gemacht hat. Auch das ist eine nostalgische Rückschau auf alte Zeiten, aber eine, in der sich die prickelnde Stimmung komplett überträgt.
Das Gefühl hatte ich beim Stern 111 leider in keinster Weise, obwohl die Ereignisse dieser Zeit nicht weniger aufregend waren. Aber der Funke ist hier für mich überhaupt nicht übergesprungen, ich fand das Ganze überwiegend kraftlos, langatmig bis -weilig und auch ermüdend. Das streckte sich für meinen Geschmack sehr zäh in die Länge.
Es war ein bisschen so, als wenn ein etwas in die Jahre Gekommener in bierseliger Stimmung über seine wilden Jugendjahre monologisiert. Am Anfang ist es noch ganz nett, aber nach einer Stunde wird das Lächeln schon etwas gequält und spätestens ab Stunde drei wünscht man sich an einen andere Ort.

Nicht mein Buch, aber eins mit durchaus vielen Fans. Immerhin hat es letztes Jahr einen ordentlichen Preis gewonnen!

Bewertung: 2 von 5.

Lutz Seiler: Stern 111. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2020

T.C. Boyle: Das Licht

In diesem Buch geht es im Wesentlichen um die diversen Experimente mit LSD, die der exzentrische Psychologieprofessor Timothy Leary in den sechziger Jahren mit einer Gruppe gleichgesinnter Anhänger durchgeführt hat. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Learys wissenschaftlicher Assistent Fitz, der sich mit Frau und Kind Learys Kommune anschließt und das Ideal einer von Zwängen befreiten Gesellschaft sucht.

Zu diesem Buch habe ich in erster Linie gegriffen, weil ich Boyle als Autor sehr schätze, thematisch hat es mich eher weniger angesprochen. Leider sind meine schlimmen Erwartungen in diesem Fall auch bestätigt worden, denn die endlose Aneinanderreihung von LSD Trips und Drogenparties fand ich wenig romantauglich und schlichtweg ermüdend. Der revolutionäre Spirit der 60er Jahre schwingt zwar immer wieder mit und es war sicher auch eine sehr aufregende Zeit mit viel Aufbruchsstimmung, aber bei mir konnte da kein Funke überspringen. Aus der Distanz betrachtet wirkt das Ganze wie die Zelebrierung einer einzigen großen Luftblase unter viel Getöse. Hier und da stellt der Autor die Ideologie und Lebensweise der Kommune zwar in Frage, bleibt insgesamt für meinen Geschmack aber viel zu kritiklos, das wirkt zeitweise wie eine Werbeveranstaltung. Die Fragen, die sich im Laufe des Buches zu dieser Ideologie anhäufen, werden von ihm aufgegriffen, aber gerade auch durch das Ende wieder relativiert. Möglicherweise liest sich das Buch für Zeitzeugen anders, möglicherweise verbindet Leary damit auch gute Erinnerungen. Aber aus der Rückschau auf die Geschichte wirkt vieles schlichtweg hohl und ideologisch verblendet, ich konnte damit gar nichts anfangen.


Allein der guten Schreibe des Autors ist es zu verdanken, dass die Sternebewertung nicht gänzlich im Keller ist. Und natürlich das sensationell gut gemachte Cover, für das man wirklich keine Drogen braucht.

Bewertung: 2 von 5.

T.C. Boyle: Das Licht. München: Hanser Verlag, 2019