Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume

Berlin 1939: Während sich auf der politischen Bühne der zweite Weltkrieg anbahnt, führt der Psychoanalytiker und Traumforscher Simon Krauss ein komfortables Leben. Während er seine reichen Klientinnen verführt, lässt er sich gleichzeitig für sein Stillschweigen gut bezahlen. Denn sie sind allesamt Frauen der Nazi-Elite und haben viel zu verlieren.
Als eine von ihnen grausam ermordet wird, sucht der SS-Offizier Beween Antworten bei dem Psychoanalytiker. Und tatsächlich hatten einige seiner Patientinnen, allesamt Mitglieder im elitären Club der Adlon-Damen, vor ihrem Tod verstörende Träume, in denen derselbe bedrohliche Mann erschien.
Als weitere Frauen aus dem Kreis der Adlon Damen ermordet aufgefunden werden, wird Krauss immer mehr in die Ermittlungen der Gestapo verstrickt. Gemeinsam mit Beween und der Psychiaterin Minna von Hassel begibt er sich auf die Spur des Mörders…

Ich liebe ja Kriminalfälle in einer historischen Kulisse und wenn sie in meiner Heimatstadt Berlin spielen, umso besser. Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist ebenso gut gewählt, denn hier passieren schon an sich so viele erschreckende Dinge, dass man eigentlich gar keinen Kriminalfall braucht. Nun gibt es hier einen und der ist außergewöhnlich gut.
Besonders gefallen hat mir dabei, dass er inhaltlich sehr gut mit den ideologischen und politischen Entwicklungen dieser Zeit verknüpft ist. Das historische Setting ist also nicht nur eine interessante Kulisse, sondern aufs engste mit dem Kriminalfall verknüpft. Das war ausgesprochen gut gemacht, eine intelligent Konstruktio, die in sich schlüssig und überzeugend ist. Lediglich zum Ende hin gab es einen Aspekt, der für meinen Geschmack ein bisschen drüber war, was aber der Geschichte als solcher nicht groß geschadet hat.

Also unterm Strich ein ausgesprochen niveauvoller und durchweg spannender Thriller, für den ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen kann!

Besonders gelungen finde ich auch das ‚Ermittlertrio wider Willen‘, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Jeder Charakter ist auf seine Art sehr speziell und grandios ausgearbeitet, ohne zu sehr von der eigentlichen Geschichte abzulenken. Eher durch Zufall zusammengewürfelt ergeben sie das perfekte Team. Das macht Lust, noch mehr von diesem Trio zu hören. Überhaupt ist es mir gerade ein Rätsel, warum ich nach den ‚Purpurenen Flüssen‘ nicht noch mehr von diesem Autor gelesen habe … muss ich dringend nachholen!

Bewertung: 4.5 von 5.

Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume. Stuttgart: Tropen Verlag, 2023

Tom Rob Smith: Kind 44

Als in Moskau die Leiche eines kleinen Jungen auf den Bahngleisen entdeckt wird, lässt die Auffindesituation eigentlich keinen Zweifel zu: hier handelt es sich um ein Gewaltverbrechen. Doch das ist im Jahre 1953 im sowjetischen System nicht vorgesehen. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow bekommt den Auftrag, das Verbrechen als Unfall einzustufen und das auch unmissverständlich den verzweifelten Angehörigen klarzumachen, die weitere Ermittlungen fordern.
Die Angelegenheit scheint für Leo bereits erledigt, bis er aufgrund interner Machtkämpfe degradiert und in ein kleines Dorf versetzt wird. Dort stößt er überraschend auf neue Spuren des Verbrechens und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln…

Wir haben in der Leserunde festgestellt, dieses Buch zu bewerten, ist nicht einfach. Denn es geht dermaßen gut los, dass man denkt, das könnte ein Highlight werden. Die gesellschaftlichen Bedingungen und der Überwachungsapparat der Sowjetunion in den 50er Jahren sind sensationell gut herausgearbeitet und gibt einen guten Einblick in die Mechanismen eines Polizeistaates, in dem der Einzelnen völligster Willkür ausgesetzt ist. Was heute richtig ist, kann morgen schon falsch sein.
Unter diesen Bedingungen einen Mord aufzuklären – in einem Staat, in dem es offiziell gar keine Mörder gibt -, ist wahrlich eine Kunst und dieses Dilemma ist hier richtig gut herausgearbeitet worden.

Nur leider hat man spätestens ab der Hälfte begonnen, den eigentlichen Kriminalfall schmerzlich zu vermissen, der eigentlich bis zum Schluss eher im Hintergrund geblieben ist. Selbst als der Mörder irgendwann auf der Bildfläche erscheint, bleibt weiterhin Leo im Zentrum des Geschehens. Statt mehr über den Mörder oder die Taten selbst, dreht sich die Geschichte überwiegend um Leos Machtspiele mit seinem Kollegen, seine schwierige Ermittlungsarbeit und seine verkorkste Beziehung.

Das ist zwar nicht uninteressant und mit den vielen dramatischen Verwicklungen auch durchweg spannend, aber ich hätte mir da noch ein bisschen mehr Kriminalfall gewünscht. Das hätte mich aber alles nicht sonderlich gestört, wäre da nicht die Auflösung gewesen. Die Motivation des Täters fand ich doch sehr fragwürdig und wenig überzeugend. Vor allem wenn man denkt, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit basiert und welche Motivation der reale Täter hatte. Unter diesem Blickwinkel wirkt es ein stückweit verharmlosend und wird der eigentlichen Geschichte nicht gerecht. Muss man in einer fiktiven Darstellung zwar nicht, aber wenn man einen realen Fall in dieser Deutlichkeit aufgreift, sollte man ihn nicht durch eine gänzlich andere Motivation des Täters verharmlosen. So bekommt dieser eigentlich gute Thriller durch das Ende einen etwas bitteren Nachgeschmack.

Bewertung: 3.5 von 5.

Tom Rob Smith: Kind 44. München: Goldmann Verlag, 2010

Alexander Oetker / Thi Linh Nguyen: Die Schuld, die uns verfolgt

Eines Morgens klingeln bei dem Polizisten-Ehepaar Linh-Thi und Adam Schmidt die Diensthandys. Während Adam zu einer Kindesentführung im Berliner Arbeiterbezirk Wedding gerufen wird, ist Linh-This Einsatz bei einem Banküberfall mit Geiselnahme im verschlafenen brandenburgischen Flecken-Zechlin gerfordert. Noch ahnt niemand, dass diese so ungleichen Fälle einiges verbindet…

Mit dem Ehepaar Schmidt betritt ein neues Ermittlerpaar die Berliner Krimi Bühne und präsentiert seinen ersten Fall, der auf mehreren Ebenen recht spektakulär daherkommt. Kindesentführung hier, Geiselnahme da ist sicherlich nicht das tägliche Brot der Polizei, aber das will man auch nicht in einem Krimi lesen und somit ist das auch ganz in Ordnung. Das ermittelnde Paar ist entgegen meiner Befürchtung sehr natürlich und kitschfrei, auch die Rekonstruktion ihres gemeinsamen Werdegangs hat mir gut gefallen. Die Anlage dieses Ermittlerteams hat also durchaus Potential.

Gut gelungen fand ich auch die Rückblenden in Linh This Vergangenheit, in der man einiges Interessantes rund um die vietnamesische Zigarettenmafia der 90er Jahre erfährt. Und immer wieder liebe ich es, mich in Romanen in meiner Heimatstadt wiederzufinden, deren Schauplätze man oft sehr genau kennt.
Die Story selbst ist gut konstruiert und über weite Strecken spannend. Thematisch war Geiselnahme und Entführung nicht ganz so mein Geschmack, aber für Fans von Tatort und Co sicher genau das Richtige. Also, ein solider, gut zu lesender Krimi mit einer Reihe spannender Momente.

Dem ich allerdings ein ABER anschließen möchte, da ich mich doch an einigen Stellen sehr über das Buch geärgert habe. Bereits zu Beginn wird sich über die Lehrerin aufgeregt, die ständig krankfeiert. Wenige Seiten später trifft es die Erzieherinnen, die – wahlweise inkompetent oder von vorgestern – ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen.

Damit man die Seitenhiebe auf die Pädagogenzunft auch ja nicht überliest, wird am Ende des Romans nochmal nachgeschoben: „Ich bin am Zaun der Kita entlanggelaufen, als die Erzieherinnen wie so oft mal wieder was Besseres zu tun hatten, als auf die Kinder zu achten.“ (S. 300) Offenbar glaubt das Autorenduo noch an das Märchen der faulen Lehrerschaft oder der Erzieherinnen, die den ganzen Tag nur auf der Bank sitzen und Kaffee trinken. Daher gehen Grüße raus an die Lehrerinnen im realen Leben, die jeden Tag in überfüllten Klassen mit schwierigsten Kindern ihr Besstes geben, oft auf Kosten ihrer Gesundheit. An die Erzieherinnen, die aufgrund des Personalmangels immer größere Gruppen beaufsichtigen müssen. Auf dass solch undifferenzierte und unzeitgemäße Pauschalverurteilungen bald der Vergangenheit angehören!

Bewertung: 3.5 von 5.

Alexander Oetker / Thi Linh Nguyen: Die Schuld, die uns verfolgt. München: Piper Verlag, 2023

Niklas Natt och Dag: 1795

In diesem dritten und letzten Teil der Trilogie sind Emil Winge und sein Partner Jean Michael Cardell dem flüchtigen Tycho Ceton auf der Spur – Mitglied der Gesellschaft der Eumeniden, der (gemeinsam mit ihnen) zahlreiche grausame Straftaten zu verantworten hat. Ebenfalls spurlos verschwunden ist die ehemalige Spinnhäuslerin Anna Stina, die eine brisante Information mit sich trägt und nicht nur von dem ihr wohlgesonnen Cardell verzweifelt gesucht wird…

Ein ganz großer Pluspunkt dieser Trilogie ist die gut ausgearbeitete historische Kulisse, insbesondere der Schattenseiten Stockholms im ausgehenden 18. Jahrhundert. Verelendung, Gewalt und Machtmissbrauch sind allerorts gegenwärtig, die politischen Verhältnisse mehr als instabil. Durchgängig sehr gelungen finde ich auch das sehr ungewöhnliche, aber überaus charakterstarke ‚Ermittlerteam‘, allesamt wenig vorzeigbar und mit diversen Problemen beladen, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Auch die erzählten Geschichten sind zum Teil hochdramatisch und spannend. Klingt also erstmal alles ganz gut.

Trotzdem habe ich schon nach dem ersten Teil mit mir gerungen, ob ich wirklich weiterlesen möchte, denn das Maß an Grausamkeiten und Perversionen, die hier präsentiert wurden, war für mich nur schwer auszuhalten. Nun konnte mich die Anlage der Geschichte im Hinblick auf die Fortsetzung doch so weit fesseln, dass ich schon wissen wollte. Und den zweiten Teil fand ich doch sehr stark, sowohl von der Story als auch vom Spannungsfaktor her. Hier war am Ende so vieles unabgeschlossen, dass ich wirklich auf diesen dritten Teil gewartet habe. Obwohl es mir auch da deutlich zu gewalttätig zuging, das hat mich auch im zweiten Teil wieder sehr abgestoßen.

Und auch, wenn im dritten Teil vieles nur angedeutet wird, wurden einem leider auch im dritten Teil der Trilogie diverse abstoßende Grausamkeiten nicht erspart. Das mag sein, dass man in dieser Zeit nicht zimperlich war und es sadistische Zirkel, wie die hier geschilderten, auch gegeben hat, aber ich mag sowas eigentlich nicht lesen.

Hätte ich wohl auch nicht, wenn ich gewusst hätte, dass die guten Anlagen des zweiten Teils so wenig aufgegriffen und weitergeführt werden. Für mich steckte da noch so viel Potential drin, das – aus mir unerklärlichen Gründen – kaum aufgegriffen wurde und schlichtweg verpufft ist. Das Ende fand ich entsprechend lau und gerade im Kontrast zum starken zweiten Teil war für mich fand dieser Abschlussband eher enttäuscht. Statt eines starken dramatischen Finales plätscherte die Geschichte oft vor sich hin, wirkte seltsam aufgebläht und kraftlos und war leider so ganz anders, als ich erhofft hatte.

Bewertung: 3 von 5.

Niklas Natt och Dag: 1795. München: Piper Verlag, 2022

Yrsa Sigurdardóttir: Geisterfjord

Drei junge Leute haben sich auf der verlassenen Insel Hesteyri, die nur noch in der Saison touristisch genutzt wird, ein altes Haus gekauft. Ihr Plan: es noch in den Wintermonaten zu renovieren, im Sommer als neues Gasthaus zu eröffnen und ein richtig gutes Geschäft zu machen. Ein waghalsiges Unterfangen, denn die Insel kann bei dem rauen Wetter nur an bestimmten Tagen angefahren werden und sie sind ohne Strom und Heizung auf sich allein gestellt. Und die unheimlichen Geschichten, die über das alte Haus kursieren, sind alles andere als einladend…

Das Buch klang für mich auf den ersten Blick so vielversprechend, dass ich es mir kürzlich gekauft und direkt gelesen habe. Unheimliche Geschichten von einer verlassenen isländischen Insel, an einem kalten Winterabend bei Kerzenschein, das könnte doch richtig gemütlich sein. Theoretisch.
Denn wenn man mal genauer drüber nachdenkt, ist es schon reichlich hirnverbrannt, auf einer einsamen Insel im Winter ohne Strom ein altes Haus restaurieren zu wollen – vor allem, wenn man handwerklich keinen blassen Schimmer hat und der nächste Obi denkbar weit weg ist. Aber ok, beide Augen zugedrückt, man braucht das Szenario für die gruselige Story. Die von der Anlage her auch jede Menge Potential für eine wirklich unheimliche Geschichte gehabt hätte. Nur leider hatte ich hier das Gefühl, dass die Autorin sämtliche Elemente gruseliger Geschichten, von denen sie jemals gehört hat, in dieses Buch einbauen wollte und zwar mit der Holzhammermethode. Das wurde einem derart plump ab Kapitel eins in kurzen Abständen serviert, dass ich es beim besten Willen nicht gruselig fand. Alle Elemente für sich, langsam aufgebaut und entwickelt, hätten es sein können, aber das war schriftstellerisch gar nicht gelungen. Stephen King beherrscht diese Kunst meisterhaft, weswegen seine Bücher auch doppelt bis dreifach so dick sind, aber danach schließt man die Tür ab und schaut unters Bett. In diesem Fall hätte sich die Autorin auch die zahlreichen Wiederholungen gespart.

Ich hab nicht mitgezählt, wie oft der Boden in der Küche geknarrt oder der Hund geknurrt hat, aber es war schon sehr oft. Dazu gab es bereits im ersten Drittel des Buches Szenen, bei denen ich nur mit dem Kopf schütteln konnte, so komplett unwahrscheinlich war das. Und damit meine ich nicht die übersinnlichen Phänomene, sondern das komplett irrationale Verhalten einzelner Leute. Niemand vergisst einfach so, dass er nachts Stimmen aus der Küche gehört hat. Vor allem, wenn man sowieso vermutet, dass auf der Insel jemand rumschleicht. Da weckt man doch seine Freunde und fragt, ob sie auch was hören, man schaut gemeinsam nach, was weiß ich. Hier wird weitergepennt und erstmal vergessen… Dann geht der Nächste in einer schon reichlich verängstigten Stimmung alleine los, um erstmal Bier zu holen – ich könnte noch länger so weitermachen. Daher abschließend die Frage, warum hab ich überhaupt weitergelesen? Ich habe gehofft, es wird besser. Und dann war ich neugierig, wie die Geschichte aufgelöst wird. Hat sich für mich leider gar nicht gelohnt, da am Ball zu bleiben, aber das ist wie alles Geschmackssache.

Allerdings hat mich ein Punkt wirklich aufgeregt. Wenn man meint, man müsste für die Steigerung der Dramatik das Thema Diabetes und Insulinmangel einbauen, der kann das ja machen. Aber man sollte sich doch zumindest die Mühe machen, die medizinischen Zusammenhänge zu recherchieren. Hier war so vieles falsch, dass es mich wirklich geärgert hat.

Bewertung: 1.5 von 5.

Yrsa Siguradardóttir: Geisterfjord. Frankfurt/M.: Fischer Verlag, 2011

Seishi Yokomizo: Die rätselhaften Honjin-Morde



Auch wenn man ihn hierzulande wahrscheinlich kaum bis gar nicht kennt, gehört Seishi Yakomizo in Japan zu den beliebtesten Autoren klassischer Kriminalromane. Dieses Buch ist der Auftakt einer Serie um den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi, die bereits 1946 in Japan erschienen ist.
Bei Blumenbar / Aufbau Verlage ist dieser Klassiker nun auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Darin geht es um ein grausames Verbrechen im Hause der angesehen Familie Ichiyanagi im Winter 1937. Der älteste Sohn und seiner frischvermählte Ehefrau werden noch in der Hochzeitsnacht ermordet. Das mysteriöse an dem Fall: das Verbrechen fand in einem von innen verschlossenen Raum statt…

Gleich zu Beginn war ich schon mal von der Erzählweise sehr angetan, denn hier berichtet eine Art Chronist von den schrecklichen Ereignissen in dem nicht näher benannten Dorf O. Auf diese Weise wird das Verbrechen schrittweise vor den Leser:innen ausgebreitet und man kommt nicht umhin, selbst mitzurätseln, wie sich diese seltsamen Morde zugetragen haben und wer dafür verantwortlich ist.
Nun kennt ja jede:r diese Rätsel, in denen sich irgendwer tot in einem verschlossenen Raum befindet und man herausfinden soll, wie dieser Mensch zu Tode gekommen ist und so ähnlich ist es auch hier.
Um ehrlich zu sein bin ich normalerweise kein Fan von diesen Rätseln, aber hier ist es etwas anderes. Denn das Rätsel ist eine wirklich gut erzählte Geschichte eingebettet.
Nun liegt es in der Natur dieser ‚Locked-Room-Murder-Mysterys‘, dass sie nicht ganz einfach zu durchschauen sind und schon mal um die Ecke gedacht werden muss. Von daher liegt die Auflösung auch hier nicht auf der Hand, ist aber sehr klug durchdacht und absolut glaubwürdig. Und das gilt noch viel mehr für die abschließend pråsentierte sentierte Motivlage des Täters. Selten war für mich ein Verbrechen in seiner Motivation so überzeugend erklärt wie hier. In seiner Art sehr speziell und gar nicht auf der Hand liegend, aber sensationell gut erklärt und aus dem Charakter des Täters hergeleitet.

Bewertung: 4.5 von 5.

Seishi Yokomizo: Die rätselhaften Honjin-Morde. Berlin: Blumenbar /Aufbau Verlage, 2022

Donna Leon: Venezianisches Finale

Tragödie in Venedigs berühmten Opernhaus: Der Stardirigent Helmut Wellauer stirbt während der Aufführung, in seiner Garderobe der unverkennbare Duft nach Bittermandeln.
Brunetti und seine Kollegen beginnen fieberhaft mit den Ermittlungen, wer den Opernstar vergiftet haben könnte und stellen fest: erstaunlich viele hatten ein Motiv…

Eigentlich hatte ich das Buch schon aussortiert, denn Donna Leon hatte ich gedanklich in die Kitschschublade einsortiert. Kurz vor dem Bücherschrank hat mich jedoch meine spätere Lesepartnerin aufgehalten, mit der ich das Buch dann doch zusammen gelesen habe. Und ich muss sagen, ich bin positiv überrascht und auf jeden Fall eines besseren belehrt.
Es wird jetzt zwar nicht meine Lieblingskrimireihe werden, aber ist ein durchaus solider Krimi in alter Erzähltradition.
Ein Mord, viele Verdächtige, das Ganze weitgehend unblutig und ohne großes Aktionspektakel.
Ich hatte anfangs Mühe mit der venezianischen Kulisse – automatisch ist bei mir der traditionelle Krimi in England verortet. Da muss man erstmal umdenken. Auch war für mich die Figur des Brunetti zunächst etwas farblos und ich hatte Mühe, in das Buch reinzukommen. Das italienische Temperament und die farbenfrohe Lebendigkeit der Stadt kam für mich nicht stark genug rüber.
Trotzdem war die Geschichte gut erzählt, überwiegend spannend und in der Auflösung plausibel.
Auch wenn ich mir die Figuren und die venezianische Kulisse noch kraftvoller gewünscht hätte, kann ich mir doch vorstellen, Brunetti noch eine zeitlang zu begleiten..

Bewertung: 3.5 von 5.

Donna Leon: Venezianisches Finale. Zürich: Diogenes, 1995 (Orig. 1993)

Marc Voltenauer: Wer hat Heidi getötet?

Ganz ehrlich, würde ich den Autor nicht schon kennen, hätte ich dieses Buch vermutlich nicht gelesen, denn ich finde den Buchtitel ausgesprochen unglücklich. Nun hatte ich aber bereits vor zwei Jahren den Vorgängerband des mir damals noch unbekannten Autors gelesen und war auf das Positivste überrascht. Und auch dieser hat mich nicht enttäuscht, um es gleich vorweg zu sagen…

Erneut wird das beschauliche Bergdorf in den Schweizer Alpen der Schauplatz einer Mordserie und Kommissar Andreas Auer ist wieder gefordert. Der unbekannte Täter entführt nacheinander mehrere Frauen, die sich auffallend ähneln. Doch das ist nicht das einzig Merkmal, das die Frauen verbindet…

Auch in diesem Band bin ich wieder sehr angetan von der Atmosphäre in diesem abgelegenen Bergdorf, die in diesem Krimi sehr gut in Szene gesetzt wird. Die Menschen kennen sich, haben aber ihre kleinen oder auch größeren Geheimnisse. Die Kulisse ist sehr idyllisch und bildet einen guten Kontrast zu den Mordfällen.
Auch Voltenauers Schreibstil finde ich wieder sehr angenehm und gut zu lesen.

Darüber hinaus gelingt ihm, woran viele Krimiautoren scheitern, nämlich eine sehr komplexe Geschichte verständlich, nachvollziehbar und ohne logische Schwachstellen zu erzählen. Denn hier gibt es von Beginn an zwei Fälle, die abwechselnd in zwei Erzählsträngen erzählt werden. Das macht die Geschichte sehr dynamisch und spannend – vor allem, weil die Ereignisse und Charaktere sehr unterschiedlich sind. In dem einen Fall kommt direkt ein bisschen Bond-Feeling auf.

Besonders angenehm finde ich auch die Figur des Ermittlers selbst. Er hat keine Sinnkrise, keine Alkoholprobleme, sondern ist eigentlich ein ganz normaler Typ, der gutes Essen und ein gutes Glas Wein liebt. Und er hat einen Partner.
Eigentlich sollte das nicht extra erwähnenswert sein, aber ich kenne bisher keinen Krimi oder Thriller mit einem homosexuellen Ermittler. Nun hat der Autor die Figur nicht deshalb so entworfen, weil das zur Zeit besonders gut ankommt und er einen Trend bedienen möchte, sondern weil es für ihm ganz natürlich zum Leben dazu gehört. Das macht den Kommissar und seinen Partner, der auch immer wieder an den Ermittlungen beteiligt ist, so authentisch. Und so sympathisch, dass man am liebsten selbst mit ihnen ein Glas Wein trinken würde.

Bewertung: 4 von 5.

Marc Voltenauer: Wer hat Heidi getötet? Köln: Emons Verlag, 2022

Viveca Sten: Kalt und still

Nach einigen persönlichen Schicksalsschlägen sucht die Polizisten Hannah Ahlander Zuflucht im Ferienhaus ihrer Schwester im Norden von Schweden. Doch die gewohnte Ruhe in dem verschneiten Bergdorf ist in hektischen Aufruhr umgeschlagen. Bei minus 20 Grad ist eine Schülerin nach einer Party verschwunden und jede Minute zählt. Hannah beteiligt sich an den Suchaktionen und entdeckt schon bald mysteriöse Dinge in diesem so harmlos wirkenden Dorf…

Dieses Buch zu bewerten fällt mir echt schwer, denn wie das beschriebene Bergdorf hatte es für mich Höhen und Tiefen.
Ganz klar für das Buch spricht, dass es einen sehr angenehm flüssigen Schreibstil hat und es sich wirklich gut lesen lässt. Kombiniert mit den kurzen Kapiteln und den Perspektivenwechseln flutscht man nur so durch die Seiten und ich habe mich trotz der inhaltlichen Mängel gut unterhalten gefühlt. Auch wenn sich vieles schon angedeutet hat, war ich doch bis zum Schluss auf die Auflösung gespannt. Auch die Atmosphäre in diesem verschneiten Bergdorf hat mir gut gefallen. Soweit ein angenehm und gut zu lesender, solider Krimi und alles könnte so schön sein.

Nur leider gab es für mich auch einige handwerkliche und inhaltliche Stolpersteine, die meine Lesefreude etwas getrübt haben. Einige Charaktere waren für mich schon sehr klischeehaft und auch einzelne Szenen ziemlich plump entworfen, einschließlich der verschiedenen gelegten Fährten. Dass wir den Täter in der Leserunde eigentlich schon spätestens nach der Hälfte im Verdacht hatten, hat mich dabei gar nicht so gestört, sondern die vielen doch recht unwahrscheinlichen Ereignisse in diesem Krimi.
Immer wieder musste man sich fragen: Wer macht sowas? Wie wahrscheinlich ist das? Auch bei einem Krimi sollte es nicht allzu viele dieser Momente geben, finde ich.
Gerade zum Ende kam da einiges zusammen. Die dramatische Entwicklung rund um Hannah am Schluss war ja nochmal sehr spannend, aber die Auflösung…

Wie gesagt, für mich ein Krimi mit Höhen und Tiefen, aber im Großen und Ganzen habe ich mich gut unterhalten gefühlt.

Bewertung: 3.5 von 5.

Viveca Sten: Kalt und still. München: dtv, 2022

Volker Kutscher: Transatlantik

Viele lose Enden aus dem letztem Band werden hier wieder aufgegriffen und weitergesponnen. Raths Zeppelinabsturz, Fritz‘ Einweisung in die Nervenklinik und Charlottes Ausreisepläne. Und ein neuer Mordfall sorgt für Unruhe, denn der Tote ist ausgerechnet der Freund von Greta. Und die ist seitdem spurlos verschwunden…

Diese Krimi-Reihe und auch meine Begeisterung zieht sich ja über die Jahre durch meine Beiträge. Vieles was ich daran so mag, findet sich auch hier. Die gut ausgearbeiteten Charaktere und ein spannender Kriminalfall, der in den historischen Kontext eingebettet ist. Und gerade der zeitgeschichtliche Hintergrund macht für mich diese Reihe so besonders. Sie ist ausgesprochen gut erzählt und recherchiert, mit viel Liebe fürs Detail.
Der neunte Band spielt im Jahr 1937, in dem die Hauptstadt bereits auf einen bevorstehenden Krieg vorbereitet wird. Auch schreitet der Bau von Konzentrationslagern und die Verhaftung politisch Andersdenkender immer weiter voran.

Mir hat auch der neue Kutscher wieder sehr gut gefallen, auch wenn ich ihn nicht ganz so stark finde, wie den letzten Band. Er fängt doch recht schleppend an und vieles aus ‚Olympia‘ wird hier nochmal aufgegriffen, zum Teil auch ausführlich betrachtet. Das ist stellenweise direkt irritierend, weil man (zu recht) denkt, das hat man doch schon mal gelesen. Das fand ich nicht ganz so glücklich.
Spätestens in der zweiten Hälfte nimmt das Buch aber deutlich an Fahrt auf und hat dann auch wieder das gewohnt hohe Level an Spannung und Dynamik.

Bewertung: 4 von 5.

Volker Kutscher: Transatlantik. München: Piper Verlag, 2022