Jahreshighlights 2023

Besser spät als nie…

Wie in den letzten beiden Jahren habe ich meine Highlights in Belletristik und Thriller/Krimi (Bild 2) aufgeteilt.
Diesmal fiel es mir allerdings etwas leichter, aus beiden Genres meine Top 5 auszuwählen.

Wie im letzten Jahr ist mein Jahreshighlight im Bereich Belletristik ein etwas älteres Buch, allerdings stand es in diesem Fall nicht ganz so lange im Regal. Aber mal wieder ein sicheres Zeichen, dass man nicht nur die Neuerscheinungen lesen sollte.

📚 Rachel Elliott: Bären füttern verboten – ein herzergreifendes Buch voller liebenswerter Charaktere, das einen zu Tränen rührt, ohne kitschig zu sein.

Meine vier weiteren Highlights, die mich auf ganz unterschiedliche Weise berührt haben, sind:

📚 Olga Tocarczuk: Empusion
📚 Claudia Schumacher: Liebe ist gewaltig
📚 Elena Fischer: Paradise Garden (nicht auf dem Foto)
📚 Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord


Bester Thriller des Jahres war für mich:

📚 Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume – durchweg spannend und durch den historischen Hintergrund hochinteressant. Ein guter Grund, in Zukunft mehr Grangé zu lesen.

Begeistern konnte mich auch:

📚 Jo Nesbo: Blutmond
📚Seishi Yokomizo: Die rätselhaften Honjin-Morde

Und (nicht auf dem Foto):
📚 Andreas Winkelmann: Die Karte
📚 Stephen King: Holy


Und nun bin ich gespannt, welche Highlights mich 2023 erwarten!

Philipp Fleiter: Jack the Ripper – Das True Crime Rätselbuch

Die Geschichte selbst ist hinlänglich bekannt, vielfach erzählt und verfilmt, von daher muss man dazu eigentlich nicht mehr viel sagen. Würde nicht hier der Fokus anders gesetzt, aber dazu später mehr…
Neu und vielleicht besonders ist hier, dass die Geschichte selbst mit zehn Rätselfragen verknüpft ist, die man gemeinsam mit den Ermittlern lösen muss. Das Ermittlerteam besteht aus dem tatsächlich damals ermittelnden Inspektor Abberline und einer fiktiven Journalistin, die jedoch einer realen damaligen Reporterin nachempfunden ist. Gemeinsam mit ihnen begibt man sich auf Spurensuche, überprüft Verdächtige und trennt Fakten von Gerüchten. Und das ist an sich schon mal sehr spannend.
Ergänzt wird das Ganze mit zahlreichen Zusatzinformation zum Zeitgeschehen und den dargestellten Personen. Diese sind nicht nur gut auf den Punkt gebracht, sondern auch sehr informativ, so dass man nebenbei auch noch was lernt.
Der ganz große Pluspunkt dieses Buches führt mich zurück zu der Frage, warum ich zunächst gezögert habe, es zu lesen. Mein erster Gedanke dazu war: Bitte nicht noch ein Buch, in dem dieses Thema billig ausgeschlachtet wird.
Vorab, billig ist hieran schon mal gar nichts, denn der Autor hat nicht nur sorgfältig recherchiert, sondern für den Rätselteil auch zwei namhafte Spieledesigner hinzugezogen.
Überzeugt hat mich aber, dass hier das Schicksal der ermordeten Frauen einen ganz großen Raum einnimmt. In der damaligen Berichterstattung nur am Rande und ausschließlich abfällig erwähnt, bekommen sie hier nochmal eine Bühne und eine energische Fürsprecherin in der Person der Reporterin Charlotte Foster. Das hat mich an das sehr empfehlenswerte Buch ‚The Five‘ von Hallie Rubenhold erinnert, auf das sich der Autor auch in seinem Nachwort bezieht.

Sehr wertvoll fand ich in diesem Zusammenhang auch die Schilderung der unsäglichen Armut, die im Londoner East End im ausgehenden 19. Jahrhunderts herrschte. Von daher bietet das Buch viel mehr als es auf den ersten Blick scheint und ich kann es guten Gewissens weiterempfehlen.

Bewertung: 4 von 5.

Philipp Fleiter: Jack the Ripper – Das True Crime Rätselbuch. München: Goldmann Verlag, 2023

Rachel Elliott: Bären füttern verboten

An ihrem 47. Geburtstag zieht es Freerunnerin Sydney an den Urlaubsort ihrer Kindheit zurück, den sie seitdem gemieden hat – St. Ives an der Küste Südenglands. Regelmäßig war sie mit ihrer Familie dort, bis zu einem tragischen Ereignis, das sie und ihre Familie gezeichnet hat.
Dort angekommen trifft sie auf eine Reihe skurriler Menschen, die ihr die Begegnung mit der Vergangenheit erträglicher machen…

Dieses Buch hat mich direkt ins Herz getroffen und wer (wie ich) Lekys ‚Was man vor hier aus sehen kann‘ auch so geliebt hat, dem wird es vielleicht ähnlich gehen. Denn auch hier gibt es eine Fülle von liebenswerten Charakteren, die man einfach nur gerne haben muss. Vielleicht liegt es daran, dass die Autorin eigentlich Therapeutin ist, dass ihre Figuren so gut ausgearbeitet sind.
Vor allem zeigt sich aber ihre Menschenkenntnis in der Verarbeitung des speziellen Inhalt dieses Buches, zu dem ich hier nicht allzu viel verraten möchte, falls man sich überraschen lassen möchte.
Nur so viel: Es geht hier um den Umgang mit Schicksalsschlägen, die einen ein Leben lang verfolgen können und das ist immer wieder sehr emotional. Mehrfach musste da das Taschentuch herhalten…

Gleichzeitig fand ich es herrlich unkitschig und das finde ich die große Kunst: Gefühle anzusprechen, ohne auf die melodramatische oder kitschige Schiene abzurutschen. Ist für mich hier perfekt gelungen und hat Highlightpotential!

Bewertung: 4.5 von 5.

Rachel Elliott: Bären füttern verboten. Hamburg: Mare Verlag, 2020

Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord


Henry Standish hat eigentlich alles, was man sich vom Leben so wünscht, könnte man denken. Einen guten Job, eine liebevolle Ehefrau, zwei wohlerzogene Kinder. Und er lebt dieses ruhige, vorhersehbare Leben mit seinen Regelmäßigkeiten, viele Jahre. Bis diese Mäßigkeit in allem beginnt an ihm zu nagen. Um Abstand zu seinem täglichen Einerlei zu gewinnen, begibt er sich auf eine längere Seereise.
Doch bei der letzten Überfahrt geschieht ihm ein verhängnisvolles Missgeschick. Standish stürzt von Bord…

Was für eine dramatische Situation! Auf jeden Fall ein Plot, der eine Vorlage für dramatische Rettungsaktionen, Haiangriffe und ähnliches bieten könnte. Stände da nicht das Wörtchen Gentleman im Titel. Denn die Betrachtung des treibenden Manns im Wasser und der teilnahmslosen Passagiere an Deck könnte skurriler nicht sein.
Selbst in höchster Lebensgefahr zögert Standish zu schreien, weil das wohl unschicklich wäre. Auch macht er sich lange Gedanken darüber, wie peinlich es wohl sein wird, wie ein begossener Pudel aus dem Wasser gezogen zu werden. Wie soll er dieses Missgeschick nur erklären?
Im festen Glauben, dass seine Abwesenheit an Deck bemerkt wird, sind Mannschaft und Passagiere jedoch mit ihren eigenen Problemen beschäftigt…

Mir hat diese Geschichte ausgesprochen gut gefallen. Es gab schon damals immer wieder Stimmen, dass sie zu kurz wäre, aber ich finde sie gerade in dieser Kürze und Prägnanz genau richtig. Denn in diesen vergleichsweise wenigen Seiten steckt jede Menge Gesellschaftskritik, die noch weiter nachklingt. Das Verhaftetsein in sozialen Zwängen in der Figur des Henry Standish und die Selbstbezogenheit auf Seiten der Mannschaft und Passagiere ist schon sehr eindrücklich.
Themen, die nicht an Relevanz verloren haben und hier in einer sehr originellen Form verarbeitet worden sind. Große Leseempfehlung!

Bewertung: 4.5 von 5.

Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord. Hamburg: Mare Verlag, 2023

Emma Cline: Die Einladung

Im Wasser war sie genau wie alle anderen. Nichts Ungewöhnliches an einer jungen Frau, die allein im Meer schwamm. Unmöglich zu sagen, ob sie hierhergehörte oder nicht.“

Dieses Zitat aus dem Klappentext beschreibt schon ziemlich gut den Inhalt des neuen Romans von Emma Cline, bekannt geworden durch ‚The Girls‘. Denn die Hauptfigur Alex balanciert an der Schnittstelle zwischen oben und unten, reich und arm.
Sie gehört zu den vielen jungen Mädchen in New York, die versuchen, durch ihr (künstlich aufgehübschtes) Äußeres einen Fuß in die Tür der Reichen und Schönen zu bekommen, gerne auch durch die Verbindung mit deutlich älteren Männern. Als Gegenleistung für Sex und junge Begleitung winkt ein Leben in Luxus.
Alex kostet das in vollen Zügen aus, wobei sie regelmäßig über die Stränge schlägt und auch schon mal einiges mitgehen lässt oder den Luxusschlitten demoliert. Früher oder später fällt auch dem oberflächlichsten Sugardaddy auf, dass sie nur schamlos ausgenutzt wurden und setzen sie höflichst vor die Tür.
Ohne Job, Geld und Unterkunft bleibt Alex da nur eins: ein Leben auf der Straße…

Ich fand dieses Buch hochspannend und tatsächlich ging es mir so wie vielen Mitleser*innen in meiner Leserunde: es hat eine regelrechte Sogwirkung. Erstmal angefangen, konnte ich nur schwer wieder aufhören. Und das, obwohl ich die Hauptfigur Alex ausgesprochen unsympathisch fand. Beschrieben als aufgebrezelte Tussi könnte sie bei mir wenigstens mit ihrem Charakter punkten, doch da ist komplette Fehlanzeige. Sie ist egozentrisch, unehrlich, manipulativ und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Ein kompletter Fake-Mensch sozusagen. Andere Menschen sind ihr egal und tatsächlich hat sie keinerlei feste Bindung in ihrem Leben, weder Freunde noch Familie.
Einigen in der Leserunde tat sie leid, mir irgendwie gar nicht…
Ich fand es eher interessant zu beobachten, wie sie sich immer wieder aus scheinbar ausweglosen Situation rausmanövriert, sich an andere Menschen ranheftet und sie für ihre Zwecke ausnutzt.

Besonders spannend fand ich das Leben von Alex an der Schnittstelle zwischen extrem reich und völlig mittellos. Das hat mich sehr an Los Angeles erinnert, wo ich diesen Kontrast im letzten Jahr direkt miterleben konnte. Auf der einen Seite hat man Beverly Hills mit seinen Villen, Pools, gepflegten Gärten, alles in Sauberkeit und schönster Ordnung. Und wenige Straßenzüge weiter leben die Obdachlosen in ihrem Dreck und zwar scharenweise. Das hat mich extrem betroffen gemacht und daran hat mich dieser Roman erinnert. Und an die vielen Menschen, die dieses Stadt anzieht und die auch ein kleines bisschen von diesem Glanz abbekommen wollen. Von diesem Blickwinkel aus finde ich den Roman und auch die Figur Alex auch nicht so übertrieben oder klischeehaft, wie es manchen beim Lesen vorkam, sondern im Gegenteil sehr authentisch. Ihr merkt, ich bin des Lobes voll, wäre da nicht dieses Ende gewesen. Ich will jetzt nicht spoilern, daher kann ich das jetzt nicht weiter ausführen. Grundsätzlich habe ich mit Enden dieser Art kein Problem, oft ist es so auch passender zur Geschichte, aber in diesem Fall fand ich es eindeutig zu unrund und für mich enttäuschend. Für meinen Geschmack hat die Autorin es sich hier zu einfach gemacht.

Trotzdem eine ganz klare Leseempfehlung.

Bewertung: 4 von 5.

Emma Cline: Die Einladung. München: Hanser, 2023

Jo Nesbo: Blutmond

Nach dem Tod seiner Frau hat sich Harry Hole aus dem Berufsleben zurückgezogen und lebt in Los Angeles, mehr denn je dem Alkohol verfallen. Doch kurz vor dem entgültigen Absturz ist wieder einmal seine Expertise als Ermittler gefragt, diesmal in privater Angelegenheit. Denn ein Millionär wird verdächtigt, zwei Frauen ermordet zu haben und tatsächlich kann Hole das vereinbarte Honorar ziemlich gut gebrauchen.
Zurück in Oslo entpuppen sich die beiden Mordfälle jedoch als Teil eine bizarren Serie, die seine bisherigen Erfahrungen übersteigt…

Was auf Hole und auch die Leser*innen zunächst wie gewöhnliche Mordfälle aus bekannten Motiven wirkt, entpuppt sich schon bald als das genaue Gegenteil. Denn den Opfern wurde das Gehirn und die Augen entnommen, in einem Fall gleich der ganze Kopf und da stellt sich natürlich die Frage, warum? Und dieses Motiv ist schon sehr besonders und habe ich in der Form auch noch nicht gelesen.
Wer jetzt denkt, da kommt irgendwas ganz weit Hergeholtes, quasi an den Haaren herbeigezogen, der liegt komplett falsch. Denn dieses Motiv und die Inszenierung des Ganzen ist absolut intelligent und gut durchdacht. Ich hab schon viele Thriller gelesen und wäre da im Leben nicht drauf gekommen. Also wirklich mal was Originelles, was mich komplett überzeugt hat.

Dazu gibt es den über 12 Bände gewachsenen Charaktere Harry Hole, der mit seiner Art zwar nicht mehr überrascht, den ich als Charakter aber sehr überzeugend finde. Ebenso wie die bereits bekannten Nebenfiguren, die sich in sein Ermittlerteam einreihen und jeweils auf ihre eigene Art sehr gelungen in Szene gesetzt sind.

So zeigt auch Band 13 der Harry Hole Reihe, dass Nesbø zu den ganz großen Thrillerautoren gehört. Für die volle Punktzahl hätte es im Mittelteil einen Tick dynamischer sein können, da gab es die eine oder andere Länge. Aber insgesamt ein sehr empfehlenswerter Thriller.

Bewertung: 4.5 von 5.

München: Ullstein Verlag, 2022

Rebecca Yarros: Fourth Wing – Flammengeküsst

Violet möchte Schriftgelehrte am renommierten Basiagh War College werden, doch ihre Mutter hat andere Pläne für sie. Als Tochter der Generalin soll sie am Auswahlverfahren der Drachenreiter teilnehmen – ein nicht selten tötliches Unterfangen. Um zu überleben, muss sie jeden Vorteil nutzen. Denn als Tochter der Generalin ist sie nicht nur Neid und Missgunst ausgesetzt. Viele sind auf ihre Familienmitglieder nicht gut zu sprechen – insbesondere Geschwaderführer Xaden, dem sie unterstellt wird.
Der ist leider nicht nur außergewöhnlich attraktiv, sondern schon bald in schicksalhafter Weise mit ihr verbunden, was die Sache erheblich kompliziert…

Nachdem ich von ‚Babel‘ so begeistert war, konnte ich mich hier dem Hype nicht entziehen – vor allem nach den vielen begeisterten Stimmen zu diesem Buch.
Der Beginn hat mir auch erstmal ganz gut gefallen. Die Hauptfigur Violet fällt gleich aus mehreren Gründen aus dem Rahmen und muss sich in einem feindseligen Umfeld behaupten. So weit, so spannend. Auch die Grundidee einer besonderen Verbindung zwischen Drachen und Reiter ist ganz reizvoll – wenn es gut umgesetzt ist. Und zu Beginn sieht das Ganze ja noch ganz gut aus.

Mein grundlegender Fehler bei diesem Buch war, dass ich den Zusatz ‚Romance‘ bei der Beschreibung nicht so ganz realisiert habe. Denn mit Romance kann man mich normalerweise jagen und ja, leider auch in diesem Fall…
Denn ziemlich bald nahm die Lovestory immer mehr Raum ein – wenn nicht gerade trainiert oder gekämpft wurde, wovon ich dann auch ziemlich schnell die Nase voll hatte. Das wiederholte sich irgendwann und hatte zudem so viele Längen, dass ich es alles andere als fesselnd fand.
Das war aber noch besser als das ständige Angeschmachte von Violet in Richtung Xaden bei wirklich jeder Gelegenheit. Selbst knapp dem Tod entronnen geht ihr nur durch den Kopf, wie heiß er doch gerade wieder ist. Ernsthaft?

Zu allem Überfluss ist der Angebetete direkt aus der Klischeekiste: mit wilder Mähne, bildschön, perfekt durchtrainiert und schafft alles mit links. Als die beiden Verliebten dann auch noch über ihre Drachen eine mentale Verbindung miteinander eingehen, war für mich die Schmerzgrenze erreicht und ich habe das Buch bei gut 600 Seiten abgebrochen. Obwohl ich es über weite Strecken sehr langatmig fand, wollte ich doch wissen, wie das Ganze noch endet und habe mich weiter durch das Buch gekämpft. Aber das fand ich derart albern, dass mir selbst das egal war. Im Gegenteil: Ich war froh, von Violet und Xaden nichts mehr hören zu müssen. Zumindest eins hab ich hier wieder gelernt: Romance und Co ist absolut nicht mein Fall.

Bewertung: 1.5 von 5.

München: dtv, 2023

Max Bentow: Engelsmädchen

Durch den Selbstmord eines jungen Mädchens kommt der Kommissar Nils Trojan in Kontakt mit der unkonventionellen Kriminalpsychologin Carlotta Weiss. Denn das Mädchen hat sich nicht nur fälschlicherweise als ein langjährig vermisstes Mädchen ausgegeben, sondern schien auch vor etwas zu fliehen. Ihre Spur führt sie ins Obdachlosenmilieu der Hauptstadt…

Zunächst gleich zu Beginn: Ich freu mich jedes Mal, wenn ein neuer Trojan erscheint, denn ich verfolge die Reihe seit Band 1 und sie beinhaltet richtige Highlights. Auch wenn nicht alle Bände gleichermaßen stark sind, finde ich es eine Thrillerreihe auf hohem Niveau, durchweg spannend und gut zu lesen.

Und so ist es auch im mittlerweile 11. Teil der Reihe um den Kriminalkommissar Nils Trojan. Man fliegt förmlich durch die Seiten, weil man wissen möchte, wie es weitergeht. Und das ist schon mal viel wert.
Allerdings war es bei mir in diesem Fall gepaart mit immer häufiger werdendem Augenrollen über Trojans neue Kollegin. Ihre Art und Methoden werden mehrfach als ungewöhnlich (im positiven Sinne) beschrieben, sie selbst als überdurchschnittlich gut und erfolgreich in ihrem Beruf. Also, wenn das die Zukunft des Berufsstandes ist, dann gute Nacht..

Tatsächlich hatte ich bei ihr das Gefühl, sie arbeitet selbst hart daran, dass die Opferstatistik hoch bleibt, denn wie oft sie sich völlig unnötig und sorglos in Gefahr begibt, ist wirklich abenteuerlich. Und damit meine ich nicht allein die Tatsache, dass sie sich alleine nachts an die jeweiligen Tatorte begibt. (näheres dazu weiter unten).

Insgesamt wirkte dieser Band auf mich gröber und nicht so fein ausgearbeitet wie andere Bücher dieser Reihe. Gerade wenn aus der Perspektive des Täters berichtet wurde, hatte das etwas stereotypes, was mir nicht so gefallen hat.
Leider konnte mich auch die Auflösung nicht wirklich versöhnen. Sie war in sich zwar prinzipiell logisch, aber in ihrer speziellen Verzahnung mit den Personen schon reichlich weit hergeholt. Kollege Zufall lässt grüßen…

Mein Fazit: Gute Unterhaltung, jedoch mit deutlichen Schwachstellen.

Ergänzung zu Carlottas Verhalten, das mich immer mehr zur Verzweiflung getrieben hat (Achtung: Spoiler): Dass sie nachts an die Tatorte geht, ok… sie ist Profilerin. Aber ohne jemandem Bescheid zu sagen? Dann rennt sie dabei einem Eindringling auch noch unbewaffnet hinterher. Dass sie dabei eine übergebraten bekommt, ist irgendwie absehbar und die Tatsache, dass sie noch lebt, unverschämtes Glück bei der nicht vorhandenen Absicherung.
So wie bei dem Fall, als es nachts bei ihr an der Tür klingelt. Da macht sie einfach mal locker die Tür auf. Wenn das nicht schon reichen würde, holt sie auch noch gleich das Paket rein, dass ihr ein UNBEKANNTER NACHTS vor die Tür gestellt hat. Ruft sie jetzt die Kripo oder die Spurensicherung? Natürlich nicht, sie packt einfach fröhlich (und ungesichert) aus. Ist das zu fassen?
Ansonsten lässt sie sich auch noch von Fremden im Club zum Drink einladen oder sich von einem Kommissar, den sie gar nicht kennt, zu einem Tatort bestellen (obwohl vorher jemand in ihre Wohnung eingedrungen war) und sie guten Grund hat, misstrauisch zu sein. Also, dass sie bei diesem Fall nicht mehrfach gestorben oder anderen Gewalttaten zum Opfer gefallen ist, wundert mich tatsächlich. Da ist ja jeder Teenie umsichtiger. Von einer hochgelobten Kriminalpsychologin erwarte ich da tatsächlich etwas anderes und sie hat meine Lesefreude doch deutlich getrübt.Daher meine große Bitte an Nils Trojan: Ermittle im nächsten Fall wieder allein!

Bewertung: 3 von 5.

München: Goldmann / Verlagsgruppe Penguin Random House, 2023

Arno Strobel: Der Trip

Seit zwei Jahren gilt der Bruder der forensischen Psychologin Evelyn Jancke als vermisst. Auf einer Reise mit seinem Wohnmobil verliert sich seine Spur, die Polizei geht von einem Verbrechen aus. Bis im Zusammenhang mit einer grausamen Mordserie ein Phantombild auftaucht, dass ihm sehr ähnlich sieht und Evelyns Leben zunehmend aus den Fugen gerät. Denn neben ihrem dumpfen Verdacht erhält sie eine Reihe anonymer Nachrichten, die offenbar von ihrem Bruder stammen. Sollte er noch leben und womöglich der gesuchte Mörder sein?

Erst einmal großes Lob für die Gestaltung des Covers: wirklich sehr gelungen und perfekt passend zum Thema.
Auch die Geschichte selbst geht richtig gut los, obwohl für meinen Geschmack im Prolog zu viele Thriller-Klischees bedient wurden, einschließlich der Bösewichte, die ausgerechnet Karl und Otto heißen und natürlich stinkend und hässlich daherkommen.
Die Schilderung um Fabians Verschwinden selbst fand ich dagegen richtig spannend und hätte mir von diesem Teil der Geschichte gerne mehr gewünscht.
Das anschließende Spiel mit dem vermeintlichen Auftauchen des Vermissten und seine mögliche Verstrickung in die Mordserie, die sich bezeichnenderweise auf Campingplätzen abspielt, finde ich von der Idee her wirklich gut. Tatsächlich liefert sie einen großen Teil der Spannung und gruseligen Atmosphäre in diesem Thriller.
Leider werden diese guten Ansätze durch den doch ziemlich ereignisarmen Mittelteil und das nervtötende und zum Teil völlig unlogische Verhalten der Hauptcharaktere erheblich gestört. Ihr Kollege Tillmann will ihr permanent helfen, so dass man bei den Dialogen teilweise den Eindruck hat, sich in einer Murmeltierschleife zu befinden.
Dann heftet sich ein ihr eigentlich unbekannter Typ hartnäckig an ihre Fersen, den sie gleich datet und ihm nach gefühlten fünf Minuten ihre Lebensgeschichte erzählt. Wer macht sowas?
Auch die Auflösung konnte mich nicht wirklich überzeugen, auch wenn sie sich in den Rest der Geschichte gut eingefügt hat.
Trotz der Kritikpunkte habe ich mich mit dem Trip gut unterhalten gefühlt und wer es mit einigen Ungereimtheiten nicht so genau nimmt, der ist mit diesem Buch gut bedient.

Bewertung: 3.5 von 5.

Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2022

Seishi Yokomizo: Mord auf der Insel Gokumon

Der Privatdetektiv Kosuke Kindaichi fährt zur abgelegenen Insel Gokumon, um seinem Kameraden Chimata einen letzten Dienst zu erweisen. Nach der Niederlage ihrer Truppe im zweiten Weltkrieg ist er auf dem Rücktransport verstorben. Sein letzter Wunsch: Kindaichi soll nach Gokumon reisen, um den Tod seiner drei Schwestern zu verhindern, die er in großer Gefahr wähnt.
Entschlossen begibt sich Kindaichi auf diese mysteriöse Mission…

Für Fans der ‚Hojin-Morde‘ ist es natürlich eine große Freude, hier den Privatermittler Kindaichi wiederzutreffen. Und mit im Gepäck sein scharfer Verstand, mit dem er schier unerklärliche Phänomene auseinandernimmt und selbst den intelligentesten Tätern das Fürchten lehrt.
Auch bei diesem neuen Fall merkt man an vielen Stellen seine Liebe zu klassischer Kriminalliteratur à la Agatha Christie, denn es geht hier einigermaßen verwickelt zu. Selbstredend, dass der Meisterdetektiv das Zeug dazu hat, dieses verworrene Knäuel an Spuren und Motiven zu entwirren – mir schwirrte da stellenweise der Kopf. Insbesondere mit den vielen Personen, die in diesem Kontext auftauchen, musste ich mich erstmal anfreunden. Auch wenn vorne ein Figurenverzeichnis abgedruckt ist, erfordert das einiges an Konzentration.

Mir hat die Atmosphäre und die Ermittlungen auf dieser ehemaligen Pirateninsel gut gefallen, obwohl ich die ‚Hojin-Morde‘ insgesamt stärker fand. Diese Geschichte besticht vor allem durch ihr Setting, die Aura der abgelegenen Insel, deren Familien Nachkommen von Seeräubern und Gefangenen sind. Auf ihr hat sich ein Mikrokosmos aus Machtbeziehungen und unterschwelligen Spannungen gebildet – ein Geflecht, dass der Privatdetektiv in seinen Ermittlungen entwirren muss. Dies und die Rekonstruktion der Mordfälle hat einen Großteil der Spannung ausgemacht und durch das Buch getragen. Die Auflösung selbst hat mich nicht überzeugt, für mich war das Motiv nicht wirklich plausibel bzw. zu weit hergeholt. Gestört hat mich auch, dass ein nicht unwesentliches Teil der Auflösung schlichtweg nicht logisch war.

Wer das entspannt sieht und klassische Kriminalromane liebt, der ist jedoch auch mit Kindaichis zweitem Fall bestens bedient. Lesenswert ist er allemal!

Bewertung: 3.5 von 5.

Seishi Yokomizo: Mord auf der Insel Gokumon. Berlin: Blumenbar/Aufbau Verlage, 2023