Mithu Sanyal: Identitti

Sie ist der Star der Düsseldorfer Universität: Professorin Saraswati, bekennende Person of Colour, die dort Postcolonial Studies unterrichtet. Ihre Seminare sind begehrt und spektakulär: So verweist sie schon mal alle weißen StudentInnen des Raums, um sie dann anschließend zu ihren Ausgrenzungserfahrungen zu befragen. Umso größer ist der Skandal, als sie herausstellt, dass sie in Wirklichkeit die unbestreitbar hellhäutige Deutsche Sarah Vera Thielmann aus Karlsruhe ist, die ihre vermeintlich indischen Wurzeln mit kosmetisch-chirurgischen Mitteln und einer fiktiven Vita gelegt hat. Statt sich der darauf folgenden Entrüstung zu beugen und sich ins nächste Mauseloch zu verkriechen, stellt sich die Professorin der Diskussion und der Frage: Was ist das eigentlich, die Identität?

So auch mit einer ihrer treuesten Studentinnen Nivedita, Tochter eines indischen Vaters und einer deutschen Mutter. „Was ist wenn Hautfarben, Herkünfte und Identitäten in Wahrheit niemals eindeutig sind?“

Ich muss sagen, dass ich dieses Buch spontan nicht aus den nominierten Titeln des Buchpreises ausgewählt hätte. Nun handelt es sich zwar um ein Buch zu einem aktuell viel diskutierten Thema, aber gerade deswegen wollte ich es spontan nicht lesen. Man könnte es als eine Art Reizüberflutungserscheinung bezeichnen. Nun gabe es aber so viele positive Stimmen zu diesem Buch, dass ich dachte, möglicherweise könnte es doch ein Buch für mich sein. Falsch gedacht.

Um es gleich vorab zu sagen: Ich halte dieses Buch durchaus für klug und in seiner Aussage auch richtig, aber es ging mir in seiner Art unfassbar auf die Nerven. Vielleicht bin ich dieses Modethemas gerade ein bisschen überdrüssig, aber ich mochte diese intellektuellen Diskurse rund um Gender, Identität und Co gerade nicht lesen. Vielleicht, weil gerade jeder, der etwas auf sich hält oder auch einfach nur keine negativen Schlagzeilen bekommen möchte meint, auf diesen Zug aufspringen zu müssen. Bei Mithu Sanyal ist das absolut glaubwürdig, bei vielen anderen ist es das nicht. Das hat bei mir leider einen gewissen Überdruss ausgelöst, den auch dieses Buch (vielleicht zu Unrecht) erwischt hat. Möglicherweise wäre es mir damit zu einem anderen Zeitpunkt anders gegangen. Möglicherweise aber auch nicht.

Denn auch schriftstellerisch konnte mich das Buch nicht überzeugen. Für mich war das ein unnötig aufgeblähter Diskurs mit viel zu vielen Längen, der mich beim Lesen wirklich ermüdet hat. Auch der vielgelobte Sprachwitz konnte mich da nicht aufwecken, denn ich habe ihn schlichtweg nicht entdeckt. Klar war die Sprache ausgesprochen ausgefeilt, aber für meinen Geschmack viel zu künstlich. Als würde mich der Vorsatz, das jetzt besonders gekonnt zu formulieren, direkt anspringen. Spontane Heiterkeit ist bei mir an keiner Stelle aufgekommen. Diese Künstlichkeit habe ich leider auch bei sämtlichen Charakteren empfunden, von denen mir keiner wirklich nahe gekommen ist. Abstrakte Figuren in einem anstrengenden Diskurs.

Bewertung: 1.5 von 5.

Mithu Sanyal: Identitti. München: Carl Hanser Verlag, 2021