Sam Lloyd: Der Mädchenwald

Abgeschirmt von der Außenwelt lebt der junge Elijah mit seinen Eltern in einer Hütte im Wald. Er kennt weder Handys noch Internet und auch mit den üblichen Aktivitäten der Gleichaltrigen hat er keine Berührungspunkte. Die schulische Ausbildung haben die Eltern und deren Freundin übernommen, die ebenfalls abgeschieden in den Wäldern lebt.

Elijah ist ein Einzelgänger (geworden) und hat sich mit dem einsamen Leben arrangiert. Nicht abfinden kann er sich jedoch mit den jungen Mädchen, die im Keller eines verlassenen Hauses im Wald gefangengehalten werden. Er spürt, dass daran etwas nicht in Ordnung ist und dass er niemand von seiner Entdeckung erzählen darf. Denn dann, so ahnt er, wird sein bisheriges Leben aus den Fugen geraten…

Irgendwie faszinieren mich ja Thriller mit so einem Plot. Vielleicht weil es mich an die alten Märchen erinnert, in denen es im finsteren Wald auch immer furchteinflößend zur Sache geht. Das hat für mich nochmal einen besonderen Gruselfaktor. Auch wenn ich mir in diesem Fall beim Klappentxt schon gedacht habe, dass das auch schwer in die Hose gehen kann. Nämlich immer dann, wenn das ganze Konstrukt auf allerlei Unwahrscheinlichkeiten basiert.

Nun ist es zwar reizvoll, in dieser Kulisse allerlei gruselige Untaten zu entwerfen und wenn man als Leserin:in hin und wieder ein Auge zudrückt, wenn es mit der Logik nicht ganz so hinhaut, kann das auch eine spannende und unterhaltsame Angelegenheit werden. Von daher denke ich, dass viele mit diesem Buch auch gut bedient sein werden. Nur ich kann es nicht. Mich katapultieren unlogische und unwahrscheinliche Szenarien direkt aus der Geschichte und dann ist die Faszination und Spannung der Geschichte direkt dahin. Leider gab es in diesem Buch für mich auch das eine oder andere wichtoge Detail, das für mich nicht wirklich Sinn ergeben und die Geschichte ad absurdum geführt hat. Da ich nicht spoilern will, gehe ich hier nicht weiter ins Detail, nur so viel: die Erklärung rund um Elijah selbst haben bei mir doch heftiges Stirnrunzeln ausgelöst.

Rein vom Schreibstil und dem Spannungsaufbau hat mir der Thriller ganz gut gefallen und daher denke ich, dass er durchaus Begeisterung auslösen kann, wenn man die Dinge nicht weiter hinterfragt. Gerade die Ausführungen rund um Elijahs Geisteszustand fand ich sehr gut und hatte schon gehofft, dass sich die Geschichte in die dabei entworfene Richtung entwickeln könnte. Das hätte dem Ganzen nochmal eine interessante Wendung gegeben. Auch war mir die Geschichte unterm Strich dann doch zu reißerisch. Daher, trotz guter Ansätze war’s meins am Ende nicht, aber das ist wie alles Geschmackssache.

Bewertung: 2.5 von 5.

Sam Lloyd: Der Mädchenwald. Hamburg: Rowohlt, 2021

Rumaan Alam: Inmitten der Nacht

Amanda und Clay haben sich ihren Familienurlaub einiges kosten lassen. Ein luxuriöses Ferienhaus auf Long Island fernab der Großstadt, in dem sie gemeinsam mit ihren halbwüchsigen Kindern die nächsten Wochen verbringen wollen.
Doch schon kurz nach der Ankunft wird die entspannte Ferienstimmung empfindlich gestört. Mitten in der Nacht klopft es plötzlich an der Tür. Ein älteres Paar steht vor der Tür und behauptet, dies sei ihr Haus. Und sie müssten dort dringend unterkommen, denn an der Ostküste bahne sich eine Katastrophe an und ganz New York liege bereits im Dunkeln…

Dieses Ausgangsszenarion war für mich so reizvoll, dass ich es unbedingt lesen wollte und der Start ins Buch war sehr vielversprechend. Der Autor spielt zu Beginn sehr geschickt mit der Unsicherheit der einzelnen Familienmitglieder. Kann man den alten Leuten trauen oder handelt es sich um Betrüger? Oder gar Schlimmeres? Das hat auf jeden Fall Gruselfaktor und war für mich ausgesprochen reizvoll. Davon hätte ich gerne mehr gehabt.
Nur leider kippt die Geschichte nach dem ersten Drittel und entwickelt sich in eine ganz andere Richtung. Für mich ein klassischer Fall von to much information, sowohl was das Ehepaar als auch die mysteriösen Geschehnisse an der Ostküste betreffen. Das entzaubert das Szenario leider komplett. Ich hätte es deutlich besser gefunden, wenn die Dinge über einen längeren Zeitraum in der Schwebe geblieben wäre. So verpufft der Reiz der Geschichte.
Der weitere Fortgang ist für mich ausgesprochen fad, im Wesentlichen schaut man den unfreiwillig zusammengewürfelten Bewohner:innen des Ferienhauses beim Zusammenleben zu. Sozusagen Big Brother in Buchform.
Im letzten Drittel kommt dann doch noch ein bisschen Dynamik rein, was die Spannungsschraube wieder anzieht. Nur leider mit so einem unrealistischen Detail, dass ich mich ernsthaft gefragt habe. Hat der Autor wirklich so schlampig recherchiert? Da wusste ich ja nach fünf Minuten Googlesuche besser Bescheid. Oder er hat es bewusst für die Effektquote eingebaut – in der Hoffnung, dass keiner den Fehler bemerkt. Beides gar nicht gut.

Auch das Ende war für mich eher einfallslos. Da hätte man mit einem originellen oder kraftvollen Schlusspunkt vielleicht noch einiges raushauen können. So verpufft es leider wie so vieles in diesem Buch. Schade, die Geschichte hatte so vielversprechend begonnen und aus der Idee hätte man viel machen können.

Bewertung: 2.5 von 5.

Rumaan Alam: Inmitten der Nacht. München: btb Verlag, 2021

Hannah Lühmann: Auszeit

Die Freundinnen Paula und Henriette ziehen sich in ein abgelegenes Ferienhaus im Wald zurück, nachdem Henriette an einem Tiefpunkt in ihrem Leben angekommen ist. Mit Mitte dreißig hat sie das Gefühl, noch nichts im Leben erreicht zu haben. Weder eine Familie noch eine Karriere hat sie vorzuweisen, dafür jede Menge Selbstzweifel, flüchtige Beziehungen und eine angefangene Dissertation, bei der sie nicht weiterkommt. Dann wird sie ungewollt schwanger…

Mhhh, was soll ich sagen…ich glaube, falsches Buch zur falschen Zeit trifft es vielleicht am ehesten. So zu Beginn des Studiums, wo man selbst noch einigermaßen orientierungslos durch die Welt irrt, hätte es mir wahrscheinlich besser gefallen. Heute kann ich mit dieser Form von Nabelschau nicht mehr so viel anfangen. Was nicht heißt, dass mir Geschichten von seelischen Innenansichten grundsätzlich nicht gefallen. Zum Teil sogar sehr. Aber diese hatte für mich einen ziemlich pubertären Beigeschmack, gepaart mit einer großen Portion Selbstmitleid.
Dazu kommt, dass mir eigentlich beide Frauenfiguren nicht sonderlich sympathisch waren, was den Zugang zusätzlich erschwert. Weder bei der von Selbstzweifeln geplagten Henriette noch der verständnisvollen Powerfrau an ihrer Seite konnte ich innerlich andocken. Vor allem die Ich-Erzählerin Henriette ging mir im Verlauf des Buches zunehmend auf den Geist, was durch das überraschende Ende noch getoppt wurde. Kopfschütteln XXL… was in Bezug auf das Ende übrigens auf beide Protagonistinnen zutrifft.
Aber mein Kopfschütteln ist bei anderen vermutlich ein begeistertes Nicken, denn gerade in einer vergleichbaren Lebenssituation kann das eine durchaus interessante Lektüre sein. Nur leider nicht für mich.

Bewertung: 2.5 von 5.

Hannah Lühmann: Auszeit. München: Hanser Verlag 2021

Monika Helfer: Vati

Während Helfer in ihrem Roman ‚Bagage‘ das Leben ihrer Mutter und Großeltern in den Mittelpunkt stellt, geht es in ihrem aktuellen autofiktionalen Buch, wie der Name schon sagt, um ihren Vater. Das ist vergleichweise schmal und versucht, sein Leben aus dem Blickwinkel der Tochter nachzuzeichnen. Obwohl sie es nicht immer leicht mit ihm hatte, geschieht das auf eine verstehende, versöhnliche Weise.

Als Kriegsversehrter mit nur einem Bein aus Russland zurückgekehrt, begleitete ihn das Erlebte weiterhin und macht ihn zu einem gebrochenen, kriegstraumatisierten Menschen. Trost sucht der bibliophile Familienvater in der Literatur und der Sammlung von Büchern, die ihn zu einer folgenschweren Fehleinschätzung führt…

Ich kenne die Bagage nicht und kann daher keinen Vergleich anstellen, was vielleicht auch kein Nachteil ist. Aber unabhängig davon hab ich mit diesem Buch meine Schwierigkeiten. Grundsätzlich hat mir die Geschichte des Vaters gefallen, die stellvertretend für viele Männer steht, die körperlich und seelisch gebrochen aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Auch die Liebe zu Büchern, die er ja offenbar an die Tochter weitergegeben hat, ist schön beschrieben worden. Aber insgesamt konnte mich dieser Roman nicht fesselnd. Er wirkte auf mich irgendwie kraftlos und undynamisch, fast ein bisschen verstaubt. Spontan sind mir Assoziationen zum Familienkaffeekränzchen gekommen, bei dem man sich über das Leben eines Verstorbenen unterhält. Das ist durchaus liebevoll, aber bleibt zuweilen auch an der Oberfläche. Ich hätte mir bei dem Thema noch einen tieferen Blick ins Innenleben und die Beziehungen der ProtagonistInnen gewünscht.

Bewertung: 2.5 von 5.

Monika Helfer: Vati. München: Hanser Verlag, 2021

Antje Ravik Strubel: Blaue Frau

Schon als Kind hat Alina den Wunsch, die Enge des tschechischen Dorfes, in dem sie aufwächst hinter sich zu lassen und geht nach Berlin. Doch der Wunsch nach Freiheit endet in einem sexuellen Übergriff. Unfähig, darüber zu reden und sich Hilfe zu holen, flieht Alina nach Helsinki und lernt dort den wesentlich älteren Leonides kennen…

Dieses gehört zu den Büchern der zwanzig nominierten Titel, die von der Story her mein Interesse geweckt hatten. Gekauft hatte ich es dann nach einem Gespräch mit meinem Buchhändler, der ein anderes Buch der Autorin kannte und ihren Schreibstil gelobt hat.
Nun ja, auch der Klappentext berichtet von einem „atemberaubend gut erzählten“ Buch oder gar einem „kleinen Wunderwerk der zeitgenössische Prosa-Literatur“, so zumindest die Stimmen einiger Kritiker.
Ich muss sagen, dass sich mir dieses kleine Wunder nicht erschlossen hat, weder inhaltlich noch sprachlich.


Die Grundidee der Geschichte hatte ja schon anfangs mein Interesse geweckt und finde ich nach wie vor gut, in der Umsetzung blieb es aber hinter meinen Erwartungen zurück. Auf mich wirkte es seltsam kraftlos, alles plätscherte so vor sich hin und bis zum Schluss ist es mir nicht gelungen, zu der Protagonistin eine Beziehung herzustellen. Das ist bei so einem hochemotionalen Thema ausgesprochen schade, denn da lebt viel von einem gefühlsmäßigen Nachvollziehen.
Diesen Zugang verstellt die doch recht distanzierte Schreibe der Autorin. Das entspricht zwar dem Charakter der Protagonistin, machte es mir dadurch aber unmöglich, zu ihr durchzudringen.
Das ist vielleicht stilistisch konsequent und manche mögen das auch ästhetisch wertvoll finden, wie die Nominierung ja zeigt.
Für mich lebt die Behandlung eines solchen Themas von Emotionen, die man mit den LeserInnen teilt. Hier blieb ich leider außen vor.

Bewertung: 2.5 von 5.

Antje Ravik Strubel: Blaue Frau. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2021

Valerie Fritsch: Herzklappen von Johnson & Johnson

Wie wird ein Kind zum Menschen, zu einem mitfühlenden sozialen Wesen, wenn es die Verwundbarkeit nicht kennt? Wenn es nicht versteht, wie sehr etwas wehtun kann?
Diese Frage stellt der Klappentext stellvertretend für Alma, deren Sohn keinen Schmerz empfinden kann.
Ein Roman einer emotionalen Spurensuche, den gelebten, aber vor allem den ungelebten, die Generationen überdauern.

Der Auftakt dieses Romans hat mir außerordentlich gut gefallen, denn hier berichtet die Autorin von Almas Kindheit, die Beziehung zu ihren Eltern und Großeltern. Die erdrückende Atmosphäre der gegenseitigen Fremdheit und Sprachlosigkeit ist sehr gut herausgearbeitet worden, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Die innere Einsamkeit der Protagonistin lässt sich gut nachempfinden.
Je länger ich jedoch gelesen habe – und der Roman ist wahrlich nicht dick – hat mich die Geschichte immer mehr verloren und das lag für mich nicht am Thema, sondern an der Umsetzung.
Man hat das ja manchmal bei Musikvorträgen. Vor lauter Bemühen, besonders gut zu singen und die richtigen Töne zu treffen wird es zu einem seelenlosen Gesang – schön, aber ohne Emotion.
Und so ähnlich ging es mir hier. Vor lauter Bemühen um die perfekte sprachliche Form kam bei mir immer weniger an Emotion an, was umso fataler ist, da es ja genau um dieses Thema geht. Auch fand ich den inneren Klappentext einigermaßen irreführend, denn er suggeriert, die besondere Situation des gefühllosen Kindes wäre ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte. Das hab ich so nicht empfunden. Für mich war das eher ein Aufhänger am Rande. Im wesentlichen geht es hier um Alma und ihre Spurensuche in der Vergangenheit.
Die ist sprachlich schön anzuschauen, aber mitnehmen konnte sie mich nicht.

Bewertung: 2.5 von 5.

Valerie Fritsch: Herzklappen von Johnson & Johnson. Berlin: Suhrkamp, 2020

Franziska Hauser: Die Glasschwestern

Sie sind Zwillinge und doch so verschieden. Die ruhige Dunja, die mit Mann und zweite Kindern in der Großstadt lebt und die energische Saphie, Leiterin eines Hotels an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Dann sterben in kurzer Folge ihre beiden Männer. Dunja möchte ihre Schwester in dieser schweren Zeit unterstützen und zieht zu ihr ins Hotel, gleichzeitig damit zurück in die Welt ihrer Kindheit.
Über ihre ganz unterschiedlichen Formen von Vergangenheitsbewältigung und den Weg in ein neues Leben erzählt dieser Roman.

Der mich einigermaßen verzweifelt zurückgelassen hat, muss ich sagen. Ich wollte ihn so gerne mögen, denn ich fand Die Gewitterschwimmerin ganz großartig und schätze auch die Autorin sehr. Aber mit diesem Roman konnte ich leider wenig anfangen. Ich konnte an keiner Figur wirklich andocken und ich hab keinen Weg in die Geschichte gefunden. Auch wenn hier existentielle Themen angesprochen wurden, hat mir die emotionale Kraft, die für mich die Gewitterschwimmerin so ausgezeichnet hat, völlig gefehlt. Alles plätscherte so vor sich hin und an mir vorbei.
Nun kann nicht jedes Buch bei jedem funktionieren, die Persönlichkeiten und Geschmäcker sind halt verschieden. Also kann ich mich an dieser Stelle einfach nur auf das nächste Buch freuen.

Bewertung: 2.5 von 5.

Franziska Hauser: Die Glasschwestern. Köln: Eichborn Verlag, 2020

Vincent Kliesch / Sebastian Fitzek: Auris


Matthias Hegel arbeitet in Berlin als akustischer Profiler, denn er ist in der Lage, allein über die Analyse der Stimme detaillierte Aussagen über einen Täter zu machen. Eigentlich, denn gleich zu Beginn des Buches wird er wegen eines Mordes verhaftet, für den er sich selbst bezichtigt. Die Journalistin Jula Ansorge, selbst Opfer einer Gewalttat, glaubt nicht an seine Schuld und beginnt in der Sache zu recherchieren. Hegel versucht sie jedoch von diesem Vorhaben abzubringen und er ist nicht der Einzige. Schon bald befindet sich Jula in ernster Gefahr…

Fitzek im Gepäck lässt Großes hoffen, daher war ich vom Anfang schon einigermaßen ernüchtert, den ich ziemlich albern fand. Das machte das Auftreten der Hauptperson nicht wirklich besser, die es scheinbar eine gute Idee fand, sich nachts in kurzem Kleidchen in einer fremden Stadt auf einem Friedhof aufzuhalten, was selbst dann ziemlich blöd ist, wenn es sich um einen viel frequentierten Touristenfriedhof handelt.
Zwischendurch nahm die Geschichte dann an Fahrt auf und war über weite Strecken auch spannend, was mir doch noch Hoffnung auf einen guten Thriller gegeben hat. Aber…was Jula da zum Ende hin veranstaltet hat, das hatte schon Slapstickqualitäten und ich wusste nicht, ob ich jetzt lachen oder weinen soll. Auf jeden Fall mal beides nicht gut bei einem Thriller. Da ist jetzt nicht spoilern will, kann ich an der Stelle nicht weiter ins Detail gehen, aber das war für mich nicht mehr ernst zu nehmen.
Insgesamt fand ich das Ende gar nicht gelungen und obwohl man eigentlich den zweiten Teil lesen müsste, einfach um all die noch offenen Fragen zu klären, werden sie bei mir wahrscheinlich unbeantwortet bleiben.
Noch zum Abschluss ein Wort zu unserem akustischen Profiler, dem Namensgeber dieses Buches. Insgesamt ist mir seine eigentliche Tätigkeit, für die ja das Buch steht, viel zu kurz gekommen. Da es ja doch eine originelle Idee ist, hätte man seine besondere Eigenschaft mehr in Szene setzen können. So war zumindest die Leseerwartung.

Aber vielleicht kommt davon mehr im zweiten Teil, dann wäre es vielleicht doch noch was für mich…

Dass es letztendlich doch noch gute zwei Sterne geworden sind, hat das Buch dem wirklich spannenden Mittelteil zu verdanken.

Bewertung: 2.5 von 5.

Vincent Kliesch / Sebastian Fitzek: Auris. München: Doemer Knaur, 2019

Ian McEwan: Nussschale

Ein klassisches Motiv: der Vater, die Mutter und ihr Liebhaber. Letztere planen einen Mord an dem im Wege stehenden Ehemann. Erzählt wird das Ganze aus der Perspektive des Sohnes. Nur ist dieser Sohn noch gar nicht geboren. Er befindet sich noch im Mutterleib und ist damit so nah dran am Geschehen, wie man nur sein kann.

So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau. Ich warte, die Arme geduldig gekreuzt, warte und frage mich, in wem ich bin und worauf ich mich eingelassen habe.
Das habe ich mich allerdings auch…


Ganz ehrlich, hätte ich vorher von der Erzählperspektive gewusst, wer weiß, ob ich das Buch gelesen hätte. Denn das klingt für mich schon aus der Entfernung betrachtet ziemlich albern. Das ist jetzt nicht so, dass ich mich nicht auch mal auf Gedankenexperimente und fantastische Geschichten einlassen würde. Es ist zugegebenermaßen auch eine originelle Idee, nur… ich konnte mit ihr so gar nichts anfange
Wenn ein ungeborenes Kind im Mutterleib über philosophische Fragen und die politische Weltlage monologisiert oder sich über die verschiedenen Weinsorten auslässt, die die wenig fürsorgliche Mutter täglich in sich hineinschüttet, kann ich nur sagen: Sorry, da bin ich raus…

Falls sich einer fragt, woher der noch nicht mal Geborene seine ganze Weisheit hat, wo noch nicht mal die Mutter die Allerhellste ist…von den Podcasts, die sie hört! Na aber sicher…
Natürlich kann McEwan auch weiterhin gut schreiben und die Story an sich ist auch nicht schlecht, hat aber in den mitunter seitenlangen Erörterungen des Ungeborenen ihre Längen und scheitert bei mir ganz klar an der Erzählperspektive.
Schade, denn ich schätze den Autor ansonsten sehr.

Bewertung: 2.5 von 5.

Ian McEwan: Nussschale. Zürich: Diogenes Verlag, 2016 (Original 2012)

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter

 „Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben.

Mit diesem Satz beginnt dieser vom Umfang her recht schmale Roman und nimmt dabei bereits das Ende vorweg. Hier gibt’s kein Happy End und möglicherweise auch kein leichte Kost. Gleichzeitig verweist er bereits auf die drei großen Themen dieser Geschichte, durch die uns der elfjährige Ich-Erzähler Tobias Ahrens führt.

Beginnen wir mit dem Sommer 1969, eine Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche und politischer Veränderungen. Als Sinnbild dessen brechen plötzlich die neuen Nachbarn ist das wohlgeordnete Leben von Tobias und seiner Eltern ein, die bis zu diesem Zeitpunkt das Ideal einer bürgerlich-konservativen Vorzeigefamilie verkörpern. Die Neuen von nebenan sind jedoch das genaue Gegenteil, überzeugte Kommunisten und freiheitlichen Entwicklungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Dazu gehört auch ein anderes Bild der Frau: die neue Nachbarin raucht, trägt Jeans, geht demonstrieren und einer eigenen Arbeit nach. Sie ist all das, was Tobias Mutter nicht ist.

Trotz dieser Unterschiede freunden sich die ungleichen Paare an und so tritt die dreizehnjährige Nachbarstochter in Tobias Leben, das bis dahin vor allem durch seine Faszination für den Weltraum, Raketen und die Mondlandung geprägt war. Sie pflanzt in sein bis dahin noch kindliches Gemüt die Erkenntnis, dass es auch unten auf der Erde Interessantes zu entdecken gibt, insbesondere wenn es sich dabei um einen Vertreter des anderen Geschlechts handelt.

Und so wie Tobias entdeckt auch seine Mutter eine neue Welt, mit allen Konsequenzen.

Thematisch ist eigentlich alles vorhanden, um daraus eine gute Geschichte zu stricken. Über Welten, die aufeinanderprallen, mit all den persönlichen Sensationen, aber auch Katastrophen, die das mit sich bringt. Und das vor der historischen Kulisse der späten 60er Jahre, einer Zeit, die wie kaum eine andere für Befreiung und Aufbruch steht. Das verspricht Dynamik, Intensität und jede Menge Drama.

Leider konnte ich in diesem Buch davon wenig wiederfinden. Lobend lässt sich erwähnen, dass Woelk die konservative Vorortidylle der späten 60er Jahre sehr anschaulich beschrieben hat. Und zwar so plastisch, dass einen die Ödnis und Langeweile direkt anspringt. Wenn ich seitenlang über Kricketspiele im Garten und Fernsehabende lese, überfällt mich eine spontane Lähmung. Die emanzipatorische Veränderung der Mutter und Tobias‘ erste Schritte auf dem Weg zum Erwachsenwerden waren für mich zwar thematisch interessant, in der Schilderung aber überwiegend kraftlos und streckenweise schlichtweg langweilig. Lediglich das Ende hat nochmal einiges rausgehauen. Hier kommt endlich die Tiefe in die Geschichte, die einem eine Idee davon gibt, wie es hätte sein können.

Und die mich noch mit guten Gewissen drei Sterne verteilen lässt.

Bewertung: 2.5 von 5.

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter. München: C.H.Beck Verlag, 2019