
Im Herbst 1989 machen sich Inge und Walter Bischoff im Zuge des Mauerfalls in den Westen auf. Ein lange gehegter Traum soll wahr werden, bevor sich das politische Blatt nicht doch wieder wendet. Ihr inzwischen erwachsener Sohn Carl hat wenig Lust, im heimatlichen Gera die Stellung zu halten und geht nach Berlin. Dort schließt er sich der Hausbesetzerszene an, arbeitet in der Kellerkneipe Assel und findet in der linksradikalen Guerillabewegung einen neuen Wirkungskreis…
Eigentlich bringt der Roman alles mit, um bei mir zu punkten. Als Berlinerin sind mir alle Orte bestens vertraut, in meiner Jugendzeit war ich ständig in linksalternativen Kneipen unterwegs und bin es auch heute noch ab und zu, sofern sie denn mal wieder offen haben. Also gedanklich und lebenspraktisch gab und gibt es da deutliche Schnittstellen. Aber auch schon damals sind mir einseitige linksradikale Weltverbeserungsparolen unsagbar auf die Nerven gegangen und dieser Geist weht mich in diesem Buch leider immer mal wieder an.
Ich habe hier die Lebendigkeit und jugendliche Aufbruchsstimmung vermisst, die mir bespielsweise bei Regeners Herrn Lehmann so viel Spaß gemacht hat. Auch das ist eine nostalgische Rückschau auf alte Zeiten, aber eine, in der sich die prickelnde Stimmung komplett überträgt.
Das Gefühl hatte ich beim Stern 111 leider in keinster Weise, obwohl die Ereignisse dieser Zeit nicht weniger aufregend waren. Aber der Funke ist hier für mich überhaupt nicht übergesprungen, ich fand das Ganze überwiegend kraftlos, langatmig bis -weilig und auch ermüdend. Das streckte sich für meinen Geschmack sehr zäh in die Länge.
Es war ein bisschen so, als wenn ein etwas in die Jahre Gekommener in bierseliger Stimmung über seine wilden Jugendjahre monologisiert. Am Anfang ist es noch ganz nett, aber nach einer Stunde wird das Lächeln schon etwas gequält und spätestens ab Stunde drei wünscht man sich an einen andere Ort.
Nicht mein Buch, aber eins mit durchaus vielen Fans. Immerhin hat es letztes Jahr einen ordentlichen Preis gewonnen!
Lutz Seiler: Stern 111. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2020