Mercè Rodoreda: Der Garten über dem Meer


Spanien Ende der zwanziger Jahre. Sobald sich der Sommer ankündigt, treffen in dem stattlichen Herrenhaus am Meer seine wohlhabenden Besitzer ein, das junge Ehepaar Francesc und Rosamaria. Mit im Gepäck eine Gruppe von Freunden und Künstlern, mit denen sie den Müßiggang pflegen und ausgelassene Feste feiern. Beobachtet wird dieses Treiben mit all seinen großen und kleinen Dramen vom Gärtner des Hauses, der uns durch diese Geschichte führt. Die Sommeridylle wird jedoch nachhaltig gestört, als auf dem Nachbargrundstück ein weiteres junges Paar einzieht. Der Ehemann ist kein geringerer als Rosamarias alte Jugendliebe Eugeni…

Die erste Hälfte des Buches fand ich ausgesprochen angenehm zu lesen. Die ruhige, beobachtende Erzählperspektive des Gärtners hatte auf mich eine sehr entspannende Wirkung, wie gemütlich in einem bequemem Sessel sitzen und einen Film schauen. Da ging es mir ähnlich wie dem Erzähler: „Ich habe schon immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und das nicht etwas, weil ich neugierig wäre…Eher, weil ich Menschen mag und die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr. (…) Wenn sie mit ihren Freunden zur Sommerfrische kamen, konnte ich mir die Filme im Excelsior sparen.“


Nur leider hat das nicht bis zum Ende getragen, die Geschichte begann mich in der zweiten Hälfte zu langweilen. Dramaturgisch wäre von der Story her da noch einiges drin gewesen, denn das Aufeinandertreffen der ehemals Liebenden liefert jede Menge Stoff für großes Kino. Leider wurde dieses Potential für meinen Geschmack gar nicht ausgeschöpft. Als würde eine große Party angekündigt, die sich am Ende als Skatrunde mit Dosenbier entpuppt. Alles plätschert weiter gemütlich vor sich hin und das war mir dann am Ende doch zu fad. Nachteilig war auch, dass man von wesentlichen Personen der Geschichte, insbesondere von Rosamaria, viel zu wenig erfahren hat. Das ist zwar der Erzählperspektive geschuldet, lässt die Hauptcharaktere aber zu blass erscheinen.

So war für mich der Garten über dem Meer ein ganz netter Ausflug, aber auch nicht mehr.

Abschließend noch ein großer Pluspunkt für die Gestaltung des Buchcovers. Ich finde es mit diesen warmen Farben sehr passend zum Grundton des Buches, es bildet diese ruhige, entspannte Erzählatmospäre sehr gut ab.

Bewertung: 3.5 von 5.

Mercè Rodoreda: Der Garten über dem Meer. Berlin: Berlin Verlag, 2016 (Deutsche Ersterscheinung 2014, Original 1967)

Melissa Albert: Hazel Wood


Seit sie denken kann, ist Alice mit ihrer Mutter auf der Flucht, nie hatte sie ein richtiges Zuhause. Das Unglück scheint ihnen stets dicht auf den Fersen. Als sie endlich in New York sesshaft werden, stirbt Alice‘ Großmutter, die mysteriöse Märchenerzählerin Althea Prospertine. Kurze Zeit später verschwindet Alice‘ Mutter unter rätselhaften Umständen. Alice versucht alles, um ihre Mutter zu retten. Ihr Weg führt sie nach Hazel Wood, dem sagenumwobenen Haus ihrer Großmutter, tief in den Wäldern verborgen. Ganz entgegen der ausdrücklichen Warnung ihrer Mutter: „Halt dich fern von Hazel Wood!“

Dieses Buch ist auf jeden Fall reizvoll in seiner Mischung aus Realität und Märchenwelt und gerade die düsteren Elemente darin fand ich sehr ansprechend. Das hatte sowas von Stephen King meets Narnia, also eine gute Grundlage für eine gelungene Fantasygeschichte mit Gruseleffekt. Trotzdem bin ich mit dem Buch nicht wirklich warm geworden. Vielleicht lag es daran, dass es für mich zu schleppend losgegangen ist und ich nicht richtig in die Geschichte reingekommen bin. Nach dem ersten Drittel wurde es dann etwas besser, aber trotz der groß angelegten Märchenszenerie hat mich die Geschichte nicht wirklich gepackt, ich fühlte mich die ganze Zeit etwas außen vor. Auch wenn ich das Buch nicht ungern gelesen habe, wirkte auf mich insgesamt zu zähflüssig. Auch zu den Figuren hab ich keinen richtigen Zugang gefunden, was wirklich schade ist, denn es klang sehr vielversprechend.

Aber…volle Punktzahl für das traumhaft schöne Cover, dass sich durch die 3D-Strukur auch noch richtig schön anfassen lässt.

Bewertung: 3 von 5.

Melissa Albert: Hazel Wood. Hamburg: Dressler Verlag, 2018

Charles Dickens: David Copperfield


In diesem autobiographisch gefärbten Roman berichtet Dickens vom Leben des David Copperfield. Als Halbwaise geboren ist seine Amme Pegotty sein einziger Halt, denn seine noch kindliche Mutter ist mit dem Nachwuchs völlig überfordert. Schnell heiratet sie erneut, doch David wird von seinem strengen Stiefvater und dessen Schwester Jane nicht akzeptiert und in das Internat Salem House verbannt. Dort freundet er sich mit James Steerforth und Tommy Traddles an, eine Freundschaft, die sein späteres Leben nachhaltig beeinflussen wird.

Er flieht aus dem Heim und muss sich alleine und völlig mittellos in London durchschlagen. Hier begegnet einem wieder das Motiv der Kinderarbeit und bitterster Armut, das Dickens am eigenen Leibe erlebt hat. Sein Weg führt in zu seiner Tante, die ihn zunächst widerwillig bei sich aufnimmt. Doch schnell bald lernt sie ihn schätzen, fördert seine weitere Entwicklung und ermöglicht ihm eine Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfe. Dass Copperfield sich in der Folge auch noch als Schriftsteller versucht, zeigt umso mehr, wie viel Dickens in diesem Roman steckt und macht ihn auch unter diesem Gesichtspunkt lesenswert.

Seit ich ‚Oliver Twist‘ gelesen habe, bin ich ja ein absoluter Dickensfan, weil er wie kein anderer die Stimmung und das menschliche Elend zur Zeit der beginnenden Industrialisierung in England beschreibt. Das klingt auch in diesem Roman wieder an und auch die Schilderung seiner leidvollen Kindheit ist sehr eindrucksvoll, so dass ich im ersten Drittel des Buches sehr gefesselt war. Auch gibt es im weiteren Verlauf das eine oder andere Highlight, beispielsweise ist die Szene, in der er das erste Mal betrunken ist, ausgesprochen komisch, ich habe sehr gelacht.
Insgesamt leidet das Buch aber daran, dass es mit fast 1000 Seiten viel zu aufgebläht ist. Gerade im zweiten Teil ist es für meinen Geschmack zu langatmig und verliert sich in Nebensächlichkeiten, schrammt teilweise auch hart am Kitsch entlang. Das hat mich zwischenzeitlich ziemlich ermüdet, aber gute drei Sterne sind es in jedem Fall.

Bewertung: 3.5 von 5.

Charles Dickens: David Copperfield. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2008 (Original 1849/50)

Simon Beckett: Die ewigen Toten

Die meisten Menschen glauben zu wissen, wie Verwesung riecht. Sie denken, der Geruch wäre markant, unverwechselbar, der faulige Gestank des Grabes.

So beginnt Becketts neuster Thriller, der 6. Fall rund um den forensischen Anthropologen David Hunter. In gewohnter Weise mit sehr detailierten Schilderungen zu Verwesungprozessen und allem, was das Thema Forensik so zu bieten hat und was seine Leser so zu schätzen wissen. Ich übrigens auch!
Schauplatz des Geschehens ist ein verlassenes Krankenhaus, in das sich nur noch Fledermäuse verirren. Vermeintlich, denn durch Zufall wird auf dem Dachboden des verfallenen Gebäudes eine stark verweste Frauenleiche gefunden, eingewickelt in eine Plastikhülle. Hunter wird zu dem Fall hinzugezogen, um Hinweise zur Identifizierung der Toten zu geben. Bei der Bergung der Leiche stürzt der Boden des baufälligen Gebäudes ein und enthüllt ein geheimes Krankenzimmer ohne Fenster und Türen, das auf den Plänen nicht eingezeichnet ist. In ihm finden sich zwei weitere Leichen, an ihren Betten gefesselt. Ganz offensichtlich wurden sie ledendig eingemauert. Bei ihrer Obduktion entdeckt Hunter eindeutige Folterspuren…

Klingt erstmal ganz gut, oder? Lost Places meets sadistischen Serienkiller, da geht doch was. Nur leider nicht hier.
Eigentlich bin ich ja ein großer Beckett Fan, weil mir vor allem die ersten drei Teile dieser Serie extrem gut gefallen haben. Aber schon die letzten beiden Teile fand ich deutlich schwächer und dieser letzte Band ist für mich der sprichwörtliche Satz mit x, so leid es mir tut.
Aber was soll man denn machen, wenn sich eine belanglose Szene an die andere reiht, ein nichtssagender Dialog dem nächsten folgt. Bis zur Hälfte des Buches dachte ich noch, dass geht aber schleppend los, nur nahm dieser Zustand leider kein Ende. Auf den letzten 100 Seiten konnte die Geschichte zwar ein bisschen an Fahrt aufnehmen, verpuffte aber schnell wieder an der wenig überraschenden Auflösung. Und das Ende fand ich schlichtweg ärgerlich. Warum präsentiert man dem Leser wie täglich grüßt das Murmeltier immer wieder das gleiche Motiv im neuen Gewand? Und nicht mal in einem besonders guten…
Bleibt die abschließende Frage, was ist nur mit Beckett los? Schreibflaute? Erfolgsdruck? Oder die Nachlässigkeit des Erfolgreichen? Klar kann der Autor immernoch gut schreiben und den einen oder anderen spannenden Moment hat es auch hier gegeben, aber das ist definitiv nicht der Beckett, den man kennt und den man sich wünscht.
Ich für meinen Teil hoffe auf bessere Zeiten…

Bewertung: 2.5 von 5.

Simon Beckett: Die ewigen Toten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 2019