Ewald Arenz: Der große Sommer

In Romanen wird ja gerne mal auf Erlebnisse in der Jugend zurückgeblickt, reale oder fiktive. Momente, die einen geprägt oder auch verändert, die Weichen für Lebenswege gestellt haben. Und so ist auch dieses Buch eine Rückschau auf einen dieser Momente, den großen Sommer, der sich ins Gedächtnis eingebrannt hat.
Ein Sommer voller Widersprüche, denn für die Nachprüfung in Mathe und Latein beim strengen Großvater zu lernen statt in Urlaub zu fahren, klingt erstmal nicht nach Spaß.
Den findet er auf seinen abendlichen Streifzügen mit Alma und Johann und dem Mädchen im flaschengrünen Badeanzug, seiner ersten großen Liebe…

Als ich das Buch angefangen habe, hatte ich parallel noch ein anderes Buch gelesen, in das ich irgendwie schwer reingefunden habe. Im Vergleich ist mir sofort aufgefallen, was ich an Ewald Arenz so schätze. Er schafft es, einen sofort gedanklich einzufangen. Nach den ersten Sätzen war ich sofort drin in der Geschichte und nicht nur das, die ganze Stimmung des Buches hat sich total auf mich übertragen. So wie man bei ‚Alte Sorten‘ alle Facetten des Herbstes vor seinem geistigen Auge aufleuchten sieht, fühlt man hier Sommer pur. Aber auch inhaltlich konnte ich die innere Aufregung dieser Zeit komplett nachempfinden. Das Gefühl, gleichzeitig der König der Welt und der letzte Verlierer zu sein, ein stetes Wandeln zwischen Größenwahn und Depression. Diese turbulenten Eckpfeiler des Erwachsenwerdens hat der Autor ganz wunderbar zwischen diesen beiden Buchdeckeln zusammengefasst.

Dass es kein Fünf-Sterne Bewertung geworden ist, liegt daran, dass mir die großen emotionalen Momente in diesem Buch gefehlt haben, die einen ergreifen und innerlich berühren. Das ist rein subjektiv und individuell und mindert nicht den Wert des Buches, für das ich eine uneingeschränkte Lesempfehlung aussprechen kann.

Bewertung: 4 von 5.

Ewald Arenz: Der große Sommer. Köln: Dumont, 2021

Takis Würger: Noah

Das ist die Geschichte von Noah Klinger, einem Überlebenden des Holocaust. So wie er sie in Erinnerung behalten hat und wiedergeben wissen wollte. Festgehalten von Takis Würger, der ihn dafür in Tel Aviv über mehrere Monate besucht hat. Herausgekommen ist kein Roman, sondern ein Tatsachenbericht. So wie Noah Klinger sie in seiner Erinnerung festgehalten und Würger zu Papier gebracht hat. In einfachen, schmucklosen Sätzen ohne Beiwerk. Daran können sich die Geister scheiden und tun es bereits, gleich wird über den verknappten Stil losdiskutiert und geurteilt, ob das jetzt passend oder unpassend ist. Wobei die Tendenz eher zu letzterem geht, da es seit ‚Stella‘ offenbar zum guten Ton gehört, diesen Autor zu kritisieren.
Zugegebenermaßen fand ich den Stil anfangs auch etwas gewöhnungsbedürftig, aber letztlich an dieser Stelle doch sehr passend. Denn es geht hier nicht um Stilfragen, sondern um die Geschichte selbst. Und die ist in ihrer ganz puren Form vielleicht genau richtig so erzählt.
Ein Geschichte über den Kampf ums Überleben in Auschwitz und später auf der Exodus und den Weg in eine neue Heimat. Eine Geschichte, die erzählt und bewahrt werden muss.

Natürlich ist es bei diesem Buch vor allem der erste Teil, der den Leser fesselt, weil er als Augenzeugenbericht das Unfassbare abbildet. Das ist erschütternd und oft nur schwer auszuhalten:

„Sie mussten sich ausziehen. Die Deutschen nahmen Kleider und Schuhe mit und verschlossen die Schiebetür der Halle. Sie hatte kein Dach. Auf dem Boden lag eine dünne Schicht Schnee, darunter gefrorene Erde. (…) Bis vor wenigen Stunden waren sie normale Menschen gewesen, Architekten, Metzger, Professoren, Schüler, Journalisten, Flötenspieler. Menschen mit Sorgen, Gefangene, aber Menschen mit Zukunft. Nun standen sie nackt und barfuß im Schnee in einer Halle, die von außen verriegelt war, über ihnen der Himmel. (…) Der Tag verging, es wurde Nacht, nicht alle hatten die Kraft, sich zu bewegen. Das Blut in Noahs Adern fühlte sich an, als würde es zu Kristallen gefrieren. Als der Morgen graute, lag die Hälfte der Männer im Schnee.“ (S. 26f)

Selten habe ich die Entmenschlichung dieses Systems so konzentriert in einem Absatz zusammengefasst gelesen. Und das ist vielleicht auch die Stärke dieses Buches. Die Konzentration auf das Wesentliche, das für sich spricht.

Auch wenn ich den zweiten Teil des Buches nicht ganz so kraftvoll fand, ist es wichtig, dass das Buch nicht mit der Befreiung aus dem Konzentrationslager endet, sondern einen Ausblick gibt auf das Leben danach. Ein erfülltes Leben, das dem Ziel verschrieben war, die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das vermittelt Hoffnung, aber auch einen Auftrag.


Was sollen wir machen, wenn Sie nicht mehr da sind, um uns davon zu erzählen, was in Auschwitz passiert ist?“, fragt Würger Noah Klinger bei ihrem ersten Treffen. „Ich weiß es nicht“, sagte Klinger. Dieses Buch könnte eine Antwort sein.

Bewertung: 3.5 von 5.

Takis Würger: Noah. Von einem, der überlebte. München: Penguin Verlag, 2021

Haruki Murakami: Erste Person Singular

Diesmal kein 1000 Seiten Roman, sondern eine Sammlung von acht Kurzgeschichten im typischen Murakami-Style. Auch hier verbinden sich Realität und Fiktion, je nach Geschichte in unterschiedlichem Maße. Vielen Geschichten merkt man die Nähe des Ich-Erzählers zum Autor an und diese realitätsnahen Sequenzen haben mir deutlich besser gefallen als beispielsweise der Dialog mit dem sprechenden Affen.
Wenn man sich nun anfängt Gedanken zu machen, worum es in den Geschichten eigentlich geht, steht man ein bisschen auf dem Schlauch und muss feststellen: um eigentlich nichts Besonderes. Ursula Scheer hat Murakami in der FAZ in diesem Zusammenhang als den ‚Meisterdetektiv folgenreicher Nichtigkeiten‘ bezeichnet und das finde ich sehr treffend, zumindest bezogen auf diese Geschichtensammlung.
Seine besondere Leistung besteht darin, diese (vermeintlichen) Nichtigkeiten in so wunderbarer Art zu erzählen, dass sie den Leser in den Bann ziehen. Ähnlich wie bei seinen Romane entwickeln seine Geschichten einen erzählerischen Sog und man kann froh sein, dass er kein Handelsvertreter geworden ist. Er könnte einem sonst vermutlich alles verkaufen.
Allerdings muss ich dazu sagen, dass das für mich in seinen Romanen besser funktioniert. Hier fehlte es mir zuweilen an tragfähigen Inhalten, so dass mich manche Geschichten etwas unbefriedigt zurückgelassen haben. Vielleicht liegt es auch an meinem mangelnden Interesse für Baseball und Jazz…
Wer jedoch etwas näher zur Person Murakami vordringen möchte, ist mit diesen Kurzgeschichten hervorragend bedient.

Bewertung: 3.5 von 5.

Haruki Murakami: Erste Person Singular. Köln: Dumont Buchverlag, 2021

Taylor Adams: No Mercy

Ein junges Paar bleibt auf dem Weg durch die Wüste mit dem Auto liegen, ohne Handyempfang und mit nur noch einer Flasche Wasser. Und zu ihrem Entsetzen entpuppt sich die vermeintliche Autopanne als gezieltes Manöver eines Scharfschützen, der sie bereits ins Visier genommen hat…

Das Szenario des Highwaykillers ist wahrlich nicht neu, aber kann man machen, wenn man das Ganze gut aufbereitet und vielleicht auch noch etwas Neues reinbringt. Aber was hier mit dem an sich spannend klingenden Stoff veranstaltet wurde…

Für meinen Geschmack stimmt hier so ziemlich gar nichts. Nicht nur ist die Story inhaltlich extrem dünn und…man muss ja ein Buch vollkriegen… mit viel überflüssigem Brimborium aufgebläht, auch die Charaktere sind gleichermaßen flach und entsprechen jedem nur denkbaren Klischee. Und wenn das noch nicht genug wäre, wird hier eine Ansammlung an Absurditäten aufgetafelt, dass man aus dem Augenrollen gar nicht mehr rauskommt.
Beispiel gefällig? Unser Opfer schmuggelt sich unter dem Jeep eines Komplizen des Killers zu einer kleinen Blechhütte. Das funktioniert natürlich 1a auch in unwegsamem Gelände, ohne dass er unterwegs den Halt verliert oder der Rücken eine Fleischmasse ist. Wohlgemerkt, er ist in der Wüste und hat den halben Tag nichts getrunken. Nun geht Killer Nr 2 in die Hütte und statt sich zu freuen, unentdeckt geblieben zu sein, tätigt er erstmal ein ausgiebiges Pläuschchen übers Funkgerät, das auch noch der hinterletzte Coyote in einem Kilometer Entfernung mitkriegen muss…
Und das ist nur eine von vielen Szenen, die so unrealistisch sind, dass man das Buch auch beim bestem Willen nicht mehr ernst nehmen kann.

Sprachlich hat man hier auch eine schwere Kröte zu schlucken. Nun ist bei einem Thriller nicht unbedingt hohe Sprachkunst zu erwarten, aber einen halbwegs bewussten Umgang mit Sprache schon. Aber wer so unsensibel mit Nazi- und Ausschwitzvergleichen um sich wirft, gehört eigentlich schon vom Lektorat abgewatscht.

Ich gehe ja selten mit einem Buch völlig ins Gericht, aber wenn ich als Leser so dermaßen für dumm verkauft werde wie in diesem Fall, braucht es ein paar offene Worte.
Nun ist ja der Autor eigentlich Filmregisseur und da mag sowas funktionieren, aber für Bücher braucht man schon ein Mindestmaß an Niveau.

Bewertung: 1 von 5.

Taylor Adams: No Mercy. München: Heyne, 2021

Sebastian Fitzek: Der Heimweg

Dieses Buch war für mich eine echte Achterbahnfahrt mit vielen Höhen, aber auch Tiefen und einigermaßen durchgeschleudert bin ich da auch rausgekommen.
Zu den Höhen kann ich sagen, dass dieses Buch extrem fesselnd ist. Es hat so viele Wendungen und überraschende Momente, dass man einen konstanten Spannungslevel hat und unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Also ein sehr dynamisches Buch, ein ganz großer Pluspunkt für einen Thriller. Auch das Spiel mit dem Motiv des Verfolgungswahns gefällt mir immer sehr, das ist hier gut eingesetzt. Man weiß über weite Strecken nicht, was der Realität oder der wahnhaften Welt der Protagonisten entspringt und das hat etwas sehr reizvolles. Darüberhinaus ist auch noch zwischendurch richtig schön gruselig, also der Thrillfaktor stimmt schon mal.
Das Ende war überraschend, aber in sich stimmig erklärt und hat mir auch ganz gut gefallen. Allerdings fand ich die Story an einigen Stellen auch etwas drüber (Stichwort Wasserbett, Weihnachtsmann oder die Fassadenkletterei) und zwischendurch auch ziemlich verworren bzw. überkonstruiert. Da muss man schon ganz schön konzentriert bleiben, um in dieser verschachtelten Geschichte den Überblick zu behalten.
Ziemlich abgestoßen war ich vom Ausmaß sadistischer Gewalt gegenüber Frauen, die da beschrieben wird. Mag ich in der Form nicht wirklich lesen, auch wenn es das in der Realität sicherlich gibt. Jetzt mag man mich dafür als Mimi beschimpfen und was ich denn erwarte, wenn ich Psychothriller lese. Genau, Psycho und Thrill. Nicht Splatter und Co. Ich mag solche Gewaltorgien einfach nicht. Deshalb schau ich ja auch keine Zombiefilme, obwohl ich gruselige Filme sehr mag. Das ist Geschmackssache und sollte auch unter den Thrillerfans so in Ordnung gehen, denke ich.
Etwas irritierend finde ich, dass in den sozialen Medien dieses Buch häufig als Beispiel für häusliche Gewalt zitiert wird. Ich denke, die Szenen im Hotel oder Parkhaus gehen weiter darüber hinaus, auch wenn es das in Einzelfällen geben mag. Das sollte man vielleicht nicht in einen Topf werfen

Nicht unerwähnt sollte noch bleiben, dass der neue Fitzek zu den schönsten Büchern gehört, die ich seit langem in der Hand gehalten habe. Optisch und haptisch ein absolutes Schmuckstück.

Bewertung: 3.5 von 5.

Sebastian Fitzek: Der Heimweg. München: Droemer Verlag, 2020

Adeline Dieudonné: Das wirkliche Leben

Das hellste und größte Haus der Reihenhaussiedlung am Waldrand. Ein Stück heile Welt, könnte man meinen. Doch hinter den Türen wohnt die Angst, denn der Hausherr ist ein gewalttätiger Tyrann. Regelmäßig lässt der passionierte Großwildjäger seine Launen an seiner Ehefrau aus, die er grün und blau prügelt. Klaglos ergibt sie sich ihrem Schicksal, so dass die beiden Kinder Schutz und Trost nur untereinander finden.
Nachdem die Kinder Zeuge eines tödlichen Unfalls werden, ist der kleine Bruder Gilles wie ausgewechselt: er hat sein ‚Milchzahnlächeln‘ verloren. Und so hat die große Schwester fortan nur noch ein Ziel: eine Zeitmaschine zu bauen, um dieses schreckliche Erlebnis rückgängig zu machen und ihm sein Lachen zurückzuholen.

Puhhh, das ist ganz, ganz schwere Kost, die einem hier verabreicht wird. Selbst ich musste bei den Beschreibungen der Familienatmosphäre ein paarmal hart schlucken und ich hab keine häusliche Gewalt erlebt. Wie mag es da Lesern gehen, die das aus ihrer eigenen Kindheit kennen…
Die Autorin schafft es aus der kindlichen, sehr bildhaften Ich-Perspektive die Atmosphäre genau abzubilden und mit wenigen Worten alles Wesentliche auszudrücken.
Die blasse, hilflose, aber auch passive Mutter als Amöbe… mehr braucht man dazu eigentlich nicht sagen.
Sehr bewegend fand ich die Beziehung der Geschwister untereinander, die auf eine harte Probe gestellt wird und das verzweifelte Bemühen der Schwester, ihren kleinen Bruder zu retten. Das Spiel mit dem Motiv der Zeitreise ist dabei sehr gelungen eingebunden worden.

Bewertung: 4.5 von 5.

Adeline Dieudonné: Das wirkliche Leben. München: dtv, 2020

Romy Hausmann: Marta schläft

Vor vielen Jahren wurde Nadja wegen eines grausames Verbrechens verurteilt. Doch ihre Schuld wurde nie zweifelsfrei bewiesen. Noch immer gezeichnet möchte sie nur eins, die Vergangenheit hinter sich lassen. Doch dann wird sie in einen weiteren Mordfall verwickelt…
Mir ging es wie den meisten anderen: absolute Verwirrung zu Beginn. Wer spricht mit und zu wem und warum 🤷‍♀️
Zum Glück klärte sich die Sachlage im Laufe der Geschichte auf und wurde schlussendlich zu einem stimmigen Ganzen, aber man muss sich an der Stelle schon fragen, ob man den Leser wirklich über ein Drittel des Buches im Dunkeln tappen lassen muss. Da mutet Frau Hausmann den Lesern ganz schön viel zu. Zum Glück hat sie so eine treue Fangemeinde.
Und mit Durchhaltevermögen, das zum Schluss belohnt wird, denn die Geschichte wird noch richtig gut, zumindest für meinen Geschmack. Spannend, gut durchdacht und mit einer überraschenden Wendung. Und da in dem Buch ja immer auf alte Filme referenziert wird, es hat mich in sehr positiver Weise an Hitchcocks Marnie erinnert. Ein toller Film 👌


Und ein gutes Buch, für mich und meine Leserunde deutlich besser als Liebes Kind…

Bewertung: 4 von 5.

Romy Hausmann: Marta schläft. München: dtv, 2020

Jasmin Schreiber: Marianengraben

Nach dem Tod ihres kleines Bruders stürzt Paula in eine tiefe Depression. Ihre Welt scheint stillzustehen. Doch dann lernt sie durch einen seltsamen Zufall den etwas verschrobenen Rentner Helmut kennen, mit dem sie auf den ersten Blick so gar nichts gemeinsam hat. Doch auch er hat einen großen Verlust erlitten. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise…
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‚Wie tief muss man tauchen, um einen leuchtenden und noch nicht entdeckten Tim-Fisch zu finden?‘, fragtest du mich kurz vor deinem Tod.“
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Dieser erste Satz hat mich direkt ins Herz getroffen, denn in ihm ist eigentlich schon alles enthalten, was einen in diesem Buch erwartet. Es geht um die Trauer um ein Leben, dass gerade erst begonnen hatte, ein Leben voll kindlichem Entdeckerdrang und großen Plänen, die nur noch als eine Erinnerung bleiben.
Es geht darum, das Unfassbare zu verstehen und mit dem Verlust leben zu lernen.
Ich denke, jeder der bereits einen Menschen – ob jung oder alt – auf diese Art verloren hat, wird etwas von sich in diesem Buch wiederfinden, denn es bringt wie kaum ein anderes auf den Punkt, was man in solchen Momenten empfindet. Das ist hochemotinal, aufwühlend bis auf den Grund, aber im positivsten Sinne, denn es ist hohe Kunst, Gefühle so in Worte und Bilder zu kleiden. So wie der Graph des Herzens, das bricht (siehe Klappentext innen) – ein grandioses Bild.

Neben all der traurigen Momente ist das Buch in der Begegnung der gegensätzlichen, doch etwas speziellen Charaktere, aber auch sehr komisch und transportiert gleichzeitig eine Leichtigkeit und Zuversicht, die dem Ganzen einen positiven Ausblick gibt.
Ein ganz großartiges Buch!

Bewertung: 4.5 von 5.

Jasmin Schreiber: Marianengraben. Köln: Eichborn Verlag, 2020

Laetitia Colombani: Das Haus der Frauen

Die erfolgreiche Anwältin Solène erleidet einen Zusammenbruch und wird plötzlich aus ihrem bisherigen Leben gerissen. Geplagt von innerer Leere und Depressionen befolgt sie den Rat, sich eine ehrenamtliche Tätigkeit zu suchen und lernt dadurch eine ganz andere Seite der Realität und auch von sich selbst kennen. Im Haus der Frauen, einem Zufluchtsort für obdachlose und misshandelte Frauen, schreibt Solène regelmäßig Briefe für die Bewohnerinnen, die selbst nicht lesen und schreiben können. Briefe an die Ausländerbehörde, den zurückgelassen Sohn in Guinea, den Geliebten oder auch schon mal die Queen von England.
Parallel dazu erzählt das Buch die Geschichte von Blanche Peyron, die dieses Frauenhaus vor fast 100 Jahren unter widrigstem Bedingungen ins Leben gerufen hat.

Ein wichtiges Buch zu einem wichtigen Thema. Vor allem der historische Teil zum Lebenswerk der Gründerin Blanche Peyron und ihr unermüdlicher Einsatz im Dienste der Armen hat mir sehr gefallen. Und auch der Appell an jeden Einzelnen, nicht wegzuschauen und sich der Hilfsbedürftigen anzunehmen.
Viele kleine Bäche erzeugen einen großen Strom, wie wahr!
Schriftstellerisch konnte mich das Buch aber trotz des hochemotionalen Themas nicht so mitreißen. Auf mich wirkte es mehr wie ein Sachbuch oder eine Reportage und nicht wie ein Roman. Das Stil war eher berichtend, nicht erzählend und so konnte mich das Buch emotional auch nicht so erreichen wie beispielsweise ihr Debüt Der Zopf. Die Charaktere waren für mich nicht so kraftvoll wie in dem Vorgängerroman. Ein durchaus lesenswertes Buch, aber blieb hinter meinen Erwartungen zurück – die nach dem Zopf vielleicht auch etwas hoch waren…

Bewertung: 3.5 von 5.

Laetitia Colombani: Das Haus der Frauen. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2020