Volker Kutscher: Marlow

Nun wird ja das Genre Krimi der (trivialen) Unterhaltungsliteratur zugerechnet und von vielen nicht so recht ernst genommen. Dass das nicht immer so ganz hinhaut, beweist diese Serie. Denn hier kriegt man zum Kriminalfall immer noch ein Stück bestens recherchierte Zeitgeschichte mitgeliefert und das auf einem ganz hohen Niveau.
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Mittlerweile befinden wir uns im Jahre 1935 und im Zentrum des Geschehens steht eine geheime Ermittlungsakte, die Rath in die Finger gerät und ihn in größte Schwierigkeiten bringt.
In diesem Band taucht man ein in die Welt der SS und des Sicherheitsdienstes unter Heydrich in seiner Mischung aus Bespitzelung, Terror und Folter. Gerade die Auswirkungen auf das alltägliche Zusammenleben, dass mit Angst und Misstrauen durchzogen wird, sind von Kutscher sehr plastisch herausgearbeitet worden. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen zwar noch die Ermittlungen gegen Kommunisten und politische Konkurrenten, aber die zunehmende Judenverfolgung wirft bereits ihre Schatten voraus.
Parallel zu diesen Geschehnissen tritt der Gangsterboss Marlow in den Focus der Geschichte, so dass man endlich mal ein bisschen mehr über ihn und seine Vergangenheit erfährt.

Für mich waren die historischen Ereignisse auch in diesem Band fesselnder, als es jeder Kriminalfall sein könnte und so kann ich auch hier nur eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen. Allerdings hat die Geschichte ein bisschen Anlauf gebraucht, um so richtig in Fahrt zu kommen. Von der Dynamik her haben mir die beiden Vorgänger da noch etwas besser gefallen.

Bewertung: 4 von 5.

Volker Kutscher: Marlow. München: Piper, 2018

Volker Kutscher: Olympia

Ganz Berlin steht Kopf, denn die Stadt ist Austragungsort der Olympischen Spiele. Während die Nationalsozialisten das als Kulisse ihres Propagandafeldzugs missbrauchen, geschieht im olympischen Dorf ein Mord an einem amerikanischen Funktionär. Die Machthaber setzen alles daran, die Ereignisse zu vertuschen und beauftragen Rath für diskrete Ermittlungen vor Ort. Doch es kommt zu weiteren Todesfällen…

Wenn man denkt, es kann kaum noch besser werden…
Dieser Roman ist von vorne bis hinten sensationell gut gemacht. Das beginnt mit der perfekt eingefangen Stimmung rund um die Olympischen Spiele und der Propagandamaschinerie, der man sich kaum entziehen konnte. Bereits in den Bänden davor war in der Figur des Fritz ja schon gut herausgearbeitet worden, welche Faszination die HJ auf junge Menschen ausüben konnte, gleichzeitig aber auch, welcher Gehirnwäsche sie unterzogen waren. Diese Begeisterung bekommt in diesem Band erste Risse.
Man taucht hier förmlich ein in die Begeisterungswelle, die Berlin in diesen Tagen erfasst hatund wird Teil dieser Inszenierung. Das gerade vor dem Hintergrund dieser Kulisse ein Mord geschieht, ist so brisant wie spannend.
Auch Rath und Charly werden immer stärker mit dem Terrorapparat des Regimes konfrontiert. Immer häufiger werden vermeintliche Regimegegner willkürlich inhaftiert und gefoltert. Kutscher hat hier sehr gut die beiden Seiten des Regimes, den Schein und das Sein herausgearbeitet, inklusive der Mechanismen dieser großen Propaganda maschinerie.
Der Gedanke, das Land zu verlassen, nimmt Formen an…

Für mich bisher der beste Band der Serie, leider mit einem fiesen Cliffhanger am Schluss.
Wie kann man denn so ein offenes Ende einbauen!
Also, ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, wie es weitergeht… um es mal vorsichtig auszudrücken.

Bewertung: 4.5 von 5.

Volker Kutscher: Olympia. München: Piper Verlag, 2020

Volker Kutscher: Lunapark

Berlin 1934: Die Nazis bauen ihre erlangte Machtposition weiter aus und die SA verbreitet Angst und Schrecken in der Stadt. Andersdenkende werden zu Tausenden verschleppt und grausam zugerichtet.
In dieser Atmosphäre der Angst wird auf offener ein toter SA-Mann gefunden. Eine kommunistische Parole an der Mauer deutet auf einen politischen Mord hin.
Kommissar Rath vermutet jedoch einen anderen Hintergrund und ermittelt ein weiteres Mal auf eigene Faust…

Wenn ich nicht sowieso schon begeistert wäre von der Serie, ich wäre es spätestens jetzt.
Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag und ähnliche haarsträubende Szenen ziehen sich durch das ganze Buch.
Nun gibt es auch hier wie in jedem Band einen Kriminalfall zu lösen, aber im Mittelpunkt des Geschehens stehen ganz klar die politischen Verhältnisse im Land und die sind von Kutscher ein weiteres Mal meisterhaft eingefangen worden.
Das ist absolut fesselnd, gleichzeitig aber auch sehr beklemmend und stellenweise nicht einfach zu lesen. Die Atmosphäre der Angst und Ohnmacht lässt sich förmlich mit Händen greifen.
Die Fortsetzung folgt auf dem Fuße. Dem Titel nach wird Gangsterboss Marlow hierbei eine tragende Rolle spielen, der schon in diesem Band seine charmante Maske abgelegt hatte. Man darf gespannt sein…

Bewertung: 4.5 von 5.

Volker Kutscher: Lunapark. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2016

Volker Kutscher: Märzgefallene

Weltkriegsveteranen sind die Opfer in einer Mordserie, in der Kommissar Rath in diesem Band ermittelt. Umgebracht auf die gleiche außergewöhnliche und grausame Art.
Historischer Hintergrund des Kriminalfalls sind die politischen Ereignisse in Berlin 1933, die in sich schon romanfüllend sind: Reichtstagsbrand, Kommunistenverfolgung und die Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Auch wenn der Kriminalfall spannend und gut gemacht ist, sind es gerade diese politischen Ereignisse, die mich in diesem 5. Teil so in den Bann geschlagen haben. Denn die Dinge, die da passieren, sind in sich schon so haarsträubend und fesselnd, dass es einen speziellen Fall gar nicht gebraucht hätte. Die historische Realität ist da Krimi genug und im wahrsten Sinne des Wortes kriminell.
Was dem Autor hier wieder unglaublich gut gelungen ist, ist die Stimmung der damaligen Zeit einzufangen und zwar sowohl aus der Perspektive der ganz einfachen Leute als auch der Entscheidungsträger. Und wie verbreitet die Ansicht doch war, Hitlers sei eine wenig ernstzunehmende Episode in Zeiten wechselnder Regierungskonstellationen. Ein Spuk, der bald wieder vorbei ist. Das liest sich aus heutiger Perspektive natürlich mit einem richtigen Kloß im Hals.
Gerade durch diese dramatische historische Kulisse hat mich dieser 5. Band der Reihe wieder mal total gekriegt.

Für alle, die die Reihe noch nicht kennen: Lesen!

Bewertung: 4.5 von 5.

Volker Kutscher: Märzgefallene. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2016 (Original 2014)

Volker Kutscher: Die Akte Vaterland

1932: Kommissar Rath ist in diesem Band mit einer mysteriösen Mordserie konfrontiert. Seine Ermittlungen führen ihn ins ländliche Masuren, einen Ort mit einer offensichtlich dunklen Vergangenheit und beunruhigenden Zukunft, denn die Nationalsozialisten sind hier auf dem Vormarsch. Aber auch in Berlin spitzen sich die politischen Konflikte langsam zu.

Was mich drei Bände lang begeistert hat, tut es auch hier: der zeitgeschichtliche Hintergrund, der die Kulisse der Kriminalfälle bildet. Das ist erneut sehr anschaulich herausgearbeitet worden und macht das Besondere dieser Serie aus. Und das ist wahrlich eine besonders ereignisreiche Zeit in der deutschen Geschichte.
In diesem Band fand ich auch den Kriminalfall sehr gut gelungen, der war für mich spannender und stringenter als bei den Vorgängern. Auch hat mir die Ermittlungsarbeit im fernen Masuren gut gefallen. Das andere Setting bringt nochmal einen neuen Reiz rein und sorgt dafür, dass kein erzählerischer Gewöhnungseffekt einstellt. Auch tut die Entzerrung der Liebesgeschichte der Serie gut, denn auch die ist für Raths Aufenthalt in Masuren vorübergehend auf Sparflamme. Für mich der beste Rath bisher.

Bewertung: 4.5 von 5.

Volker Kutscher: Die Akte Vaterland. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2012

Volker Kutscher: Goldstein

Den Inhalt dieses dritten Bandes der Gedeon Rath-Reihe wiederzugeben ist gar nicht so einfach, denn das sind mehrere Stories in einer. Zum einen gibt es den US-Gangster Goldstein, der in Berlin sein Unwesen treibt und dem Rath auf den Fersen ist. Zum anderen ist da der Fall rund um die junge, obdachlose Kaudhausdiebin Alex, deren Komplize Benny Opfer eines skrupellosen Polizisten wird. Und nicht zu vergessen, die höchst konfliktträchtige Beziehung zwischen Rath und Charly…

Um es gleich vorab zu sagen, für mich war es der schwächste von den bisherigen Bänden. Was nicht heißt, dass er schlecht ist. Ich finde die Zeit und die Idee, auf dieser Kulisse Kriminalfälle zu konstruieren, nach wie vor extrem reizvoll und lese die Reihe wirklich gerne. Das liegt vor allem an dem genau recherchierten geschichtlichen Hintergrund, der ein sehr anschauliches Bild dieser Zeit entwirft.
Störend fand ich an diesem Band, dass zu viele Handlungsstränge zu lange nebeneinander herlaufen und in meinem Gefühl sehr schleppend vorankamen. Auch wenn die einzelnen Erzählstränge an sich nicht uninteressant waren, zog sich das zu sehr in die Länge. Ein paar Seiten weniger hätten diesem Band gut getan. Ich hätte einen roten Faden auch angenehmer gefunden als die vielen losen Enden. Das hat für mich den Lesefluss beeinträchtigt.

Bewertung: 3.5 von 5.

Volker Kutscher: Goldstein. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011

Volker Kutscher: Der stumme Tod

Band 2 der Romanvorlage zur TV-Serie Babylon Berlin:

1930: Kommissar Gedeon Rath ermittelt in diesem zweiten Band in der Filmbranche, die sich zu dieser Zeit im Umbruch befindet. Der Stummfilm wird zunehmend vom Tonfilm abgelöst und gefährdet Produzenten, Kinobesitzer und Stummfilmstars.
Der Tod einer gefeierten Schauspielerin führt Rath in die Welt des Glamours mit all seinen Schattenseiten.

Mich hat das Buch sofort auf den ersten Seiten gepackt, da ich das Thema der sich entwickelnden Filmindustrie extrem spannend finde. Dem Autor gelingt es, die Atmosphäre des Auf- und Umbruchs mit all seinen Hoffnungen, aber auch Risiken gut auf den Punkt zu bringen. Eine perfekte Kulisse für eine Mordermittlung! Hat mich teilweise an Agatha Christie erinnert und die mag ich sehr. Die Story war intelligent konstruiert und gerade zum Ende hin mit viel Dynamik.
Diese hat mir leider zwischendurch ein bisschen gefehlt, da gab es doch einige Längen. Auch gibt es im Buch einen zusätzlichen Erzählstrang, in dem es um einen Erpressungsfall geht, der keinen geringeren als Konrad Adenauer betrifft. Den hätte es für meinen Geschmack nicht gebraucht. Das Ganze plätschert so am Rande vor sich hin, ohne dass es zusätzliche Spannungsmomente reinbringt. Ich fand es sogar eher störend, weil es von der eigentlichen Geschichte ablenkt.
Aber eine gelungene Fortsetzung eines ebenso gelungenen Auftakts. Gerne mehr davon.

Bewertung: 4 von 5.

Volker Kutscher: Der stumme Tod. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010


Volker Kutscher: Der nasse Fisch

Der Auftakt der Romanvorlage zur bekannten TV-Serie Babylon Berlin, die im Berlin der 30er Jahre spielt. Bisher sind sieben Bände dieser Reihe erschienen, der achte Band erscheint nächsten Monat.

1929: Der junge Kommissar Gedeon Rath wird von Köln nach Berlin versetzt, zunächst ins Sittendezernat. Doch er hat höhere Ziele und schaltet sich auf eigene Faust in die Ermittlung im Fall eines unbekannten Toten ein, der grausame Folterspuren aufweist. Schon bald entpuppt sich der Tote als Opfer in einem hochbrisanten Konflikt, in dem offenbar Exilrussen, Paramilitärs und sogar das organisierte Verbrechen ihre Finger mit im Spiel haben…

Ein gelungener Auftakt dieser Reihe, in dem das Lebensgefühl im Berlin der späten zwanziger Jahre sehr authentisch wiedergegeben ist. Als Berlinerin hatte es für mich nochmal den besonderen Reiz, die vielen bekannten Plätze aus historischer Perspektive zu betrachten.
Besonders gut gefallen hat mir die genaue Ausarbeitung der politischen Zusammenhänge und Konflikte. Dass Kutscher studierter Historiker ist, merkt man diesem Buch im positivsten Sinne an.
Gleichzeitig ist diese kleine Geschichtsstunde in einen spannenden Kriminalfall verpackt, mit gut konstruierter Story und authentischen Charakteren. Sowohl der Ermittler Gedeon Rath als auch seine Kollegin und Freundin sind ausdrucks- und willensstarke Persönlichkeiten, ihre Beziehung entsprechend dynamisch – mit allen Höhen und Tiefen.
Einziger Kritikpunkt sind die doch recht komplexen Verwicklungen zwischen den vielen Personen. Da fällt es schwer, den Überblick zu behalten und erschwert den Lesefluss. Das wird im Film sicher einfacher sein, von daher: perfekte Filmvorlage.

Bewertung: 4 von 5.

Volker Kutscher: Der nasse Fisch. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2008