Fernando Aramburu: Die Mauersegler

Toni lebt als Gymnasiallehrer in Madrid und ist mit seinem Leben maximal unzufrieden. Der Job ödet ihn an, ebenso, wie die Menschen, die ihn umgeben. Mittlerweile von seiner Frau getrennt und im Dauerzwist mit seinem Bruder, lebt er zurückgezogen mit seinem Hund Pepa in einer kleinen Wohnung. Kontakt hat er lediglich zu seinem Freund Humpel, wenn man von sporadischen Begegnungen mit seinem Sohn absieht, den er ziemlich missraten findet.
Dieses Lebens überdrüssig beschließt er, seinem Leben in genau 365 Tagen ein Ende zu setzen, beginnend mit dem 31. Juli. In 365 Kapiteln schreibt er über sein bisheriges Leben und die Tage, die ihm noch bleiben.

Klingt nach einem Buch, nachdem man sich am liebsten gleich selbst erschießen möchte und tatsächlich, besonders lebensbejahend ist es auf den ersten Blick nicht. Wäre da nicht dieser herrlich skurrile Ich-Erzähler, der seine eigenen Pläne ad absurdum führt.
Und so hat dieses Buch trotz der Thematik auch nicht den erwartbaren depressiven Unterton, sondern ist ganz im Gegenteil ausgesprochen komisch – zumindest für meinen Geschmack.

Es gibt ja immer wieder diese Bücher, bei denen man beim Lesen die Hälfte der Zeit blöde vor sich hingrinst und zwischendurch immer wieder laut lachen muss und das gehört für mich definitiv dazu.
Das liegt im Wesentlichen an der Figur des Erzählers selbst, der seine gesamte Umgebung und auch sich selbst mit seinen zynischen, schwarzhumorigen Betrachtungen überzieht.
Und das ist so voller Sprachwitz, dass es für mich eine absolute Freude war, dieses Buch zu lesen.

Obwohl Toni alles andere als ein pflegeleichter Zeitgenosse und Menschenfreund ist, habe ich ihn irgendwie ins Herz geschlossen – vielleicht gerade wegen seiner sperrigen Art. Und weil er mit Selbstkritik nicht spart – immerhin gehen seine spöttischen Bemerkungen auch häufig an die eigene Adresse und schaffen so auch eine Distanz zu manch gewöhnungsbedürftigen Sichtweisen. Gleiches gilt für seine ebenfalls nicht ganz einfachen Freunde Humpel und Agueda, die später zu dem Männerduo dazustößt.

In Gesprächen über das Buch wurde teilweise Kritik an der sprunghaften Erzählweise geäußert. Tatsächlich springen die einzelnen, kurz gehaltenen Kapitel zwischen Zeiten und Ereignissen hin und her, was in der Geschichte begründet ist. Toni schreibt am Abend die Gedanken nieder, die ihm in den Sinn kommen und die sind nicht chronologisch geordnet. Es gibt Bücher, bei denen mich so etwas auch wahnsinnig macht. Hier stört es mich gar nicht, ich finde es im Gegenteil sehr passend und macht das Ganze deutlich dynamischer als eine chronologischer Erzählung.

Allerdings muss man sagen, dass hier ein paar Seiten weniger nicht geschadet hätten. Das Wesentliche hätte man wahrscheinlich auch auf 500 Seiten gut untergebracht, ohne dass es der Geschichte oder dem Erzählfluss geschadet hätte.

Trotzdem eine ganz klare Leseempfehlung von meiner Seite!

Bewertung: 4.5 von 5.

Fernando Aramburu: Die Mauersegler. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2022

Florian Schwarz: Stichling


Für eine Inhaltsbeschreibung dieses Romans braucht es nicht viele Worte, was nicht daran liegt, dass es hierzu nicht einiges zu sagen gäbe oder der Roman mit seinen knapp 200 Seiten vergleichsweise schmal ist, sondern dass das Thema für sich spricht. Denn in diesem Buch geht es um den Krieg. Und zwar in seiner hässlichsten und damit auch ehrlichsten Form. Es ist die Geschichte des 17jährigen August, der durch die Hölle des ersten Weltkriegs geht. Der Autor hat hier aus den Erinnerungen seines Opas einen Roman geschaffen, der den Wahnsinn des Krieges in all seinen Facetten sehr drastisch beschreibt.

In einigen Rezensionen wurde dieser Roman als neue Pflichtlektüre an Schulen vorgeschlagen. Das ist ein Kompliment. Ihn auf eine Stufe mit Erich Maria Remarque zu stellen sicherlich auch, denn dieser Vergleich ist mir spontan gekommen und das liegt nicht nur am gleichen Thema. Denn auch hier gelingt dem Autor der genaue und schonungslose Blick, der alles auseinandernimmt und einem eine Ahnung davon bekommen lässt, was Krieg eigentlich bedeutet. Und das alles in einer ganz wunderbar ausgefeilten Sprache, einem Nebeneinander von distanzierter Beschreibung und sehr emotionalen, tiefgehenden Innenansichten. Die Schilderung sind so plastisch und kraftvoll, als wäre er selbst dabei gewesen und vielleicht war er es auch auf eine Art, als Zuhörer aus tiefstem Herzen.

Nun ist Im Westen nichts Neues ein Klassiker, dem man nur schwer das Wasser reichen kann, denn authentischer geht es kaum. Der Autor wusste, wovon er spricht und das merkt man an jedem einzelnen Satz. Deshalb ist die Leistung des Autors umso bemerkenswerter. So eine Tiefe und Echtheit in den Schilderungen hinzubekommen, ist schon sehr besonders. Ich hab mich auch gefragt – ohne blasphemisch werden zu wollen , ob mir dieser Roman fast noch besser gefällt als Remarque. Ich finde ihn komprimierter und sprachlich herausragend.

Die Zeitzeugen sind schon lange tot, entweder im Krieg gefallen oder im Laufe eines hoffentlich langen Lebens. Aber ihre Erinnerungen bleiben und setzen ein Zeichen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

Bewertung: 4.5 von 5.

Florian Schwarz: Stichling. Buchfink Verlag, 2019

Die Zeit – Literaturtipps

Wer liest, friert nicht…genau die richtige Ansage für Fostbeulen wie mich. Die ZEIT präsentiert uns in ihrer neusten Ausgabe die spannendsten Bücher im Herbst und Winter 📚

Mit dabei sind einige Nominierte der Shortlist, aber auch Longlist- Vertreterinnen wie Nora Bossong und Karen Köhler.
Auf meiner Leseliste vermerkt habe ich Die Zeuginnen von Margaret Atwood, die Fortsetzung von Report der Magd und Elena Ferrante: Tage des Verlassenwerdens.
Besonders interessant fand ich die Rezension zu Jan Peter Bremers: Der junge Doktorand, eine moderne Version von Samuel Becketts ‚Warten auf Godot‘.
Ansonsten gibt es interessante Literaturtipps in der Kategorie Sachbücher, zum Gastland Norwegen und lesenswerte Interviews, unter anderem mit Siri Hustvedt.

Wer diese Zeit-Literaturbeilage lesen möchte, sollte sich ranhalten. Morgen erscheint schon die neue Ausgabe 📯