Simone Scharbert: Rosa in grau

Hier kommen die Stimmen zu Wort, die jahrelang weggesperrt und fast vergessen wurden. Mit der Betonung auf fast, denn die Sammlung Prinzhorn gibt ihnen einen Ort, gesehen und gehört zu werden. Den künstlerischen Werken von Psychiatriepatient:innen.
Simone Scharbert erzählt in ihrem Roman aus der Perspektive einer jungen Mutter, die Anfang der 50er Jahre in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert wird.

Die kurze Lesung auf der Frankfurter Buchmesse hat mich so gefesselt, dass ich mir sofort dieses Buch kaufen musste. Gerade der enge Zusammenhang mit den Exponaten der Sammlung Prinzhorn war für mich besonders eindrücklich – ich hatte zuvor noch nichts von dieser Ausstellung gehört. Die Autorin hat eine Reihe dieser Künstlerinnen und ihre Werke in ihrem Roman verarbeitet, auch wenn sie tatsächlich in unterschiedlichen Einrichtungen entstanden sind.

Sowohl die Thematik selbst als auch ihre Umsetzung hat mich sehr berührt, wozu die gewählte Ich-Perspektive wesentlich beigetragen hat. Ein tiefer Blick in die Gedankenwelt eines psychisch kranken Menschen und das so punktgenau und authentisch beschrieben, dass man schwören könnte, die Autorin hat das genau so erlebt.

Das Wunderbare an diesem Buch ist auch die fast schon poetische Sprache, bei der es einen gar nicht wundert, dass die Autorin auch Lyrikerin ist. Denn das spürt man immer wieder in den ausdrucksstarken, sehr bildhaften Beschreibungen.

Bewertung: 4.5 von 5.

Simone Scharbert: Rosa in grau. Dresden: Edition Azur, 2022

Frank Goldammer: Vergessene Seelen

Ein halbes Jahr später, Sommer 1948.

Der Wiederaufbau Deutschlands ist in vollem Gange, aber immernoch ähnelt Dresden einer Ruinenstadt. Dieses Nebeneinander von Baustellen und Ruinen bildet die Kulisse des neuen Kriminalfalls, bei dem ein vierzehnjährger Junge ums Leben gekommen ist. War es ein tragischer Unfall oder hat da ein Dritter seine Hände mit im Spiel?

Als Heller die Ermittlungen im Umfeld des Jungen aufnimmt, stößt er auf eine Reihe von Ungereimtheiten. Vor allem die Familie des Jungen gibt Anlass zu weiteren Nachforschungen. Offensichtlich waren das Opfer und seine Geschwister regelmäßigen Misshandlungen ausgesetzt. Auch die Mutter zeigt eine Reihe von Verletzungen, schweigt jedoch zur Ursache. Stark verdächtigt wird der ständig alkoholisierte Vater, der traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Aber hat er auch mit dem Tod des Jungen zu tun?

Auch in diesem Teil macht Heller ein Themenfeld auf, dass so tragisch wie erzählenswert ist. Das Schicksal der zerissenen Familien, die jahrelang ohne den Vater zurechtkommen mussten und nach seiner Rückkehr mit einem Familienoberhaupt konfrontiert waren, das der Krieg innerlich zerstört hat. Nicht selten war die Familie der Blitzableiter für unbearbeitete Trauer und Wut, häufig in Kombination mit exzessivem Alkoholkonsum.

Dass die Kinder hier in besonderem Maße Leidtragende waren, versteht sich ohne viele Worte. Nicht nur war das Schlagen von Kindern zu diesem Zeitpunkt noch ein gängiges Erziehungsmittel, es gab auch nur eingeschränkte Resourcen, um bei Fällen ausgeprägter häuslicher Gewalt einzugreifen. Auch war die Konsequenz, eine Unterbringung im Kinderheim, keine wirkliche Alternative. Oft waren die damaligen Kinderheime ebenfalls eine Stätte von Gewalt und Demütigung.

Aber auch das Problem der Frauen ist kein triviales. Zu vielen war im Krieg der Kontakt nur sporadisch bzw. jahrelang abgebrochen, sie galten als vermisst oder gefallen. Und plötzlich kehren sie zurück und sind nicht mehr die, die sie einst waren. Manche Frauen hatten sich aus Einsamkeit oder aus dem Wunsch nach einem Versorger bereits anderweitig orientiert. Gelegentlich gab es bereits neuen Nachwuchs, das als Kuckuckskind für weitere Konflikte sorgte. Nicht zu vergessen die Kinder, die das Resultat einer Vergewaltigung waren.

All das sind wichtige Themen, die in diesem Band angesprochen werden und ihn lesenswert machen, auch wenn hier zum Ende hin wieder die bereits bekannte Ereigniseskalation um sich greift. Ich musste einige Seiten direkt zweimal lesen, um die ganzen Verwicklungen zu verstehen. Für meinen Geschmack mal wieder zu viel des Guten.

Das zieht sich leider für mich durch diese Serie, dass es zum Ende hin schwächelt und sich die Geschichte in einem Zuviel an Konstruktion und Aktion verliert. Ich hoffe, das kriget er in den nächsten Bänden noch besser in den Griff.

Bewertung: 3.5 von 5.

Frank Goldammer: Vergessene Seelen.München: dtv, 2018

Frank Goldammer: Tausend Teufel

Mittlerweile schreibt man im zweiten Band dieser Krimiserie das Jahr 1947.

Deutschland wurde inzwischen unter den Allierten aufgeteilt und das immernoch zerstörte Dresden gehört zur sowjetischen Besatzungszone. Die Aufbauarbeiten gestalten sich schleppend, denn überall herrscht noch großer Mangel. Das Ausmaß der Verwüstung ist groß und viele Männer wurden im Krieg verwundet oder gelten als vermisst, es ist die Zeit der Trümmerfrauen.

Auch das Arrangement mit den neuen Machthabern läuft nicht reibungslos. Während viele ihr Fähnchen nach dem Wind hängen und vorgeblich schon immer gegen das Naziregime eingestellt waren, formiert sich bei anderen der innere Widerstand, der sich an einigen Stellen Bahn bricht. Auf der Seite der sowjetischen Besatzer ist der Prozess der Entnazifizierung und der Propaganda in eigener Sache in vollem Gange.

Auf diesem konfliktträchtigen Untergrund werden zwei Rotarmisten ermordert aufgefunden. Heller nimmt gemeinsam mit seinem sowjetischen Vorgesetzten die Ermittlungen auf. Diese führt auf eine Spur, die die neuen Machthaber in nicht so gutem Licht erscheinen lässt…

Wie in Band 1 besticht auch hier wieder die historische Kulisse, auch wenn sie nicht ganz so spektakulär ist wie die Dresdner Bombennacht 1945. Die unterschiedlichen Problemlagen der ersten Nachkriegsjahre in der sowjetischen Besatzungszone sind gut eingefangen. Besonders interessant war für mich aber das Thema, dass sich auch im Laufe des Romans in den Vordergrund schiebt – das Problem der Waisenkinder, die ihre Eltern in den Kriegswirren verloren haben. Ein wirklich sehr tragische Begleiterscheinung der Krieges, die es Wert ist zum Thema gemacht zu werden, auch wenn es „nur“ im Rahmen eines Krimis ist.

Zum Ende hin war es mir wieder ein bisschen zu viel Overacting, aber insgesamt ein lesenswerter Krimi.

Bewertung: 3.5 von 5.

Frank Goldammer: Tausend Teufel. München: dtv, 2017