Maxim Biller: Der falsche Gruß

Der junge Leipziger Erck Dessauer, angehender Schriftsteller mit großen Ambitionen, versucht im Berlin der Jahrtausendwende Fuß zu fassen. Und er bekommt ihn endlich, den lang ersehnten Buchvertrag bei einem renommierten Verlag. Wäre da nicht der intrigante Journalist Hans Ulrich Barsilay, bekannte Größe der Berliner Gesellschaft und Literaturszene, der ihm sein Projekt streitig machen will…

An Biller scheiden sich ja die Geister und auch dieser (recht schmale) Roman beweist mal wieder, everybody’s darling ist er nicht und will es wohl auch nicht sein. Und das mag ich an ihm. Seine kantige Art und den scharfzüngigen Stil, in dem er gerne mal vor sich hinätzt – in diesem Fall in Richtung Literaturbetrieb. Schnell wurden in den Rezensionen bekannte Größen wiedererkannt, wie beispielsweise den verstorbenen Frank Schirrmacher in der Figur des Barsilay. Auch konnte man als LeserIn mitraten, wie viel an Biller in Erck Dessauer steckt und wahrscheinlich findet man einiges von ihm in beiden Figuren, zumal wenn man an seinen verbotenen Roman Esra denkt.

Anfangs hatte ich etwas Mühe, in das Thema des Romans reinzukommen. Es hätten für meinen Geschmack auch ruhig ein paar Seiten mehr sein können. Insgesamt hat mich dieser kleine Ritt durch den Literaturbetrieb der Jahrtausendwende aber gut unterhalten, spätestens beim unangekündigten Besuch seiner Angebeteten, bei dem ich mehrfach laut lachen musste.
Das war für mich auch ein großer Pluspunkt des Romans, dass der Ich-Erzähler nicht mit Ironie in die eigene Richtung spart und sich voller Selbstzweifel durch den noch unbekannten Berliner Literaturbetrieb bewegt.
Einzig das Klischee der blonden vollbusigen Frau seines Begehrens, die natürlich auch noch mit roten Lippen und auf hohen Schuhen daherkommt, hat bei mir ein genervtes Augenrollen ausgelöst, allerdings… wer kann schon was für seine geheimen Fantasien…

Bewertung: 3.5 von 5.

Max Biller: Der falsche Gruß. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021

Esther Becker: Wie die Gorillas

Zu viert müssen sie mich festhalten. Vielleicht auch zu fünft. Ob ein Paar der vielen Hände zu meinem Vater gehört, ist nicht sicher, meine Augen sind fest verschlossen.
Wer nach diesen ersten Sätzen Schlimmstes befürchtet, ist fast schon ein bisschen erleichtert nur wenige Zeilen später zu erfahren, dass es hier „nur'“ darum geht, einem kleinen Mädchen Augentropfen zu verabreichen, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Nur in Anführungszeichen, denn sie verliert diesen Kampf.
Jahre später wundert sich der Vater, warum sie sich so problemlos Kontaktlinsen einsetzen kann. Sie erklärt, „dass der entscheidende Unterschied zwischen den Augentropfen und den Kontaktlinsen darin besteht, dass ich es bin, die in mein Gesicht fasst.
Wobei wir direkt beim Thema wären, denn um weibliche Selbstfindung und die Selbstbestimmung über sich und den eigenen Körper geht es in diesem Buch.

Und das habe ich wirklich gerne gelesen, denn es hat eine sehr angenehm leichte Sprache ohne den analytisch-erklärenden oder auch anklagenden Tonfall, den Bücher aus diesem Themenspektrum gerne mal haben. Vielmehr waren die Schilderungen wie die Plauderei einer guten Freundin über die alltäglichen Dramen des Erwachsenwerdens und den mitunter steinigen Weg der Entwicklung vom kleinen Mädchen zur Frau.
Nur leider war dieser angenehme Monolog in Buchform nach gut 150 Seiten auch schon wieder zu Ende, was für mich auch der wesentliche Kritikpunkt an diesem Roman ist. Die Geschichte ist für mich schlichtweg nicht zu Ende erzählt, als wäre der Autorin auf halber Strecke die Puste bzw. der Erzählstoff ausgegangen. Gefühlt bricht die Story mitten in der Handlung ab.
Konsequenterweise endet das Buch auch sprachlich mit einem Cut, dem Ende einer Filmszene. „Schnitt, sage ich.
So bleibt ein Kurzfilm, aber ein guter.

Bewertung: 3.5 von 5.

Esther Becker: Wie die Gorillas. Berlin: Verbrecher Verlag, 2021

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex

Vernon, einst erfolgreicher Plattenladenbesitzer und vernetzt in der lokalen Musikszene, steht vor den Scherben seiner Existenz. Nacheinander verliert er Laden, Job und Wohnung. Auf der Suche nach einer vorübergehenden Bleibe aktiviert er seine alten Facebook-Kontakte, die ihre besten Jahre ebenfalls hinter sich haben…

Man kann nicht sagen, dass das Thema kein Potential hat. Es hätte tatsächlich so gut sein können. Aber bitte…was war das…
Das scheint ja in Frankreich seit Houllebecq in Mode gekommen zu sein, auch das letzte verquere Gedankengut als Kunst zu stilisieren. Hier beispielsweise als „großartiges Sittengemälde einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft.
Mag sein, dass hier ein Spiegel vorgehalten werden soll, aber da kann ich auch bei der nächsten Skatrunde der AfD vorbeischauen, das muss ich nicht lesen. Denn was einem da an rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Ergüssen zugemutet wird, ist nur schwer zu ertragen. Wenn das gesellschaftskritisch sein soll, habe ich eindeutig den positiven Gegenspieler verpasst. Fällt der weg, bleibt da nämlich nur eine Ansammlung von Verbalshit der übelsten Sorte.
So ereifert sich ein Freund Vernons über eine Journalistin als „Kanackenjüdin“ und äußerst in dem Zusammenhang, „ich würde das ganze Gebiet mit Napalm zukippen, Palästina, Libanon, Israel, Iran, Irak, alles dasselbe: Napalm.
Vernon räumt ein, sein Freund war schon immer ein rechter Sack. Er mag die Journalistin, weil… Zitat: „Man sieht, dass die Kleine auf Sex steht.“ Das hält man doch im Kopp nicht aus!
Das ist übrigens Hauptfunktion der Frauen in diesem Roman. Gefühlt sind sie 24/7 unterwegs, um den Männern einen zu blasen.
Wenn man dann noch die Gedanken einer alternden Pornodarstellerin zur Standhaftigkeit der männlichen Darsteller serviert bekommt, ist es an der Zeit, dieses Buch (vorzeitig) zu beenden.

Hinterher hab ich mich gefragt, warum ich nicht schon viel früher abgebrochen habe und nicht erst nach der Hälfte des Buches. Vielleicht habe ich gehofft, dass einige der unsäglichen Protagonisten der Schlag trifft… Aber es war ein Geschenk und ich wollte es wenigstens versucht haben. Fazit: Wenn das literarische Kunst ist, bin ich raus.

Bewertung: 1 von 5.

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017