Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume

Berlin 1939: Während sich auf der politischen Bühne der zweite Weltkrieg anbahnt, führt der Psychoanalytiker und Traumforscher Simon Krauss ein komfortables Leben. Während er seine reichen Klientinnen verführt, lässt er sich gleichzeitig für sein Stillschweigen gut bezahlen. Denn sie sind allesamt Frauen der Nazi-Elite und haben viel zu verlieren.
Als eine von ihnen grausam ermordet wird, sucht der SS-Offizier Beween Antworten bei dem Psychoanalytiker. Und tatsächlich hatten einige seiner Patientinnen, allesamt Mitglieder im elitären Club der Adlon-Damen, vor ihrem Tod verstörende Träume, in denen derselbe bedrohliche Mann erschien.
Als weitere Frauen aus dem Kreis der Adlon Damen ermordet aufgefunden werden, wird Krauss immer mehr in die Ermittlungen der Gestapo verstrickt. Gemeinsam mit Beween und der Psychiaterin Minna von Hassel begibt er sich auf die Spur des Mörders…

Ich liebe ja Kriminalfälle in einer historischen Kulisse und wenn sie in meiner Heimatstadt Berlin spielen, umso besser. Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist ebenso gut gewählt, denn hier passieren schon an sich so viele erschreckende Dinge, dass man eigentlich gar keinen Kriminalfall braucht. Nun gibt es hier einen und der ist außergewöhnlich gut.
Besonders gefallen hat mir dabei, dass er inhaltlich sehr gut mit den ideologischen und politischen Entwicklungen dieser Zeit verknüpft ist. Das historische Setting ist also nicht nur eine interessante Kulisse, sondern aufs engste mit dem Kriminalfall verknüpft. Das war ausgesprochen gut gemacht, eine intelligent Konstruktio, die in sich schlüssig und überzeugend ist. Lediglich zum Ende hin gab es einen Aspekt, der für meinen Geschmack ein bisschen drüber war, was aber der Geschichte als solcher nicht groß geschadet hat.

Also unterm Strich ein ausgesprochen niveauvoller und durchweg spannender Thriller, für den ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen kann!

Besonders gelungen finde ich auch das ‚Ermittlertrio wider Willen‘, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Jeder Charakter ist auf seine Art sehr speziell und grandios ausgearbeitet, ohne zu sehr von der eigentlichen Geschichte abzulenken. Eher durch Zufall zusammengewürfelt ergeben sie das perfekte Team. Das macht Lust, noch mehr von diesem Trio zu hören. Überhaupt ist es mir gerade ein Rätsel, warum ich nach den ‚Purpurenen Flüssen‘ nicht noch mehr von diesem Autor gelesen habe … muss ich dringend nachholen!

Bewertung: 4.5 von 5.

Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume. Stuttgart: Tropen Verlag, 2023

Tom Rob Smith: Kind 44

Als in Moskau die Leiche eines kleinen Jungen auf den Bahngleisen entdeckt wird, lässt die Auffindesituation eigentlich keinen Zweifel zu: hier handelt es sich um ein Gewaltverbrechen. Doch das ist im Jahre 1953 im sowjetischen System nicht vorgesehen. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow bekommt den Auftrag, das Verbrechen als Unfall einzustufen und das auch unmissverständlich den verzweifelten Angehörigen klarzumachen, die weitere Ermittlungen fordern.
Die Angelegenheit scheint für Leo bereits erledigt, bis er aufgrund interner Machtkämpfe degradiert und in ein kleines Dorf versetzt wird. Dort stößt er überraschend auf neue Spuren des Verbrechens und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln…

Wir haben in der Leserunde festgestellt, dieses Buch zu bewerten, ist nicht einfach. Denn es geht dermaßen gut los, dass man denkt, das könnte ein Highlight werden. Die gesellschaftlichen Bedingungen und der Überwachungsapparat der Sowjetunion in den 50er Jahren sind sensationell gut herausgearbeitet und gibt einen guten Einblick in die Mechanismen eines Polizeistaates, in dem der Einzelnen völligster Willkür ausgesetzt ist. Was heute richtig ist, kann morgen schon falsch sein.
Unter diesen Bedingungen einen Mord aufzuklären – in einem Staat, in dem es offiziell gar keine Mörder gibt -, ist wahrlich eine Kunst und dieses Dilemma ist hier richtig gut herausgearbeitet worden.

Nur leider hat man spätestens ab der Hälfte begonnen, den eigentlichen Kriminalfall schmerzlich zu vermissen, der eigentlich bis zum Schluss eher im Hintergrund geblieben ist. Selbst als der Mörder irgendwann auf der Bildfläche erscheint, bleibt weiterhin Leo im Zentrum des Geschehens. Statt mehr über den Mörder oder die Taten selbst, dreht sich die Geschichte überwiegend um Leos Machtspiele mit seinem Kollegen, seine schwierige Ermittlungsarbeit und seine verkorkste Beziehung.

Das ist zwar nicht uninteressant und mit den vielen dramatischen Verwicklungen auch durchweg spannend, aber ich hätte mir da noch ein bisschen mehr Kriminalfall gewünscht. Das hätte mich aber alles nicht sonderlich gestört, wäre da nicht die Auflösung gewesen. Die Motivation des Täters fand ich doch sehr fragwürdig und wenig überzeugend. Vor allem wenn man denkt, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit basiert und welche Motivation der reale Täter hatte. Unter diesem Blickwinkel wirkt es ein stückweit verharmlosend und wird der eigentlichen Geschichte nicht gerecht. Muss man in einer fiktiven Darstellung zwar nicht, aber wenn man einen realen Fall in dieser Deutlichkeit aufgreift, sollte man ihn nicht durch eine gänzlich andere Motivation des Täters verharmlosen. So bekommt dieser eigentlich gute Thriller durch das Ende einen etwas bitteren Nachgeschmack.

Bewertung: 3.5 von 5.

Tom Rob Smith: Kind 44. München: Goldmann Verlag, 2010

Colson Whitehead: Underground Railroad

Cora ist bereits auf der Baumwollplantage geboren – als Tochter einer Sklavin, der die Flucht gelungen ist. Immer wieder plagen sie die Gedanken, warum ihre Mutter sie zurückgelassen hat. Da hört sie von ihrem Freund Caesar von der Underground Railroad – einer geheimen Schleuserorganisation, die Sklaven auf der Flucht aus der Gefangenschaft hilft. Es bedeutet maximales Risiko, denn wer erwischt wird, hat Schlimmstes zu befürchten…

Und das ist keine Floskel, denn was hier als abschreckendes Beispiel mit den geflohenen Sklaven gemacht wird, ist nur schwer zu ertragen. Da der Autor diverse historische Quellen herangezogen hat, muss man davon ausgehen, dass all die geschilderten Grausamkeiten, die an den Sklaven verübt wurden, den Tatsachen entsprechen und das hat mich sehr erschüttert und aufgewühlt. Szenen, in denen der Plantagenbesitzer mit seinen Gästen „kultiviert“ beim Abendessen sitzt, während direkt neben ihnen ein Sklave ausgepeitscht und bestialisch umgebracht wird, sind an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten.
>>> Achtung: Ab hier nicht spoilerfrei!

Sehr gelungen finde ich, dass Whitehead in der Schilderung von Coras Flucht durch die verschiedenen Bundesstaaten nicht nur diese offensichtlichste und grausamste Variante des Rassismus zeigt, sondern auch seine verschiedenen Spielarten. Wie die vermeintliche Freiheit, die sich als freundliche Maske entpuppt und man sich bereits Gedanken macht, wie man die Vermehrung dieser „minderwertigen Rasse“ verhindern kann.
In diesem Sinne konsequent fand ich das offene Ende, das für den einen oder anderen vielleicht etwas unbefriedigend wirkt. Aber in übertragenen Sinne ist Coras Reise noch nicht zu Ende. Solange es Rassismus gibt, ist es nur eine weitere Variante des gleichen Missstands – Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe nicht als gleichwertig und gleichberechtigt zu behandeln.

Große Hochachtung hatte ich beim Lesen auch vor den Menschen, die sich unter Lebensgefahr für die Befreiung der Sklaven eingesetzt haben. Whitehead hat hier der Underground Railroad nochmal ein literarisches Denkmal gesetzt und dafür gebührt ihm große Anerkennung. Er ist zwar kritisiert worden, dass er das Schleusernetzwerk allzu wörtlich genommen und daraus eine Eisenbahnlinie gemacht hat, aber für meinen Geschmack kommt es auf die Message dahinter an und die ist definitiv angekommen. Ein wichtiges Buch, dass mich sehr berührt hat und mich noch weiter beschäftigen wird.

Bewertung: 4.5 von 5.

Colson Whitehead: Underground Railroad. Frankfurt/M.: Fischer Verlag, 2019 (Originalausgabe 2016, deutsch bei Hanser 2017)

Marc Voltenauer: Wer hat Heidi getötet?

Ganz ehrlich, würde ich den Autor nicht schon kennen, hätte ich dieses Buch vermutlich nicht gelesen, denn ich finde den Buchtitel ausgesprochen unglücklich. Nun hatte ich aber bereits vor zwei Jahren den Vorgängerband des mir damals noch unbekannten Autors gelesen und war auf das Positivste überrascht. Und auch dieser hat mich nicht enttäuscht, um es gleich vorweg zu sagen…

Erneut wird das beschauliche Bergdorf in den Schweizer Alpen der Schauplatz einer Mordserie und Kommissar Andreas Auer ist wieder gefordert. Der unbekannte Täter entführt nacheinander mehrere Frauen, die sich auffallend ähneln. Doch das ist nicht das einzig Merkmal, das die Frauen verbindet…

Auch in diesem Band bin ich wieder sehr angetan von der Atmosphäre in diesem abgelegenen Bergdorf, die in diesem Krimi sehr gut in Szene gesetzt wird. Die Menschen kennen sich, haben aber ihre kleinen oder auch größeren Geheimnisse. Die Kulisse ist sehr idyllisch und bildet einen guten Kontrast zu den Mordfällen.
Auch Voltenauers Schreibstil finde ich wieder sehr angenehm und gut zu lesen.

Darüber hinaus gelingt ihm, woran viele Krimiautoren scheitern, nämlich eine sehr komplexe Geschichte verständlich, nachvollziehbar und ohne logische Schwachstellen zu erzählen. Denn hier gibt es von Beginn an zwei Fälle, die abwechselnd in zwei Erzählsträngen erzählt werden. Das macht die Geschichte sehr dynamisch und spannend – vor allem, weil die Ereignisse und Charaktere sehr unterschiedlich sind. In dem einen Fall kommt direkt ein bisschen Bond-Feeling auf.

Besonders angenehm finde ich auch die Figur des Ermittlers selbst. Er hat keine Sinnkrise, keine Alkoholprobleme, sondern ist eigentlich ein ganz normaler Typ, der gutes Essen und ein gutes Glas Wein liebt. Und er hat einen Partner.
Eigentlich sollte das nicht extra erwähnenswert sein, aber ich kenne bisher keinen Krimi oder Thriller mit einem homosexuellen Ermittler. Nun hat der Autor die Figur nicht deshalb so entworfen, weil das zur Zeit besonders gut ankommt und er einen Trend bedienen möchte, sondern weil es für ihm ganz natürlich zum Leben dazu gehört. Das macht den Kommissar und seinen Partner, der auch immer wieder an den Ermittlungen beteiligt ist, so authentisch. Und so sympathisch, dass man am liebsten selbst mit ihnen ein Glas Wein trinken würde.

Bewertung: 4 von 5.

Marc Voltenauer: Wer hat Heidi getötet? Köln: Emons Verlag, 2022

Sam Lloyd: Der Mädchenwald

Abgeschirmt von der Außenwelt lebt der junge Elijah mit seinen Eltern in einer Hütte im Wald. Er kennt weder Handys noch Internet und auch mit den üblichen Aktivitäten der Gleichaltrigen hat er keine Berührungspunkte. Die schulische Ausbildung haben die Eltern und deren Freundin übernommen, die ebenfalls abgeschieden in den Wäldern lebt.

Elijah ist ein Einzelgänger (geworden) und hat sich mit dem einsamen Leben arrangiert. Nicht abfinden kann er sich jedoch mit den jungen Mädchen, die im Keller eines verlassenen Hauses im Wald gefangengehalten werden. Er spürt, dass daran etwas nicht in Ordnung ist und dass er niemand von seiner Entdeckung erzählen darf. Denn dann, so ahnt er, wird sein bisheriges Leben aus den Fugen geraten…

Irgendwie faszinieren mich ja Thriller mit so einem Plot. Vielleicht weil es mich an die alten Märchen erinnert, in denen es im finsteren Wald auch immer furchteinflößend zur Sache geht. Das hat für mich nochmal einen besonderen Gruselfaktor. Auch wenn ich mir in diesem Fall beim Klappentxt schon gedacht habe, dass das auch schwer in die Hose gehen kann. Nämlich immer dann, wenn das ganze Konstrukt auf allerlei Unwahrscheinlichkeiten basiert.

Nun ist es zwar reizvoll, in dieser Kulisse allerlei gruselige Untaten zu entwerfen und wenn man als Leserin:in hin und wieder ein Auge zudrückt, wenn es mit der Logik nicht ganz so hinhaut, kann das auch eine spannende und unterhaltsame Angelegenheit werden. Von daher denke ich, dass viele mit diesem Buch auch gut bedient sein werden. Nur ich kann es nicht. Mich katapultieren unlogische und unwahrscheinliche Szenarien direkt aus der Geschichte und dann ist die Faszination und Spannung der Geschichte direkt dahin. Leider gab es in diesem Buch für mich auch das eine oder andere wichtoge Detail, das für mich nicht wirklich Sinn ergeben und die Geschichte ad absurdum geführt hat. Da ich nicht spoilern will, gehe ich hier nicht weiter ins Detail, nur so viel: die Erklärung rund um Elijah selbst haben bei mir doch heftiges Stirnrunzeln ausgelöst.

Rein vom Schreibstil und dem Spannungsaufbau hat mir der Thriller ganz gut gefallen und daher denke ich, dass er durchaus Begeisterung auslösen kann, wenn man die Dinge nicht weiter hinterfragt. Gerade die Ausführungen rund um Elijahs Geisteszustand fand ich sehr gut und hatte schon gehofft, dass sich die Geschichte in die dabei entworfene Richtung entwickeln könnte. Das hätte dem Ganzen nochmal eine interessante Wendung gegeben. Auch war mir die Geschichte unterm Strich dann doch zu reißerisch. Daher, trotz guter Ansätze war’s meins am Ende nicht, aber das ist wie alles Geschmackssache.

Bewertung: 2.5 von 5.

Sam Lloyd: Der Mädchenwald. Hamburg: Rowohlt, 2021

Peter Grandl: Turmgold

Nach einer dramatischen Geiselnahme vor zehn Jahren beherbergt der Turm, ein ehemaliger Hochbunker aus dem zweiten Weltkrieg, eine jüdische Kindertagesstätte. Karl Rieger, eine Schlüsselfigur des damaligen Überfalls, hat seiner nationalsozialisten Vergangenheit abgeschworen und lebt zurückgezogen im Zeugenschutzprogramm. Die Schrecken der Vergangenheit scheinen vergessen zu sein, bis erneut rechtsextreme Terroristen in den Turm eindringen und zehn Kinder und ihre beiden Betreuerinnen als Geiseln nehmen. Ihre Forderung: die Herausgabe ihres alten Kameraden Rieger, der zum Verräter geworden ist.
Doch auch andere haben den Turm ins Visier genommen, denn er beherbergt offenbar mehr als einen Kindergarten…

Der erste Band der Reihe schaffte es 2020 direkt unter die Top 3 meiner Jahreshighlights in der Kategorie Thriller/Krimi. Da war ich natürlich gespannt, ob der Nachfolger da mithalten kann. Und um es gleich vorweg zu sagen: er kann. Und wie.

Was ich an dieser Reihe so mag ist, dass einem hier nicht nur kein Thriller-Fastfood serviert wird, über dessen Inhalt man lieber nicht genauer nachdenken sollte, sondern im Gegenteil sogar mit der Intelligenz der Leser:innen gerechnet wird. Die Ausführungen zur rechtsradikalen Szene sind nicht nur ausgesprochen interessant, sondern ganz nah an der Realität bzw stimmen in Teilen auch mit ihr überein. Und das ist umso bedrückender, da die Anzahl der antisemitischen Straftaten in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Ein wichtiges und hochaktuelles Thema, dass mich schon für sich sehr gefesselt hat.
Nun ist das hier aber kein Sachbuch, sondern ein Thriller und wird diesem Anspruch auch zu 100 Prozent gerecht.
Er ist durchgängig extrem spannend und mit den unterschiedlichen Handlungssträngen gut konstruiert. Auch wenn die Thematik zum Teil recht spektakulär ist, wirkt alles in sich schlüssig und glaubwürdig. Auch das Ende war für mich so überraschend wie stimmig. Schön, dass sich die bekannten Charaktere und Themen durch die Reihe ziehen und man das eine oder andere wohl auch im dritten Teil wiederfinden wird. Beispielsweise das unsägliche Verhalten der Medien – ein weiteres wichtiges Thema, das sich durch die Reihe zieht. Also, Begeisterung für dieses Buch geht raus – mit dem kleinen Zusatz, dass es für mich den Handlungsstrang um Marie nicht gebraucht hätte. Das war mir persönlich zu viel. Aber das scheint wohl noch eine weitere Rolle zu spielen, von daher – beide Daumen hoch.

Bewertung: 4.5 von 5.

Peter Grandl: Turmgold. München: Piper, 2022

Chris Carter: Blutige Stufen

Detektiv Hunter und sein Kollege Garcia sind Extreme gewohnt. Immerhin arbeiten sie seit vielen Jahren in der Ultra Violent Crimes Unit des Los Angeles Police Departements. Aber der Tatort, an den sie gerufen werden, verschlägt selbst ihnen die Sprache. Dieser Täter hat eine Botschaft und ein Ziel. Er möchte eine Lektion erteilen.

Wow, auf einen Thriller wie diesen hab ich gewartet. Vor einigen Jahren hab ich den ersten Band der Reihe gelesen, sie dann aber nicht weiter verfolgt. Warum auch immer. Zum Glück habe ich beim aktuellen Band nochmal zugegriffen. Denn sonst hätte ich einen der besten Thriller verpasst, die ich jemals gelesen habe.

Unfassbar spannend von der ersten bis zur letzten Seite und mit einer Story, die es in sich hat. Dem Autor gelingt es auf geniale Art, mit den größtmöglichen Ängsten der Leser:innen zu spielen. Das hat absoluten Gänsehautfaktor und sensible Menschen sollten es vielleicht auch nicht lesen, wenn sie abends alleine zu Hause sind. Aber die müssen sich sowieso auf einiges gefasst machen, denn hier geht es ziemlich blutig zu, wie der Titel schon sagt.
Eigentlich mag ich extrem brutale Geschichten nicht. Zum einen finde ich Splatter und Co ziemlich abstoßend. Zum anderen wird in Thrillern oft darauf zurückgegriffen, um eine dünne Story auszugleichen. Das hat der Autor hier nicht nötig. Die Geschichte ist inhaltlich auf einem hohen Niveau und macht in dieser Konstruktion komplett Sinn. Auch wenn ich mich zwischendurch gefragt habe, ob das eine oder andere Detail in der Form so möglich ist. Aber im Großen und Ganzen ist es ist in sich stimmig und gerade das Ende ist wirklich gut gemacht. Und das Buch ist wirklich so spannend und mitreißend, dass ich da auch gerne ein Auge zudrücke.

Ich denke, dass dieser Geschichte sehr zu Gute kommt, dass der Autor als Kriminalpsychologe weiß, wovon er schreibt. Das macht seine Figuren glaubwürdig, auch wenn sie charakterlich nicht nicht bis ins Detail ausgearbeitet sind. Und wenn man dann noch gut schreiben kann, kommen Bücher wie dieses dabei heraus. Ganz großes Kino.

Bewertung: 4.5 von 5.

Chris Carter: Blutige Stufen. Berlin: Ullstein, 2022

Juli Zeh: Über Menschen

Frühjahr 2020: Der Lockdown hat Deutschland fest im Griff. Dora, zunehmend unzufrieden mit dem Leben in der Großstadt und ihrem Freund, der sich zum ausgeprägten Klimaaktivisten entwickelt. Kurzentschlossen kauft sie ein Haus im brandenburgischen Bracken. Doch die erhoffte Dorfidylle stellt sich nicht ein. Das Haus renovierungsbedürftig, der Garten verwildert und ein Nachbar, der sich als Nazi entpuppt…

Ich mochte Unterleuten, ebenfalls ein Roman mit dörflichem Mikrokosmos, ausgesprochen gerne. Ähnliches hatte ich mir auch hier versprochen.
Nur leider konnte ich mich mit dieser Neuauflage des Dorflebens gar nicht anfreunden.
Vielleicht war es kein guter Auftakt, neben den täglichen Corona-Nachrichten jetzt auch noch in Buchform darüber zu lesen. Da will man eigentlich direkt wieder zuklappen. Nun hätte einen der Rest der Geschichte über dieses leidige Thema hinwegtrösten können. Nur leider fand ich sie nur mäßig interessant und inhaltlich nicht ganz unproblematisch. Klar möchte die Autorin mit der Figur des Dorfnazis ein Statement gegen platte Schwarzweiß-Malerei setzen und dagegen ist ja erstmal nichts einzuwenden. Nur empfinde ich Dora in ihrer Haltung als zu blass und zaghaft, um hier ein überzeugendes Gegengewicht zu bilden. Leider wurde bei der Figur des Grote auch nicht mit Kitsch gespart, denn er leidet nicht nur unter einer schweren Krankheit, sondern ist auch noch Vater einer herzallerliebsten Tochter, die bei Dora direkt verschüttete Muttergefühle weckt. Puhhh, das war eindeutig zu viel des Guten.
Statt Verständnis und Mitgefühl hat dieses Figurenensemble bei mir eher genervtes Kopfschütteln ausgelöst, das war für mich einfach drüber. Sehr schade.

Bewertung: 2 von 5.

Juli Zeh: Über Menschen. München: Luchterhand Verlag, 2021

Isabel Allende: Fortunas Tochter


Valparaiso, Mitte des 19.Jh.: Eliza wächst als chilenisches Findelkind in einer wohlhabenden englischen Familie auf. Es ist ein harmonisches und unbeschwertes Familienleben, bis sich die heranwachsende Eliza unsterblich in einen Angestellten der Familie verliebt. Als er sich den Goldsuchern anschließt und nach Amerika auswandert, beschließt Eliza, ihm zu folgen und den Geliebten zu suchen. Sie reißt von zu Hause aus und schmuggelt sich als blinder Passagier auf ein Segelschiff, das sie nach San Francisco bringt…

Verliebte Frau sucht ihren Geliebten ist als Motiv sicher nicht neu und häufig auch nicht frei von Kitsch. Und wenn man gar nichts mit Liebesgeschichten anfangen kann, könnte dieses Buch vielleicht auch nicht das richtige sein, wenn nicht… Isabel Allende sie geschrieben hätte.
Schon beim ‚Geisterhaus‘ habe ich mich gefragt, warum ich nicht schon viel mehr von dieser großartigen Schriftstellerin gelesen habe. Denn sie hat eine ganz wundervolle Art zu erzählen und das findet man auch hier wieder. Eine sehr bildhafte Sprache, mit viel Liebe zum Detail und zu den Figuren, die vor einem quasi lebendig werden. Viele von ihnen schließt man spontan ins Herz, aber auch die Unsympathen sieht man direkt vor sich, fühlt und leidet mit.
Und was Allende noch kann, Geschichte einfangen. Ihres eigenen Landes oder wie hier, die Geschichte amerikanischer Einwanderer. Die Goldsucher-Bewegung war für mich relativ neu und daher umso interessanter, darüber etwas zu erfahren. Und das umso mehr, wenn man weiß, dass die Autorin dabei genau recherchiert und reale Ereignisse mit ein geflochten hat.

Auch wenn dieses Buch für mich nicht die gleiche Kraft hatte wie das Geisterhaus, war es für mich eine große Freude, dieses Buch zu lesen.

Mein Fazit: Unbedingt mehr Allende lesen!

Bewertung: 4.5 von 5.

Isabel Allende: Fortunas Tochter. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1999

Dante Alighieri: Die göttliche Komödie

Sie gehört zu den ganz großen Werken der Weltliteratur, die Göttliche Komödie – entstanden zwischen 1307 und 1321, in gedruckter Form aber erst 1472 erschienen.
Vieles an persönlicher Auseinandersetzung ist in dieses Werk eingeflossen, denn Dante lebte aufgrund eines gegen ihn verhängten Todesurteils seit 1301 im Exil, nachdem alle seine Güter beschlagnahmt wurden.
Auf dem Hintergrund dieser Lebenskrise wundert es nicht, dass man Dante höchstselbst an der Seite Vergils auf der Wanderung durch die drei Jenseitsreiche begleitet. Dabei begegnet er nicht nur zahlreichen historischen Persönlichkeiten, politischen Widersachern und Weggefährten, die ihre jeweilige Strafe verbüßen, sondern macht auch selbst einen Prozess der Läuterung durch.
In jeweils 33 bzw. 34 Gesängen führt dieser Weg durch die sieben Kreise der Hölle (Inferno), das Fegefeuer (Purgatorio) hin zum Paradies (Paradiso).

Das war wahrlich keine einfache Kost, soviel schon mal vorab. Teilweise auch regelrecht Recherchearbeit, denn spätestens bei den zeitgenössischen Anspielungen zur florentinischen Politik ist man in der Regel raus. Leider hatte ich in meiner Ausgabe aus dem Nikol-Verlag keine Anmerkungen, obwohl ich sie optisch wunderschön finde. Geholfen hat mir beim Verständnis des doch sehr schwierigen Werkes – neben Google – die Einführung von Franziska Meier.

Gut gefallen hat mir die Bildhaftigkeit und die komplexe Anlage der Jenseitsreiche, in der antike und christliche Vorstellungen miteinander verschmelzen. Ich hatte vieles sehr bildlich vor Augen und das hat gerade auf dem Weg durch die Hölle und das Fegefeuer eine sehr apokalyptische Stimmung verbreitet. Auch die unterschiedliche Gewichtung der Sünden und ihrer entsprechenden Strafen, die zum Teil deutlich von unserem heutigen Verständnis abweicht, fand ich sehr interessant.

Beim Paradies war dann aber für mich Schluss – was hat das zu bedeuten…
Ähnlich wie Dantes Begleiter Vergil kam ich hier auch nicht rein, gedanklich gesehen. Das war mir zu theologisch mystifiziert, zu verklärend, auch wenn diese Art der Darstellung zum Gesamtentwurf passt. Aber auch die Idealisierung von Dantes Jugendliebe Beatrice, die ihn engelsgleich durch die Kreise des Himmels führt, war mir zu viel des Guten. Trotzdem bin ich froh, es gelesen zu haben, denn es liefert das nötige Hintergrundwissen für all die Verweise, die es in der Literatur immer wieder auf dieses Werk gibt. Allerdings sollte man nicht mit dem Anspruch rangehen, jedes Detail verstehen zu wollen. Dann könnte es ein ziemlich umfangreiches Projekt werden…

Bewertung: 2.5 von 5.

Dante Alighieri: Die göttliche Komödie. Hamburg: Nikol Verlag, 2016 (italienisches Original 1307-1321)