Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand

Man schreibt das Jahr 1746: Carsten Niebuhr, ein junger Kartograph, wird von seinem Professor zur Forschunsreise in den Orient geschickt. Doch von dem fünfköpfigen Forschungsteam überlebt nur Niebuhr das Sumpffieber, gestrandet auf eine kleinen indischen Insel jenseits seiner Route. Dort trifft er auf den persischen Astronomen Musa, den es auf seinem Weg nach Mekka ebenfalls auf diese Insel verschlagen hat.
In holprigem Arabisch finden sie eine gemeinsame Sprache in ihrer Betrachtung der Sternenbilder, von denen eine besondere Konstellation dem Buch seinen Namen gegeben hat.

Für mich hat das Buch auf jeden Fall einen Preis verdient und zwar für das schönste Layout. Das Cover ist nicht nur wunderschön, sondern es fasst sich auch noch sensationell gut an, man möchte es gar nicht mehr aus der Hand legen.

Ich habe mir das Buch auf Empfehlung meines Buchhändlers gekauft, die Leseprobe hatte mich nämlich nicht so angesprochen. Und der kannte auch nur die positiven Kritiken…
Um es gleich zu sagen, denen kann ich mich nicht so anschließen.
Anfangs war ich von dem Buch noch sehr angetan, der fremden Welt, dem Forschergeist und vor allem der ganz wunderbaren Sprache. Auch das Aufeinandertreffen dieser ganz unterschiedlichen Welten, besonders zum Ende hin, als endlich ein englisches Schiff die Insel anfährt, ist sehr gut eingefangen. Eine Begegnung verschiedener Kulturen und Interessen in dem Versuch einer Verständigung, die aber auch an Grenzen stößt.
Interessant fand ich die Naivität, mit der das in Expditionen unerfahrene Forscherteam auf die Reise geschickt wird, so als wäre das ein völlig risikofreies Unterfangen. Traurig auch das Fazit dieser Reise: Nur Niebuhr überlebt und die Ergebnisse des Kollegen scheinen dem Professor nicht einmal wert, veröffentlicht zu werden.


Letztlich habe ich im Verlauf des Buches aber gemerkt, dass mich die Gespräche über Sterne und Co nicht wirklich interessieren. Das war für mich zu speziell und hatte mit mir nichts zu tun. Mag sein, dass da vieles drinsteckt, nur es kommt bei mir nicht an. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, was die Grundlage dieser positiven Kritiken ist.
Daher mein Fazit: Ein schönes Buch, das mir aber fremd geblieben ist.

Bewertung: 3 von 5.

Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand. Berlin: Berenberg Verlag, 2020

Deutscher Buchpreis 2020: Longlist

Noch zwei Tage, bis der Deutsche Buchpreis 2020 verliehen wird – diesmal in gänzlich anderem Gewand, mittlerweile ein gewohnter Zustand für Großveranstaltungen in Coronazeiten.

Nachdem ich im letzten Jahr sehr viele der nominierten Titel gelesen habe (ich glaube über die Hälfte), habe ich mich dieses Jahr entschieden, wirklich nur die Titel zu lesen, die mich wirklich interessieren. Da war im letzten Jahr zu viel dabei, dass sich im Nachhinein nicht gelohnt hat.

Nach diesem Kriterium habe ich die Bücher ausgewählt, die auf dem Foto zu sehen sind – mit Ausnahme von Leif Randts Allegro Pastell, das möchte ich auch noch lesen.

Zur Übersicht liste ich aber alle 20 der nominierten Titel nochmal auf:

📚 Helena Adler: Die Infantin trägt den Scheitel links
📚 Birgit Birnbacher: Ich an meiner Seite
📚 Bov Bjerg: Serpentinen
📚 Arno Camenisch: Goldene Jahre
📚 Roman Ehrlich: Malé
📚 Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik
📚 Valerie Fritsch: Herzklappen von Johnson & Johnson
📚 Thomas Hettche: Herzfaden
📚 Charles Lewinsky: Der Halbbart
📚 Deniz Ohde: Streulicht
📚 Leif Randt: Allegro Pastell
📚 Stephan Roiss: Triceratops
📚 Robert Seethaler: Der letzte Satz
📚 Eva Sichelschmidt: Bis einer weint
📚 Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos
📚 Olivia Wenzel: 1000 Serpentinen Angst
📚 Frank Witzel: Inniger Schiffbruch
📚 Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt
📚 Jens Wonneberger: Mission Pflaumenbaum
📚 Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand

Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand

Schon seit zwei Jahren wartet das Ehepaar Greilach in ihrer abgelegen Mühle auf die Ankunft des jungen Doktoranden, der dem alternden Maler zu neuem Ruhm verhelfen soll. Doch immer wieder wird der Besuch verschoben und die Erwartungen an den lang ersehnten Gast steigern sich ins Unermessliche. Als er dann endlich eintrifft, präsentiert er sich jedoch in einem gänzlich anderen Licht. „Was war denn das für ein Doktorand! Damit hatten sie einfach nicht rechnen können. Das ließ sich doch keinem erklären…“
Und auch der Doktorand hat nicht mit diesem Ehepaar gerechnet…

Wem bei der Kurzbeschreibung spontan Becketts Warten auf Godot in den Sinn kommt… nein, nicht wirklich, denn der Doktorand taucht schon zu Beginn des Buches auf. Und mit diesem Aufeinandertreffen entspinnt sich ein Feuerwerk an Situationskomik loriotschen Ausmaßes, das ich wirklich lustig fand. Diese Karikatur des oberflächlich-kleinbürgerlichen Lebens in all seiner Beschränktheit und das hilflose Agieren des einigermaßen verplanten Doktoranden war für mich ausgesprochen unterhaltsam, jedenfalls in der ersten Hälfte des Buches. Danach nutzt sich das Motiv etwas ab und der Autor verliert sich in der Person des Malers gelegentlich in Monolgen, was das Unterhaltungsbarometer etwas nach unten getrieben hat. Aber zum Glück ist das Buch recht schmal und ist dann auch zu Ende, bevor sich das zu einem echten Problem auswächst.

Bewertung: 4 von 5.

Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand. Berlin: Berlin Verlag, 2019

Tonio Schachinger: Nicht wie ihr


Wäre das Buch nicht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis und hätte ich mir nicht vorgenommen, diesmal alle nominierten Titel zu lesen, hätte ich es wohl nicht in die Hand genommen, denn hier geht es um Fußball. Genauer, um ein Jahr im Leben des Fußballstars Ivo Trifunović, in dieser Geschichte einer der bestbezahlten Fußballer der Welt. Nun habe ich keine großen Schnittstellen zum Thema Fußball, kann mir aber auch in dem Rahmen interessante Handlungen vorstellen, suggeriert doch der Titel eine Coming Out-Geschichte oder zumindest mal irgendwas mit Tiefgang.

Aber nichts falscher als das. Vielmehr bekommt man einen kleinen Einblick in das Leben der Superreichen, nur leider von der allerdumpfesten Sorte. Ich fühlte mich über weite Strecken so, als hätte der Autor in der letzten Eckkneipe mitstenographiert und das nach dem zehnten Bier der dort Versammelten. Man erfährt so einiges über europäischen Fußball, das nervige Leben als Prominenter, die geilen Brüste der Ehefrau und diverse Pornophantasien und vor allem lernt man Kraftausdrücke jeglicher Art, noch dazu mit Wiener Dialekt. Aber will man das wirklich wissen?Dass ich nicht nach dem ersten Drittel abgebrochen habe, lag daran, dass es mich dann doch interessierte, wie die Affäre mit Ivos Jugendliebe Mirna weitergeht. Vielleicht habe ich auch gehofft, dass noch was Geistreiches kommt, schließlich ist das Buch ja für den Buchpreis nominiert. Aber das ist für mich bis zum Schluss ein Rätsel geblieben. Und auch das mit der Affäre, puhhh, aber lest selbst…
Das Buch wird auf dem Klappentext als rotzig, deep und fresh angepriesen. Ist das rotzig und fresh, wenn gefühlt auf jeder zweiten Seite Hurensohn steht? Kleine Kostprobe gefällig?

Ivo möchte seine Tochter vom Kindergarten abholen, nur leider steht er nicht auf der Abholliste und der Erzieher will das Kind nicht irgendjemandem rausrücken, der da mal eben so vorbeischaut. Logisch. Wahrscheinlich holt sonst immer die Frau oder die Nanny die Tochter ab…

Was soll los sein, oida! Ich steh hier in Lenas Kindergarten und dieser absolute Hurensohn von einem Scheißkindergärtner lässt sie mich nicht abholen, weil ich nicht auf irgendeiner Liste stehe.“ (S.175f)

Nun könnte man einwenden, vielleicht will der Autor unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Den Blick schärfen für die hohlen Nüsse unter denen ganz oben auf der Gehaltsliste. Aber dazu muss ich nur mal kurz den Fernseher anmachen. Und wenn man diesen Anspruch hat, muss man das schriftstellerisch schon geschickter anstellen.
Deep? Ja, unterirdisch.

Bewertung: 1.5 von 5.

Tonio Schachinger: Nicht wie ihr. Wien: Kremayr & Scheriau, 2019

Jackie Thomae: Brüder


Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Mick, dessen Leben eine einzige Party ist und der sich nicht festlegen möchte. Und der Architekt Gabriel, dessen Leben nach einem gut strukturierten Plan verläuft. Auf den ersten Blick verbindet sie nichts, außer ihrer Hautfarbe. Doch sie sind Kinder desselben Vaters, den sie nie kennengelernt haben.

Das Buch ist in zwei Hälften unterteilt, zwei Brüder, zwei Leben. Flankiert werden die beiden Geschichten durch Schilderungen zum gemeinsamen Vater, der das Bindeglied bildet wie ein Scharnier. Beide versuchen auf ganz unterschiedliche Art, ihren Weg im Leben zu finden. Die unterschiedlichen Lebenläufe, ihre Entwicklung und die Beziehungen auf diesem Weg sind das wesentliche Thema des Buches und von der Autorin gut in Szene gesetzt worden. Ich bin diesen Weg gerne mitgegangen, auch wenn ich mit dem zweiten Teil des Buches deutlich mehr anfangen konnte als mit der partylastigen ersten Hälfte. Die Grundidee und den Aufbau des Buches fand ich ebenfalls gut gelungen. Unterm Strich war mir aber keine der Figuren wirklich nahe gekommen, was wohl an dem distanzierten Erzählstil gelegen haben muss. Man beobachtet das Geschehen aus sicherer Entfernung, aber steckt nicht drin. Mit war auch der starke Kontrast der Brüder einen Tick zu viel, das war mir zu schwarz-weiß und wirkt dann fast wie eine Charakterschablone.
Ich denke auch, es hätte dem Buch besser getan, wenn es ein paar Seiten weniger gewesen wären.

Bewertung: 3 von 5.

Jackie Thomae: Brüder. München: Carl Hanser Verlag, 2019

Norbert Scheuer: Winterbienen


Januar 1944, Eifel. Während die alliierten Bomber über Deutschland kreisen und sich sämtliche wehrtaugliche Männer an der Front befinden, kämpft der Bienenzüchter Egidius Arimond an anderen Fronten. Wegen seiner Epilepsie ausgemustert, läuft er jeden Tag Gefahr, als Volksschädling deportiert zu werden. Lediglich sein Bruder, der dem Reich als Kampflieger dient, sichert sein Überleben. Und das ist gefährlich, denn in präparierten Bienenstöcken schmuggelt er Juden über die Grenze.

Das Grundthema des Buches hat mir wirklich gefallen, die Stimmung des letzten Kriegsjahres mit der immer größer werdenden Bedrohung durch die Luftangriffe der Alliierten, verbunden mit der Hoffnung auf Befreiung, war sehr gut eingefangen. Man erfährt viel über die Nöte des Alltags im Krieg und um den Umgang mit dem Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit in diesen Zeiten.
Leider fand ich die schriftstellerische Umsetzung nicht sehr gelungen, auf mich wirkte es über weite Strecken langatmig und in den raumgreifenden Schilderung über die Bienenzucht ermüdend. Die seitenlangen Ausführungen über das Imkerhandwerk mögen zwar an anderer Stelle interessant sein, waren mir hier aber zuviel des Guten, denn sie haben real oder gefühlt mindestens die Hälfte des Buches ausgemacht. Wenig anfangen konnte ich auch mit den lateinischen Übersetzungsarbeiten des Protagonisten zu einem frühen Verwandten, der im Kloster gelebt und die Tradition des Bienenzüchtens in die Familie gebracht hat. Hat für mich den Erzählfluss zusätzlich gestört.

Bewertung: 3 von 5.

Norbert Scheuer: Winterbienen. München: C.H. Beck Verlag, 2019

Miku Sophie Kühmel: Kintsugi


Kintsugi ist das japanische Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu reparieren. Und um Brüche und um die Versuche, diese Brüche zu kitten, geht es in diesem Romandebüt.
Zwei Paare und ein gemeinsames Wochenende im Ferienhaus. Dass dieses Arrangement Stoff für Dramen jeglicher Art liefert, ist sicher keine Überraschung und auch kein neues literarisches Motiv. Das hat man schon gelesen und wahrscheinlich noch öfter im Fernsehen gesehen.
Aber sicher nicht in der Konstellation. Denn bei Paar Nr. 1 handelt es sich um Max und Reik, die seit zwanzig Jahren eine homosexuelle Vorzeigebeziehung führen. Vermeintlich, wie sich bald herausstellt. Paar Nr. 2 ist Reiks Jugendliebe Tonio und seine inzwischen 18jährige Tochter Pega. Um die Beziehungen untereinander, die feinen Brüche und das Ausloten von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten und Sehnsüchten handelt dieser Roman.

Für mich ist ein klassisches Beispiel für einen Roman, der mich zwiespältig zurücklässt. Das genaue Ausleuchten der Beziehungen, die leicht melancholische Sprache und das Bild der zerbrochenen Teetasse, die verschiedenste Leute zu reparieren versuchen, hat mich sehr angesprochen. Zerstört, aber kunstvoll wieder zusammengesetzt – welch ein Bild. Und ein Ausblick, denn damit endet auch dieses Buch.

Und an den Stellen, wo die Risse waren, die Splitter, die Brüche, glänzt in verästelten Linien das Gold wie Adern aus Licht.“

Mir gefällt die fein beobachtende, poetische Sprache wirklich sehr und die japanischen Kapitelüberschriften sind sensationell gut. Ein Wort, eine ganze Geschichte. Nur leider, leider blieben mir die Charaktere bis zum Ende seltsam fremd und wie auf dem Reißbrett entworfen. Ich konnte keinen wirklichen Zugang zu diesem Buch finden.

Bewertung: 3 von 5.

Miku Sophie Kühmel: Kintsugi. Frankfurt am Main: Fischer, 2019

Deutscher Buchpreis 2019: Die Shortlist

Seit zwei Tagen ist sie nun raus: Die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2019. Diese sechs Titel gehen in diesem Jahr an den Start. Wer es in diesem Jahr wird, erfahren wir am 14. Oktober…

  • Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land (Klett-Cotta, August 2019)
  • Miku Sophie Kühmel: Kintsugi (S. Fischer, August 2019)
  • Tonio Schachinger: Nicht wie ihr (Kremayr & Scheriau, September 2019)
  • Norbert Scheuer: Winterbienen (C.H.Beck, Juli 2019)
  • Saša Stanišić: Herkunft (Luchterhand, März 2019)
  • Jackie Thomae: Brüder (Hanser Berlin, August 2019)

Glücklicherweise habe ich gleich alle Nominierten hier in meinem Wohnzimmer versammelt, vier selbst gekauft und zwei aus der Bücherei. Der Buchhändler sagte mir, der eine oder andere Titel wäre bereits vergriffen und der Verlag müsse erst nachproduzieren. Also, Glück gehabt!

Gelesen hab ich bisher noch keins, lediglich mit Herkunft begonnen.

Im Moment überwiegt noch die Trauer, dass mein bisheriger Favorit Miroloi bereits ausgeschieden ist. Da versteh einer die Jury…

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter

 „Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben.

Mit diesem Satz beginnt dieser vom Umfang her recht schmale Roman und nimmt dabei bereits das Ende vorweg. Hier gibt’s kein Happy End und möglicherweise auch kein leichte Kost. Gleichzeitig verweist er bereits auf die drei großen Themen dieser Geschichte, durch die uns der elfjährige Ich-Erzähler Tobias Ahrens führt.

Beginnen wir mit dem Sommer 1969, eine Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche und politischer Veränderungen. Als Sinnbild dessen brechen plötzlich die neuen Nachbarn ist das wohlgeordnete Leben von Tobias und seiner Eltern ein, die bis zu diesem Zeitpunkt das Ideal einer bürgerlich-konservativen Vorzeigefamilie verkörpern. Die Neuen von nebenan sind jedoch das genaue Gegenteil, überzeugte Kommunisten und freiheitlichen Entwicklungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Dazu gehört auch ein anderes Bild der Frau: die neue Nachbarin raucht, trägt Jeans, geht demonstrieren und einer eigenen Arbeit nach. Sie ist all das, was Tobias Mutter nicht ist.

Trotz dieser Unterschiede freunden sich die ungleichen Paare an und so tritt die dreizehnjährige Nachbarstochter in Tobias Leben, das bis dahin vor allem durch seine Faszination für den Weltraum, Raketen und die Mondlandung geprägt war. Sie pflanzt in sein bis dahin noch kindliches Gemüt die Erkenntnis, dass es auch unten auf der Erde Interessantes zu entdecken gibt, insbesondere wenn es sich dabei um einen Vertreter des anderen Geschlechts handelt.

Und so wie Tobias entdeckt auch seine Mutter eine neue Welt, mit allen Konsequenzen.

Thematisch ist eigentlich alles vorhanden, um daraus eine gute Geschichte zu stricken. Über Welten, die aufeinanderprallen, mit all den persönlichen Sensationen, aber auch Katastrophen, die das mit sich bringt. Und das vor der historischen Kulisse der späten 60er Jahre, einer Zeit, die wie kaum eine andere für Befreiung und Aufbruch steht. Das verspricht Dynamik, Intensität und jede Menge Drama.

Leider konnte ich in diesem Buch davon wenig wiederfinden. Lobend lässt sich erwähnen, dass Woelk die konservative Vorortidylle der späten 60er Jahre sehr anschaulich beschrieben hat. Und zwar so plastisch, dass einen die Ödnis und Langeweile direkt anspringt. Wenn ich seitenlang über Kricketspiele im Garten und Fernsehabende lese, überfällt mich eine spontane Lähmung. Die emanzipatorische Veränderung der Mutter und Tobias‘ erste Schritte auf dem Weg zum Erwachsenwerden waren für mich zwar thematisch interessant, in der Schilderung aber überwiegend kraftlos und streckenweise schlichtweg langweilig. Lediglich das Ende hat nochmal einiges rausgehauen. Hier kommt endlich die Tiefe in die Geschichte, die einem eine Idee davon gibt, wie es hätte sein können.

Und die mich noch mit guten Gewissen drei Sterne verteilen lässt.

Bewertung: 2.5 von 5.

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter. München: C.H.Beck Verlag, 2019