Alexander Oetker / Thi Linh Nguyen: Die Schuld, die uns verfolgt

Eines Morgens klingeln bei dem Polizisten-Ehepaar Linh-Thi und Adam Schmidt die Diensthandys. Während Adam zu einer Kindesentführung im Berliner Arbeiterbezirk Wedding gerufen wird, ist Linh-This Einsatz bei einem Banküberfall mit Geiselnahme im verschlafenen brandenburgischen Flecken-Zechlin gerfordert. Noch ahnt niemand, dass diese so ungleichen Fälle einiges verbindet…

Mit dem Ehepaar Schmidt betritt ein neues Ermittlerpaar die Berliner Krimi Bühne und präsentiert seinen ersten Fall, der auf mehreren Ebenen recht spektakulär daherkommt. Kindesentführung hier, Geiselnahme da ist sicherlich nicht das tägliche Brot der Polizei, aber das will man auch nicht in einem Krimi lesen und somit ist das auch ganz in Ordnung. Das ermittelnde Paar ist entgegen meiner Befürchtung sehr natürlich und kitschfrei, auch die Rekonstruktion ihres gemeinsamen Werdegangs hat mir gut gefallen. Die Anlage dieses Ermittlerteams hat also durchaus Potential.

Gut gelungen fand ich auch die Rückblenden in Linh This Vergangenheit, in der man einiges Interessantes rund um die vietnamesische Zigarettenmafia der 90er Jahre erfährt. Und immer wieder liebe ich es, mich in Romanen in meiner Heimatstadt wiederzufinden, deren Schauplätze man oft sehr genau kennt.
Die Story selbst ist gut konstruiert und über weite Strecken spannend. Thematisch war Geiselnahme und Entführung nicht ganz so mein Geschmack, aber für Fans von Tatort und Co sicher genau das Richtige. Also, ein solider, gut zu lesender Krimi mit einer Reihe spannender Momente.

Dem ich allerdings ein ABER anschließen möchte, da ich mich doch an einigen Stellen sehr über das Buch geärgert habe. Bereits zu Beginn wird sich über die Lehrerin aufgeregt, die ständig krankfeiert. Wenige Seiten später trifft es die Erzieherinnen, die – wahlweise inkompetent oder von vorgestern – ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen.

Damit man die Seitenhiebe auf die Pädagogenzunft auch ja nicht überliest, wird am Ende des Romans nochmal nachgeschoben: „Ich bin am Zaun der Kita entlanggelaufen, als die Erzieherinnen wie so oft mal wieder was Besseres zu tun hatten, als auf die Kinder zu achten.“ (S. 300) Offenbar glaubt das Autorenduo noch an das Märchen der faulen Lehrerschaft oder der Erzieherinnen, die den ganzen Tag nur auf der Bank sitzen und Kaffee trinken. Daher gehen Grüße raus an die Lehrerinnen im realen Leben, die jeden Tag in überfüllten Klassen mit schwierigsten Kindern ihr Besstes geben, oft auf Kosten ihrer Gesundheit. An die Erzieherinnen, die aufgrund des Personalmangels immer größere Gruppen beaufsichtigen müssen. Auf dass solch undifferenzierte und unzeitgemäße Pauschalverurteilungen bald der Vergangenheit angehören!

Bewertung: 3.5 von 5.

Alexander Oetker / Thi Linh Nguyen: Die Schuld, die uns verfolgt. München: Piper Verlag, 2023

Lutz Seiler: Stern 111

Im Herbst 1989 machen sich Inge und Walter Bischoff im Zuge des Mauerfalls in den Westen auf. Ein lange gehegter Traum soll wahr werden, bevor sich das politische Blatt nicht doch wieder wendet. Ihr inzwischen erwachsener Sohn Carl hat wenig Lust, im heimatlichen Gera die Stellung zu halten und geht nach Berlin. Dort schließt er sich der Hausbesetzerszene an, arbeitet in der Kellerkneipe Assel und findet in der linksradikalen Guerillabewegung einen neuen Wirkungskreis…

Eigentlich bringt der Roman alles mit, um bei mir zu punkten. Als Berlinerin sind mir alle Orte bestens vertraut, in meiner Jugendzeit war ich ständig in linksalternativen Kneipen unterwegs und bin es auch heute noch ab und zu, sofern sie denn mal wieder offen haben. Also gedanklich und lebenspraktisch gab und gibt es da deutliche Schnittstellen. Aber auch schon damals sind mir einseitige linksradikale Weltverbeserungsparolen unsagbar auf die Nerven gegangen und dieser Geist weht mich in diesem Buch leider immer mal wieder an.
Ich habe hier die Lebendigkeit und jugendliche Aufbruchsstimmung vermisst, die mir bespielsweise bei Regeners Herrn Lehmann so viel Spaß gemacht hat. Auch das ist eine nostalgische Rückschau auf alte Zeiten, aber eine, in der sich die prickelnde Stimmung komplett überträgt.
Das Gefühl hatte ich beim Stern 111 leider in keinster Weise, obwohl die Ereignisse dieser Zeit nicht weniger aufregend waren. Aber der Funke ist hier für mich überhaupt nicht übergesprungen, ich fand das Ganze überwiegend kraftlos, langatmig bis -weilig und auch ermüdend. Das streckte sich für meinen Geschmack sehr zäh in die Länge.
Es war ein bisschen so, als wenn ein etwas in die Jahre Gekommener in bierseliger Stimmung über seine wilden Jugendjahre monologisiert. Am Anfang ist es noch ganz nett, aber nach einer Stunde wird das Lächeln schon etwas gequält und spätestens ab Stunde drei wünscht man sich an einen andere Ort.

Nicht mein Buch, aber eins mit durchaus vielen Fans. Immerhin hat es letztes Jahr einen ordentlichen Preis gewonnen!

Bewertung: 2 von 5.

Lutz Seiler: Stern 111. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2020

Maxim Biller: Der falsche Gruß

Der junge Leipziger Erck Dessauer, angehender Schriftsteller mit großen Ambitionen, versucht im Berlin der Jahrtausendwende Fuß zu fassen. Und er bekommt ihn endlich, den lang ersehnten Buchvertrag bei einem renommierten Verlag. Wäre da nicht der intrigante Journalist Hans Ulrich Barsilay, bekannte Größe der Berliner Gesellschaft und Literaturszene, der ihm sein Projekt streitig machen will…

An Biller scheiden sich ja die Geister und auch dieser (recht schmale) Roman beweist mal wieder, everybody’s darling ist er nicht und will es wohl auch nicht sein. Und das mag ich an ihm. Seine kantige Art und den scharfzüngigen Stil, in dem er gerne mal vor sich hinätzt – in diesem Fall in Richtung Literaturbetrieb. Schnell wurden in den Rezensionen bekannte Größen wiedererkannt, wie beispielsweise den verstorbenen Frank Schirrmacher in der Figur des Barsilay. Auch konnte man als LeserIn mitraten, wie viel an Biller in Erck Dessauer steckt und wahrscheinlich findet man einiges von ihm in beiden Figuren, zumal wenn man an seinen verbotenen Roman Esra denkt.

Anfangs hatte ich etwas Mühe, in das Thema des Romans reinzukommen. Es hätten für meinen Geschmack auch ruhig ein paar Seiten mehr sein können. Insgesamt hat mich dieser kleine Ritt durch den Literaturbetrieb der Jahrtausendwende aber gut unterhalten, spätestens beim unangekündigten Besuch seiner Angebeteten, bei dem ich mehrfach laut lachen musste.
Das war für mich auch ein großer Pluspunkt des Romans, dass der Ich-Erzähler nicht mit Ironie in die eigene Richtung spart und sich voller Selbstzweifel durch den noch unbekannten Berliner Literaturbetrieb bewegt.
Einzig das Klischee der blonden vollbusigen Frau seines Begehrens, die natürlich auch noch mit roten Lippen und auf hohen Schuhen daherkommt, hat bei mir ein genervtes Augenrollen ausgelöst, allerdings… wer kann schon was für seine geheimen Fantasien…

Bewertung: 3.5 von 5.

Max Biller: Der falsche Gruß. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021

Florian Schwiecker / Michael Tsokos: Die 7. Zeugin

Ein ruhiger Sonntagmorgen in Berlin-Charlottenburg, ein unbescholtener Familienvater. Plötzlich zieht er in einer Bäckerei eine Waffe, schießt um sich und hinterlässt einen Toten und zwei Verletzte. Danach lässt er sich widerstandslos festnehmen.
Für alle Beteiligten und auch seinen Verteidiger ist die Schuldfrage eindeutig, jedoch bleibt das Motiv völlig rätselhaft. Ein Zustand, mit dem sich Strafverteidiger Rocco Eberhardt nicht zufrieden geben möchte. Doch der Täter schweigt beharrlich…

Also ich muss sagen, ich mochte dieses Buch, obwohl ich nach Beendigung dieser Lektüre etwas zwiegespalten bin und das liegt ganz eindeutig am Ende. Nur wie kann ich das erklären, ohne zu spoilern?

Sagen wir mal so… es gibt ja Autoren bei denen es vor allem zum Ende hin unzählige Verwicklungen und überraschende Wendungen gibt. Das kann man hier nun nicht gerade sagen… Es fühlte sich für mich eher so an, als wenn man einen Luftballon aufpustet in der Hoffnung, ihn zum Platzen zu bringen. Nur statt des lauten Knalls hat man plötzlich einen schlappen Gummi in der Hand, weil die Luft an anderer Stelle entwichen ist.

Das hört sich jetzt vielleicht härter an als es ist, denn überwiegend habe ich mich gut unterhalten gefühlt. Aber mir hat der Peng-Effekt am Ende gefehlt. Auch fand ich den im Klappentext angekündigten Rechtsmediziner wenig präsent, da könnten Freunde des Leichenschnipplers enttäuscht sein.

Nimmt man aber die Beschreibung ‚Justiz-Krimi‘ ernst, dann hat man hier eine solide Story mit durchweg lebensnahen, sympathischen Charakteren. Man merkt, dass vieles aus dem Leben gegriffen ist und genauso hätte passieren können, denn beide Autoren geben einen Einblick in ihre Berufe: den des Anwalts und des Rechtsmediziners. Das macht dieses Buch absolut lesenswert.
Dazu trägt der flüssige und dynamische Schreibstil mit seinen vielen Perspektivwechseln und kurzen Kapiteln wesentlich mit bei. Und… ich mag Justizkrimis!

Von daher ist das der Auftakt einer Reihe, die ich gerne weiter verfolgen möchte.

Bewertung: 4 von 5.

Florian Schwiecker / Michael Tsokos: Die 7. Zeugin. München: Knaur Verlag, 2021

Volker Kutscher: Marlow

Nun wird ja das Genre Krimi der (trivialen) Unterhaltungsliteratur zugerechnet und von vielen nicht so recht ernst genommen. Dass das nicht immer so ganz hinhaut, beweist diese Serie. Denn hier kriegt man zum Kriminalfall immer noch ein Stück bestens recherchierte Zeitgeschichte mitgeliefert und das auf einem ganz hohen Niveau.
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Mittlerweile befinden wir uns im Jahre 1935 und im Zentrum des Geschehens steht eine geheime Ermittlungsakte, die Rath in die Finger gerät und ihn in größte Schwierigkeiten bringt.
In diesem Band taucht man ein in die Welt der SS und des Sicherheitsdienstes unter Heydrich in seiner Mischung aus Bespitzelung, Terror und Folter. Gerade die Auswirkungen auf das alltägliche Zusammenleben, dass mit Angst und Misstrauen durchzogen wird, sind von Kutscher sehr plastisch herausgearbeitet worden. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen zwar noch die Ermittlungen gegen Kommunisten und politische Konkurrenten, aber die zunehmende Judenverfolgung wirft bereits ihre Schatten voraus.
Parallel zu diesen Geschehnissen tritt der Gangsterboss Marlow in den Focus der Geschichte, so dass man endlich mal ein bisschen mehr über ihn und seine Vergangenheit erfährt.

Für mich waren die historischen Ereignisse auch in diesem Band fesselnder, als es jeder Kriminalfall sein könnte und so kann ich auch hier nur eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen. Allerdings hat die Geschichte ein bisschen Anlauf gebraucht, um so richtig in Fahrt zu kommen. Von der Dynamik her haben mir die beiden Vorgänger da noch etwas besser gefallen.

Bewertung: 4 von 5.

Volker Kutscher: Marlow. München: Piper, 2018

Volker Kutscher: Der stumme Tod

Band 2 der Romanvorlage zur TV-Serie Babylon Berlin:

1930: Kommissar Gedeon Rath ermittelt in diesem zweiten Band in der Filmbranche, die sich zu dieser Zeit im Umbruch befindet. Der Stummfilm wird zunehmend vom Tonfilm abgelöst und gefährdet Produzenten, Kinobesitzer und Stummfilmstars.
Der Tod einer gefeierten Schauspielerin führt Rath in die Welt des Glamours mit all seinen Schattenseiten.

Mich hat das Buch sofort auf den ersten Seiten gepackt, da ich das Thema der sich entwickelnden Filmindustrie extrem spannend finde. Dem Autor gelingt es, die Atmosphäre des Auf- und Umbruchs mit all seinen Hoffnungen, aber auch Risiken gut auf den Punkt zu bringen. Eine perfekte Kulisse für eine Mordermittlung! Hat mich teilweise an Agatha Christie erinnert und die mag ich sehr. Die Story war intelligent konstruiert und gerade zum Ende hin mit viel Dynamik.
Diese hat mir leider zwischendurch ein bisschen gefehlt, da gab es doch einige Längen. Auch gibt es im Buch einen zusätzlichen Erzählstrang, in dem es um einen Erpressungsfall geht, der keinen geringeren als Konrad Adenauer betrifft. Den hätte es für meinen Geschmack nicht gebraucht. Das Ganze plätschert so am Rande vor sich hin, ohne dass es zusätzliche Spannungsmomente reinbringt. Ich fand es sogar eher störend, weil es von der eigentlichen Geschichte ablenkt.
Aber eine gelungene Fortsetzung eines ebenso gelungenen Auftakts. Gerne mehr davon.

Bewertung: 4 von 5.

Volker Kutscher: Der stumme Tod. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010


Volker Kutscher: Der nasse Fisch

Der Auftakt der Romanvorlage zur bekannten TV-Serie Babylon Berlin, die im Berlin der 30er Jahre spielt. Bisher sind sieben Bände dieser Reihe erschienen, der achte Band erscheint nächsten Monat.

1929: Der junge Kommissar Gedeon Rath wird von Köln nach Berlin versetzt, zunächst ins Sittendezernat. Doch er hat höhere Ziele und schaltet sich auf eigene Faust in die Ermittlung im Fall eines unbekannten Toten ein, der grausame Folterspuren aufweist. Schon bald entpuppt sich der Tote als Opfer in einem hochbrisanten Konflikt, in dem offenbar Exilrussen, Paramilitärs und sogar das organisierte Verbrechen ihre Finger mit im Spiel haben…

Ein gelungener Auftakt dieser Reihe, in dem das Lebensgefühl im Berlin der späten zwanziger Jahre sehr authentisch wiedergegeben ist. Als Berlinerin hatte es für mich nochmal den besonderen Reiz, die vielen bekannten Plätze aus historischer Perspektive zu betrachten.
Besonders gut gefallen hat mir die genaue Ausarbeitung der politischen Zusammenhänge und Konflikte. Dass Kutscher studierter Historiker ist, merkt man diesem Buch im positivsten Sinne an.
Gleichzeitig ist diese kleine Geschichtsstunde in einen spannenden Kriminalfall verpackt, mit gut konstruierter Story und authentischen Charakteren. Sowohl der Ermittler Gedeon Rath als auch seine Kollegin und Freundin sind ausdrucks- und willensstarke Persönlichkeiten, ihre Beziehung entsprechend dynamisch – mit allen Höhen und Tiefen.
Einziger Kritikpunkt sind die doch recht komplexen Verwicklungen zwischen den vielen Personen. Da fällt es schwer, den Überblick zu behalten und erschwert den Lesefluss. Das wird im Film sicher einfacher sein, von daher: perfekte Filmvorlage.

Bewertung: 4 von 5.

Volker Kutscher: Der nasse Fisch. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2008