Ian McEwan: Nussschale

Ein klassisches Motiv: der Vater, die Mutter und ihr Liebhaber. Letztere planen einen Mord an dem im Wege stehenden Ehemann. Erzählt wird das Ganze aus der Perspektive des Sohnes. Nur ist dieser Sohn noch gar nicht geboren. Er befindet sich noch im Mutterleib und ist damit so nah dran am Geschehen, wie man nur sein kann.

So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau. Ich warte, die Arme geduldig gekreuzt, warte und frage mich, in wem ich bin und worauf ich mich eingelassen habe.
Das habe ich mich allerdings auch…


Ganz ehrlich, hätte ich vorher von der Erzählperspektive gewusst, wer weiß, ob ich das Buch gelesen hätte. Denn das klingt für mich schon aus der Entfernung betrachtet ziemlich albern. Das ist jetzt nicht so, dass ich mich nicht auch mal auf Gedankenexperimente und fantastische Geschichten einlassen würde. Es ist zugegebenermaßen auch eine originelle Idee, nur… ich konnte mit ihr so gar nichts anfange
Wenn ein ungeborenes Kind im Mutterleib über philosophische Fragen und die politische Weltlage monologisiert oder sich über die verschiedenen Weinsorten auslässt, die die wenig fürsorgliche Mutter täglich in sich hineinschüttet, kann ich nur sagen: Sorry, da bin ich raus…

Falls sich einer fragt, woher der noch nicht mal Geborene seine ganze Weisheit hat, wo noch nicht mal die Mutter die Allerhellste ist…von den Podcasts, die sie hört! Na aber sicher…
Natürlich kann McEwan auch weiterhin gut schreiben und die Story an sich ist auch nicht schlecht, hat aber in den mitunter seitenlangen Erörterungen des Ungeborenen ihre Längen und scheitert bei mir ganz klar an der Erzählperspektive.
Schade, denn ich schätze den Autor ansonsten sehr.

Bewertung: 2.5 von 5.

Ian McEwan: Nussschale. Zürich: Diogenes Verlag, 2016 (Original 2012)

Charles Dickens: David Copperfield


In diesem autobiographisch gefärbten Roman berichtet Dickens vom Leben des David Copperfield. Als Halbwaise geboren ist seine Amme Pegotty sein einziger Halt, denn seine noch kindliche Mutter ist mit dem Nachwuchs völlig überfordert. Schnell heiratet sie erneut, doch David wird von seinem strengen Stiefvater und dessen Schwester Jane nicht akzeptiert und in das Internat Salem House verbannt. Dort freundet er sich mit James Steerforth und Tommy Traddles an, eine Freundschaft, die sein späteres Leben nachhaltig beeinflussen wird.

Er flieht aus dem Heim und muss sich alleine und völlig mittellos in London durchschlagen. Hier begegnet einem wieder das Motiv der Kinderarbeit und bitterster Armut, das Dickens am eigenen Leibe erlebt hat. Sein Weg führt in zu seiner Tante, die ihn zunächst widerwillig bei sich aufnimmt. Doch schnell bald lernt sie ihn schätzen, fördert seine weitere Entwicklung und ermöglicht ihm eine Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfe. Dass Copperfield sich in der Folge auch noch als Schriftsteller versucht, zeigt umso mehr, wie viel Dickens in diesem Roman steckt und macht ihn auch unter diesem Gesichtspunkt lesenswert.

Seit ich ‚Oliver Twist‘ gelesen habe, bin ich ja ein absoluter Dickensfan, weil er wie kein anderer die Stimmung und das menschliche Elend zur Zeit der beginnenden Industrialisierung in England beschreibt. Das klingt auch in diesem Roman wieder an und auch die Schilderung seiner leidvollen Kindheit ist sehr eindrucksvoll, so dass ich im ersten Drittel des Buches sehr gefesselt war. Auch gibt es im weiteren Verlauf das eine oder andere Highlight, beispielsweise ist die Szene, in der er das erste Mal betrunken ist, ausgesprochen komisch, ich habe sehr gelacht.
Insgesamt leidet das Buch aber daran, dass es mit fast 1000 Seiten viel zu aufgebläht ist. Gerade im zweiten Teil ist es für meinen Geschmack zu langatmig und verliert sich in Nebensächlichkeiten, schrammt teilweise auch hart am Kitsch entlang. Das hat mich zwischenzeitlich ziemlich ermüdet, aber gute drei Sterne sind es in jedem Fall.

Bewertung: 3.5 von 5.

Charles Dickens: David Copperfield. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2008 (Original 1849/50)