Christian Kracht: Eurotrash

25 Jahre nach Faserland ist der bereits bekannte Ich-Erzähler zu Besuch bei seiner Mutter in Zürich. Diese ist inzwischen geschieden, gesundheitlich angeschlagen und dem Alkohol recht zugetan, gerne auch in Kombination mit diversen Psychopharmaka, was den einen oder anderen Unfall mit anschließendem Krankenhausaufenthalt nach sich zieht.
Spontan beschließt ihr Sohn, mit ihr eine Reise zu unternehmen. Nur führt diese nicht ihrem Wunsch entsprechend nach Afrika, sondern geradewegs in eine Hippiekommune…

Fortsetzungen sind ja nicht immer gut, vor allem nach einem erfolgreichen Auftakt liegt die Messlatte entsprechend hoch. Aber locker drübergesprungen, würde ich sagen!

Dieser Kracht gefällt mir sogar noch viel besser, denn hier gibt es nicht nur die kritische Distanz zur Welt des großen Geldes und der High Society, sondern auch zur eigenen Rolle in dem Szenario.
Das wirkt viel reifer und reflektierter und gefällt mir in dieser Form deutlich besser, insbesondere die Aufarbeitung der Familiengeschichte – unabhängig davon, wie viel von den realen Personen darin steckt.
Es ist ein sehr gelungenes Bild der inneren Leere und seelischen Abgründe, die hinter der glänzenden Fassade des Erfolges versteckt sind. Gleichzeitig auch ein Stück Zeitgeschichte, die zeigt, wie nationalsozialistisches Gedankengut und alte Seilschaften nach dem Krieg weiterlebten.
Dazu hat das Buch noch jede Menge Witz und Ironie im Gepäck und das gibt eine ausgesprochen lesenswerte Mischung.

Bewertung: 4 von 5.

Christian Kracht: Eurotrash. Köln: Kiepenheuer und Witsch, 2021

Helga Schubert: Vom Aufstehen

Der Untertitel ‚Ein Leben in Geschichten‘ ist Programm, denn es geht hier um 80 Jahre Leben, verpackt in 29 kurze Erzählungen. Schlaglichter über das Leben als Flüchtlingskind und das Heranwachsen in der ehemaligen DDR, später das der Schriftstellerin unter Stasi-Beobachtung. Es sind aber auch Geschichten einer Annäherung in einer problematischen Mutter-Tochter-Beziehung, die bis ins hohe Alter ein dominierendes Thema bleibt.

Von allen Nominierten hat mich dieses Buch am meisten gereizt und tatsächlich ist die Kombination von persönlichem Background und historischer Kulisse gut umgesetzt. Durch die kurzen Erzählsequenzen entsteht aus beiden Ebenen ein stimmiges und lesenswertes Ganzes. Mir hat vor allem die ruhige, abgeklärte Erzählweise gefallen. Ähnlich wie beim Buch von Judith Hermann hat das für mich etwas von einer meditativen Rückschau, die selbst an Stellen nachwirkt, in denen noch Fragen offen sind. Auf mich hatte es eine sehr beruhigende Wirkung.
Allerdings muss ich gestehen, dass mich das Buch trotz der interessanten Thematik nicht richtig packen konnte. Es blieb mir bis zum Schluss irgendwie äußerlich und ich kann noch nicht mal sagen, woran das eigentlich lag. Die Emotion kam einfach nicht bei mir an. Es bleibt eine Distanz.
Ich gehe aber davon aus, dass es viele LeserInnen findet, bei denen das Buch bestens funktioniert.

Bewertung: 3 von 5.

Helga Schubert: Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten. München: dtv, 2021

Judith Hermann: Daheim

Gestern wurde der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. Im Vorfeld hatte ich mir drei der sechs nominierten Titel gekauft, die mich näher interessiert haben. Der Siegertitel war nicht dabei. Dafür stelle ich euch heute eine Mitbewerberin vor…

In diesem Buch begleiten wir die Ich-Erzählerin auf ihren Schritten in ein neues Leben. Fernab des hektischen Stadtlebens sucht sie einen Neubeginn in einem kleinen Ort an der nordischen Küste und mietet sich ein kleines Haus. Sie kellnert in der Kneipe ihres Bruders und knüpft Kontakte zu den etwas eigenwilligen Dorfbewohner. Und blickt zurück auf ein halbes gelebtes Leben, auf glückliche, aber auch verpasste Augenblicke und Lebensentwürfe, die an der Realität scheitern.

Man ahnt, dieses Buch hat etwas Melancholisches. Spätestens, wenn die Erzählerin im Gespräch mit ihrer unternehmungslustigen Tochter resümiert: „Pläne machen, nicht daran denken, wie diese Pläne scheitern können, dass sie scheitern werden, fast alles im Leben scheitert…
Trotzdem hat mich das in keinster Weise runtergezogen, denn diese Rückschau, auch auf Momente des Scheiterns, ist kein depressives Gejammer, sondern hat etwas sehr Erwachsenes. Das hatte für mich so eine besonnene Abgeklärtheit, die man so vielleicht auf dem Sterbebett vermutet. Nur dass der Weg hier direkt weitergeht, in etwas ganz Neues.
Mir hat vor allem die innere Ruhe gefallen, die dieser Roman ausstrahlt. Das hat sich beim Lesen direkt übertragen und war für mich fast ein bisschen meditativ, hat aber auch viele Gedankenimpulse ausgelöst.
Nachdem mich Sommerhaus, später damals nicht nachhaltig begeistern konnte, gehen hier beide Daumen hoch.

Bewertung: 4 von 5.

Judith Hermann: Daheim. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2021

Preis der Leipziger Buchmesse 2021

Die Leipziger Buchmesse 2021 ist ja in ihrer ursprünglichen Form abgesagt worden. Trotzdem gibt es auch in diesem Jahr Veranstaltungen und Online-Events, sowie die traditionelle Preisverleihung.

Nominiert in der Kategorie Belletristik sind in diesem Jahr:

📚 Christian Kracht: Eurotrash
📚 Helga Schubert: Vom Aufstehen
📚 Judith Hermann: Daheim
📚 Friederike Mayröcker: da ich morgens und moosgrün. ans fenster trete
📚 Iris Hanika: Echos Kammern

Davon konnten die ersten drei Titel mein Interesse wecken, Judith Hermann werde ich später noch vorstellen.

Nun hat die Preisverleihung bereits gestern stattgefunden und von meiner Auswahl ist es leider keins geworden. Gewonnen hat in diesem Jahr Echos Kammern. Ich gratuliere, werde es aber wahrscheinlich nicht lesen.