Isabel Allende: Violeta

„Mein Leben ist es wert, erzählt zu werden, was weniger an meinen tugendhaften als meinen sündigen Taten liegt, von denen Du viele nicht ahnst. Hier erzähle ich Dir von ihnen. Du wirst sehen, mein Leben ist ein Roman.“

Und das ist es. Ein hundertjähriges Leben, das die Protagonistin Violeta in einem Brief vor ihrem Enkel am Ende ihres langen Weges ausbreitet.
Eine große Pandemie, die Spanische Grippe, steht am Beginn ihres Lebens und eine weitere wird hundert Jahre später an dessen Ende stehen. Zwischen diesen Eckpunkten bewegt sich die selbstbewusste Violeta, die nicht gewillt ist, sich mit einem Dasein als Hausfrau und Mutter abzugeben. Ebensowenig wie mit den überholten Konventionen, aber auch bedenklichen politischen Entwicklungen in dem nicht näher benannten lateinamerikanischen Land, in dem man unschwer Allendes chilenische Heimat erkennt.

In Rezensionen zu ihrem neusten Roman wurde ihr vorgeworfen, dass sie darin wenig Neues hervorgebracht hat – vielmehr Altbekanntes in routinierter Weise abspult.
Tatsächlich begegnet einem einiges, das man aus dem ‚Geisterhaus‘ oder ‚Fortunas Tochter‘ schon kennt. Groß angelegte Familiengeschichten, unbeugsame Frauenfiguren, Motive des magischen Realismus und die politischen Umbrüche ihres Heimatlandes sind ihre wiederkehrenden Themen.
Trotzdem gelingt es ihr, aus diesen Elementen ganz wunderbare Geschichten zu weben, die einen immer wieder aufs Neue faszinieren.
Wir waren uns in unserer Leserunde einig, dass Allendes Art des Erzählens einen großen Wiedererkennungswert hat und diese so typische Erzählweise gefällt mir sehr. Sie lässt einen sofort in die Geschichte eintauchen und das Schicksal der porträtierten Familien über die Jahrzehnte mit Spannung verfolgen.
Auch wenn ich das ‚Geisterhaus‘ und ‚Fortunas Tochter‘ noch etwas stärker fand, konnte mich auch Allendes aktueller Roman auf ganzer Linie begeistern und gerade das Ende hat mich zu Tränen gerührt. Einfach ein schönes Buch, innen wie außen.

Bewertung: 4 von 5.

Isabel Allende: Violeta. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2022

Gabriele Tergit: Effingers

Ein Buch mit 885 Seiten ist eine Herausforderung und hat etwas Anlaufzeit gebraucht. Und um es gleich vorweg zu sagen: diesen groß angelegten Familienroman liest man am besten am Stück. Denn er enthält jede Menge verwandschaftliche Verzweigungen, bei denen man schnell den Überblick verlieren kann. Der Stammbaum am Ende des Buches ist zwar hilfreich, ersetzt aber nicht den inhaltlichen Lesefluss.

In diesem umfangreichen Roman entwickelt Tergit die Geschichte dreier jüdischer Familien, die es in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen zu Wohlstand und Ansehen bringen. Dem wechselhaften Familienleben mit seinen alltäglichen und persönlichen Dramen folgt man auf der historischen Kulisse Berlins, beginnend im Jahre 1884 mit der ersten Fabriksgründung Paul Effingers bis zum Frühling 1948, mit dem das Buch endet.
Wie man sich bei der großen und ereignisreichen Zeitspanne denken kann, entfaltet sich hier Weltgeschichte in sehr greifbarer Form. Nicht abstrakt, sondern in ihren unmittelbaren Auswirkungen auf den Einzelnen.
Das hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sehr gut herausgearbeitet fand ich das Aufeinanderprallen der Generationen, dem Festhalten an Traditionellem auf der einen und dem Streben nach Fortschritt und Moderne auf der anderen Seite. Das spiegelt nicht nur die gesellschaftliche Entwicklung, sondern auch die relevanten Themen der Zeit wider. Ähnlich gut dargestellt ist der immer stärker anwachsende Antisemitismus, der in der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Holocaust seinen Höhepunkt findet. Diese Entwicklung aus der Innenansicht einer jüdischen Familie zu betrachten, war sehr authentisch und macht dieses Buch zu einem so eindrucksvollen, wie beklemmenden Zeitzeugnis.

Inhaltlich war das Buch auf jeden Fall ein Gewinn, auch wenn es in den bürgerlichen Alltagsszenen doch deutliche Längen hatte. Da wurden zu viele Seiten mit Nebensächlichkeiten gefüllt, die zum Fortgang oder Gehalt der Geschichte wenig beigetragen haben. Der Roman wirkte dadurch leicht aufgebläht und hat bei mir die Lesefreude zwischenzeitlich etwas getrübt.

Bewertung: 3.5 von 5.

Gebriele Tergit: Effingers. München: btb Verlag, 2020 (Original 1951)

Elisa Levi: Anderes kenne ich nicht

„Es gibt keinen Ort, der universeller ist als das kleinste Dorf.“

Bereits der erste Satz des Klappentextes beschreibt, worum es in diesem Buch geht. Dem ganz besonderen Mikrokosmos in einem kleinen spanischen Dorf mit nur vier Straßen, einer Kirche und einem Einkaufsladen. Ein Ort, an dem jeder jeden kennt. Und an dem die Zeit stehenzubleiben scheint.

Welch eine willkommene Abwechslung, als ein Mann im Dorf erscheint, dem sein Hund entlaufen ist. Ausgerechnet im angrenzenden Wald will er den Hund suchen. Wo doch jede*r im Dorf weiß, dass keiner aus diesem Wald lebend wieder herauskommt.
Von dieser und anderen Universalitäten ihres Dorfes erzählte Lea dem ahnungslosen Fremden – bei einer Zigarette auf der Bank in der Nachmittagssonne. Oder auch zwei oder drei…

Tatsächlich besteht das gesamte Buch aus Leas Monolog mit dem Fremden, in dem sich das gesamte gesellschaftliche Leben des Dorfes ausbreitet. Das könnte auf den ersten Blick ziemlich handlungsarm wirken, die Konstruktion ist aber erstaunlich tragfähig. Das liegt vor allem an den interessanten Themen, die im Rahmen dieses Monologs angerissen werden. Den Abhängigkeiten, Wünschen und Sehnsüchten Leas und der anderen Dorfbewohner*innen, ihren Beziehungen untereinander, den überholten Traditionen, der geistigen Enge und dem Wunsch, alles hinter sich zu lassen. Und die Angst davor.
„Lieber das bekannte Übel, als das unbekannte Gute“ ist das Motto des Dorfes, mit dem sich Lea immer weniger abfinden kann.
Wäre da nicht ihre Schwester, die aufgrund schwerer geistiger und körperlicher Beeinträchtigungen auf Leas tägliche Hilfe angewiesen ist…

Was mir an dem Buch so gut gefallen hat, sieht man eigentlich schon am Cover – es strahlt ganz viel Wärme aus. Als würde man selbst in der Nachmittagssonne sitzen und einer (etwas längeren Erzählung lauschen). Trotz Leas Distanz zur dörflichen Enge und vieler negativer Gedanken spürt man immer wieder ihre Zuneigung und Verbundenheit gegenüber den Dorfbewohner*innen.

Und das in einer wunderbar klaren, bildhaften Sprache, die gerade in ihrer Einfachheit viele starke Sätze und Passagen produziert. Dazu passt auch ihre zum Teil derbe Art, bei der sie auch kein Blatt vor den Mund nimmt. Gerade ihre abwertenden Gedanken in Bezug auf ihre Schwester haben Kritik ausgelöst, vielleicht auch nicht zu Unrecht. Aber ich denke, dass es durchaus Gedanken sind, die in solchen Situationen aufkommen können. Nur sind sie gesellschaftlich extrem tabuisiert. Ich finde es im Kontext der Geschichte jedoch durchaus passend. Und sie spricht auch immer wieder ausgesprochen liebevoll über ihre Schwester, was man dabei nicht außer acht lassen sollte. Wahrscheinlich hat man in einer solchen Belastungssituation wirklich diese widersprüchlichen Gefühle in sich. Allerdings hat mich das Ende auch etwas irritiert, muss ich sagen. Das ist schon ziemlich harte Kost. Aber letztlich bleibt vieles auch offen und der Fantasie der Leser*innen überlassen.

Bewertung: 3.5 von 5.

Elisa Levi: Anderes kenne ich nicht. Berlin: Trabanten Verlag, 2022

Alex Schulman: Verbrenn all meine Briefe

Letztes Jahr hat Alex Schulman mit ‚Die Überlebenden‘ in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht. Mit diesem Roman gelang ihm 2018 in Schweden der Durchbruch, der nun in der deutschen Übersetzung vorliegt.

Dies ist ein sehr persönliches Buch, denn der Autor schreibt hier über ein Gefühl, unter dem er zunehmend leidet und das die Beziehung zu seiner Familie vergiftet: das Gefühl der Wut.
Um der Ursache dieser Wut auf den Grund zu gehen, taucht der Autor tief in seine eigene Familiengeschichte ein und stößt auf eine tragische Liebesgeschichte, in deren Zentrum seine Großeltern und ein bekannter Schriftstellerkollege des Großvaters stehen.
Schulmans Großvater, ebenfalls eine bekannte literarische Größe, war nicht nur unter den Kollegen, sondern auch im Familienkreis wegen seiner Wutausbrüche und Scharfzüngigkeit gefürchtet.
Anhand von authentischen Tagebuchauszügen und Briefen rekonstruiert Schulman eine dramatische Liebesgeschichte, die die Stimmung in der Familie über Generationen nachhaltig beeinflussen wird.

Wow, was für ein Buch!
Mir hatte ja schon ‚Die Überlebenden‘ gut gefallen, von daher hatte ich auch hier mit einem guten Buch gerechnet, aber nicht damit. Zumindest nicht bei dieser Thematik.
Denn dieses Buch ist spannender als mancher Krimi und von einer ganz besonderen Intensität. Der Autor baut die Geschichte ganz langsam auf, ausgehend von seiner eigenen Verzweiflung an sich selbst. Die Passagen der Gegenwart wechseln sich mit den Erinnerungen des Autors an seine Großeltern und den Briefen und Tagebucheinträgen ab. Dabei dringt der Autor immer mehr zu den damaligen Ereignissen vor und das hat durchaus eine detektivische Komponente, die mich völlig in den Bann gezogen hat. Ich hab das Buch mehr oder weniger in einem Zug durchgelesen.

Sehr vieles ist mir dabei durch den Kopf gegangen. Ich war beeindruckt von der Grundmotivation des Autors, der eigenen Betroffenheit. Traurig über das Schicksal der Großmutter, empört über das Verhalten des Großvaters und sehr, sehr berührt von der Tragik dieser Liebesgeschichte.

Das Wissen, dass der Roman auf wahren Begebenheit beruht, macht diese Geschichte noch intensiver. Ein Buch, dass ich aus vollem Herzen empfehlen kann.

Bewertung: 4.5 von 5.

Alex Schulman: Verbrenn all meine Briefe. München: dtv, 2022 (Schwedische Originalausgabe 2018)

Fernando Aramburu: Die Mauersegler

Toni lebt als Gymnasiallehrer in Madrid und ist mit seinem Leben maximal unzufrieden. Der Job ödet ihn an, ebenso, wie die Menschen, die ihn umgeben. Mittlerweile von seiner Frau getrennt und im Dauerzwist mit seinem Bruder, lebt er zurückgezogen mit seinem Hund Pepa in einer kleinen Wohnung. Kontakt hat er lediglich zu seinem Freund Humpel, wenn man von sporadischen Begegnungen mit seinem Sohn absieht, den er ziemlich missraten findet.
Dieses Lebens überdrüssig beschließt er, seinem Leben in genau 365 Tagen ein Ende zu setzen, beginnend mit dem 31. Juli. In 365 Kapiteln schreibt er über sein bisheriges Leben und die Tage, die ihm noch bleiben.

Klingt nach einem Buch, nachdem man sich am liebsten gleich selbst erschießen möchte und tatsächlich, besonders lebensbejahend ist es auf den ersten Blick nicht. Wäre da nicht dieser herrlich skurrile Ich-Erzähler, der seine eigenen Pläne ad absurdum führt.
Und so hat dieses Buch trotz der Thematik auch nicht den erwartbaren depressiven Unterton, sondern ist ganz im Gegenteil ausgesprochen komisch – zumindest für meinen Geschmack.

Es gibt ja immer wieder diese Bücher, bei denen man beim Lesen die Hälfte der Zeit blöde vor sich hingrinst und zwischendurch immer wieder laut lachen muss und das gehört für mich definitiv dazu.
Das liegt im Wesentlichen an der Figur des Erzählers selbst, der seine gesamte Umgebung und auch sich selbst mit seinen zynischen, schwarzhumorigen Betrachtungen überzieht.
Und das ist so voller Sprachwitz, dass es für mich eine absolute Freude war, dieses Buch zu lesen.

Obwohl Toni alles andere als ein pflegeleichter Zeitgenosse und Menschenfreund ist, habe ich ihn irgendwie ins Herz geschlossen – vielleicht gerade wegen seiner sperrigen Art. Und weil er mit Selbstkritik nicht spart – immerhin gehen seine spöttischen Bemerkungen auch häufig an die eigene Adresse und schaffen so auch eine Distanz zu manch gewöhnungsbedürftigen Sichtweisen. Gleiches gilt für seine ebenfalls nicht ganz einfachen Freunde Humpel und Agueda, die später zu dem Männerduo dazustößt.

In Gesprächen über das Buch wurde teilweise Kritik an der sprunghaften Erzählweise geäußert. Tatsächlich springen die einzelnen, kurz gehaltenen Kapitel zwischen Zeiten und Ereignissen hin und her, was in der Geschichte begründet ist. Toni schreibt am Abend die Gedanken nieder, die ihm in den Sinn kommen und die sind nicht chronologisch geordnet. Es gibt Bücher, bei denen mich so etwas auch wahnsinnig macht. Hier stört es mich gar nicht, ich finde es im Gegenteil sehr passend und macht das Ganze deutlich dynamischer als eine chronologischer Erzählung.

Allerdings muss man sagen, dass hier ein paar Seiten weniger nicht geschadet hätten. Das Wesentliche hätte man wahrscheinlich auch auf 500 Seiten gut untergebracht, ohne dass es der Geschichte oder dem Erzählfluss geschadet hätte.

Trotzdem eine ganz klare Leseempfehlung von meiner Seite!

Bewertung: 4.5 von 5.

Fernando Aramburu: Die Mauersegler. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2022

Juli Zeh: Über Menschen

Frühjahr 2020: Der Lockdown hat Deutschland fest im Griff. Dora, zunehmend unzufrieden mit dem Leben in der Großstadt und ihrem Freund, der sich zum ausgeprägten Klimaaktivisten entwickelt. Kurzentschlossen kauft sie ein Haus im brandenburgischen Bracken. Doch die erhoffte Dorfidylle stellt sich nicht ein. Das Haus renovierungsbedürftig, der Garten verwildert und ein Nachbar, der sich als Nazi entpuppt…

Ich mochte Unterleuten, ebenfalls ein Roman mit dörflichem Mikrokosmos, ausgesprochen gerne. Ähnliches hatte ich mir auch hier versprochen.
Nur leider konnte ich mich mit dieser Neuauflage des Dorflebens gar nicht anfreunden.
Vielleicht war es kein guter Auftakt, neben den täglichen Corona-Nachrichten jetzt auch noch in Buchform darüber zu lesen. Da will man eigentlich direkt wieder zuklappen. Nun hätte einen der Rest der Geschichte über dieses leidige Thema hinwegtrösten können. Nur leider fand ich sie nur mäßig interessant und inhaltlich nicht ganz unproblematisch. Klar möchte die Autorin mit der Figur des Dorfnazis ein Statement gegen platte Schwarzweiß-Malerei setzen und dagegen ist ja erstmal nichts einzuwenden. Nur empfinde ich Dora in ihrer Haltung als zu blass und zaghaft, um hier ein überzeugendes Gegengewicht zu bilden. Leider wurde bei der Figur des Grote auch nicht mit Kitsch gespart, denn er leidet nicht nur unter einer schweren Krankheit, sondern ist auch noch Vater einer herzallerliebsten Tochter, die bei Dora direkt verschüttete Muttergefühle weckt. Puhhh, das war eindeutig zu viel des Guten.
Statt Verständnis und Mitgefühl hat dieses Figurenensemble bei mir eher genervtes Kopfschütteln ausgelöst, das war für mich einfach drüber. Sehr schade.

Bewertung: 2 von 5.

Juli Zeh: Über Menschen. München: Luchterhand Verlag, 2021

Isabel Allende: Fortunas Tochter


Valparaiso, Mitte des 19.Jh.: Eliza wächst als chilenisches Findelkind in einer wohlhabenden englischen Familie auf. Es ist ein harmonisches und unbeschwertes Familienleben, bis sich die heranwachsende Eliza unsterblich in einen Angestellten der Familie verliebt. Als er sich den Goldsuchern anschließt und nach Amerika auswandert, beschließt Eliza, ihm zu folgen und den Geliebten zu suchen. Sie reißt von zu Hause aus und schmuggelt sich als blinder Passagier auf ein Segelschiff, das sie nach San Francisco bringt…

Verliebte Frau sucht ihren Geliebten ist als Motiv sicher nicht neu und häufig auch nicht frei von Kitsch. Und wenn man gar nichts mit Liebesgeschichten anfangen kann, könnte dieses Buch vielleicht auch nicht das richtige sein, wenn nicht… Isabel Allende sie geschrieben hätte.
Schon beim ‚Geisterhaus‘ habe ich mich gefragt, warum ich nicht schon viel mehr von dieser großartigen Schriftstellerin gelesen habe. Denn sie hat eine ganz wundervolle Art zu erzählen und das findet man auch hier wieder. Eine sehr bildhafte Sprache, mit viel Liebe zum Detail und zu den Figuren, die vor einem quasi lebendig werden. Viele von ihnen schließt man spontan ins Herz, aber auch die Unsympathen sieht man direkt vor sich, fühlt und leidet mit.
Und was Allende noch kann, Geschichte einfangen. Ihres eigenen Landes oder wie hier, die Geschichte amerikanischer Einwanderer. Die Goldsucher-Bewegung war für mich relativ neu und daher umso interessanter, darüber etwas zu erfahren. Und das umso mehr, wenn man weiß, dass die Autorin dabei genau recherchiert und reale Ereignisse mit ein geflochten hat.

Auch wenn dieses Buch für mich nicht die gleiche Kraft hatte wie das Geisterhaus, war es für mich eine große Freude, dieses Buch zu lesen.

Mein Fazit: Unbedingt mehr Allende lesen!

Bewertung: 4.5 von 5.

Isabel Allende: Fortunas Tochter. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1999

Hannah Lühmann: Auszeit

Die Freundinnen Paula und Henriette ziehen sich in ein abgelegenes Ferienhaus im Wald zurück, nachdem Henriette an einem Tiefpunkt in ihrem Leben angekommen ist. Mit Mitte dreißig hat sie das Gefühl, noch nichts im Leben erreicht zu haben. Weder eine Familie noch eine Karriere hat sie vorzuweisen, dafür jede Menge Selbstzweifel, flüchtige Beziehungen und eine angefangene Dissertation, bei der sie nicht weiterkommt. Dann wird sie ungewollt schwanger…

Mhhh, was soll ich sagen…ich glaube, falsches Buch zur falschen Zeit trifft es vielleicht am ehesten. So zu Beginn des Studiums, wo man selbst noch einigermaßen orientierungslos durch die Welt irrt, hätte es mir wahrscheinlich besser gefallen. Heute kann ich mit dieser Form von Nabelschau nicht mehr so viel anfangen. Was nicht heißt, dass mir Geschichten von seelischen Innenansichten grundsätzlich nicht gefallen. Zum Teil sogar sehr. Aber diese hatte für mich einen ziemlich pubertären Beigeschmack, gepaart mit einer großen Portion Selbstmitleid.
Dazu kommt, dass mir eigentlich beide Frauenfiguren nicht sonderlich sympathisch waren, was den Zugang zusätzlich erschwert. Weder bei der von Selbstzweifeln geplagten Henriette noch der verständnisvollen Powerfrau an ihrer Seite konnte ich innerlich andocken. Vor allem die Ich-Erzählerin Henriette ging mir im Verlauf des Buches zunehmend auf den Geist, was durch das überraschende Ende noch getoppt wurde. Kopfschütteln XXL… was in Bezug auf das Ende übrigens auf beide Protagonistinnen zutrifft.
Aber mein Kopfschütteln ist bei anderen vermutlich ein begeistertes Nicken, denn gerade in einer vergleichbaren Lebenssituation kann das eine durchaus interessante Lektüre sein. Nur leider nicht für mich.

Bewertung: 2.5 von 5.

Hannah Lühmann: Auszeit. München: Hanser Verlag 2021

Dave Eggers: Every

Es ist die Fortsetzung des Circle, in dem sich der Anbieter der größten Suchmaschine der Welt mit dem erfolgreichsten Onlineanbieter zusammengetan und ein System absoluter sozialer Kontrolle entwickelt hat. Die neue Mitarbeiterin Delany ist angetreten, das System von innen zu zerschlagen…

Klingt gut und ist es auch im ersten Drittel. Man begleitet Delany auf ihrem Weg in das Imperium, ist mit ihr entsetzt und lernt ihre Sabotagepläne kennen. Wir haben viel diskutiert in diesem ersten Teil über die Parallelen zur Realität und dem eigenen Umgang mit Social Media und das hat wieder mal zum Nachdenken angeregt. Das hat mir sehr gut gefallen und entsprechend motiviert war ich, das Buch weiterzulesen.

Aaaaber… und jetzt komme ich leider nicht ohne Spoiler aus, also ggf hier erstmal abbrechen… wer nun ein Feuerwerk des Widerstands à la Tribute von Panem erwartet (so wie ich zum Beispiel), der wird schwer enttäuscht. Delany und ihr Kampfgefährte verlegen sich darauf, Ideen für Apps zu entwickeln, die die Verletzung der Persönlichkeitsrechte und die soziale Kontrolle auf die Spitze treiben – in der Hoffnung, dass die Menschheit rebelliert und Every entmachtet wird. Blöderweise finden die Leute ihre Ideen ziemlich gut und die beiden schustern munter an der Perfektionierung eines Systems, das sie eigentlich bekämpfen wollten.
Nun kann sich ja jeder mal verkalkulieren und dann muss Plan B her. Selbst höher entwickelte Tiere ändern nach wiederholten erfolglosen Versuchen ihre Strategie.

Nicht aber Delany und ihr Kampfgenosse, die entwickeln auch noch die zwanzigste App… wie dumm kann man sein… Da kann dann auch das etwas aktionreichere und überraschende Ende nichts mehr ausrichten. Leider, leider wurde hier ganz viel Potential zu einer wirklich guten Fortsetzung verschenkt. Stattdessen gab es die Appentwickler-Variante von ‚Täglich grüßt das Murmeltier‘. Für mich leider enttäuschend, nachdem mich der Circle so begeistert hat. Schade, der Anfang war so gut…

Bewertung: 3.5 von 5.

Dave Eggers: Every. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021

Emma Donoghue: Raum

Spätestens seit Natascha Kampusch weiß man, dass es sowas tatsächlich gibt: Mädchen oder junge Frauen, die entführt und jahrelang in Isolation gehalten werden. Einige gebären unter diesen Umständen sogar ein Kind, das ebenfalls abgeschottet von der Außenwelt heranwächst. Von einem Fall wie diesem erzählt diese Geschichte.

Das Besondere an diesem Buch ist, dass es aus der Perspektive des Kindes verfasst ist. Man bekommt dadurch einen Einblick in die Wahrnehmung und Gedankenwelt eines Kindes, dass die reale Welt außerhalb des Raumes, in dem es seine ersten Lebensjahre verfasst hat, nicht kennt. Das gilt auch für andere Menschen, die er (mit Ausnahme seiner Mutter und dem Entführer) bisher nur im Fernsehen gesehen hat.
Dieser Blickwinkel ist auf jeden Fall interessant und hat vielleicht auch zur großen Aufmerksamkeit beigetragen, die dieses Buch bekommen hat – immerhin ist es ein Spiegel Bestseller gewesen.

Allerdings konnte ich mich der großen Begeisterung nicht so ganz anschließen, weil das Buch für meinen Geschmack jede Menge handwerklicher Fehler hat. Darauf kann ich allerdings nicht näher eingehen, ohne zu spoilern, daher… alle, die das Buch noch lesen wollen, bitte an der Stelle abbrechen…

Ich fand das Buch vom Aufbau her nicht gut umgesetzt. Der erste Teil ist wie ein Thriller angelegt und dreht sich um den Versuch, den Entführer zu überlisten und zu fliehen. Die Flucht selbst ist hochdramatisch, bricht aber an der spannendsten Stelle abrupt ab, um auf wenigen Seiten fast wie beiläufig zu erzählen, dass der Entführer geschnappt wurde. Das passiert auch noch an einer Stelle des Buches, wo sich viel Spannung aufgebaut hatte und man dachte, jetzt geht’s erst richtig los. Ging’s nicht…
Stattdessen handelt der zweite Teil des Buches über die Versuche von Mutter und Kind, in der Außenwelt klarzukommen, die ja gerade für das Kind völlig fremd ist. Das ist auf jeden Fall lesenswert, passt nur nicht zum Aufbau des ersten Teils.

Beide Teile haben ganz unterschiedliche Schwerpunkte und es wirkt so, als hätte die Autorin versucht, zwei Bücher mit ganz unterschiedlichem Stil in einem Buch zu schreiben. Dabei geht bei beiden Schwerpunkten eine Menge verloren. Dazu kommen jede Menge Logikfehler, allem voran die völlig inkonsistente Sprache des Kindes, das ja erst fünf Jahre ist. Um das zu verdeutlichen wurden immer wieder Grammatikfehler eingestreut, die aber wenig glaubwürdig sind, wenn der Rest der Sprache jenseits der eines Fünfjährigen ist.

Bewertung: 3 von 5.

Emma Donoghue: Raum. München: Piper Verlag, 2011 (Original 2010)